Berlin. Die Razzia unter Reichsbürgern zeige, wie vernetzt die rechte Szene bis in die Mitte der Gesellschaft ist, sagt Psychologin Lamberty.

Überrascht? Nein, das war Pia Lamberty nicht, als sie am Mittwochmorgen die Nachrichten über die Razzia gegen selbsternannte Reichsbürger hörte. Die extrem rechte Szene vernetzt sich seit Jahren, rekrutiert in allen sozialen Milieus – und sucht Kontakte auch nach Russland. Seit Jahren recherchiert die Sozialpsychologin Pia Lamberty zur Radikalisierung dieser Szene. Sie ist Geschäftsführerin vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS).

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3000 Polizistinnen und Polizisten haben heute eine mutmaßliche Rechtsterror-Zelle zerschlagen. An der Spitze offenbar: ein Adliger, eine Richterin und frühere Elite-Soldaten. Hat Sie diese Mischung überrascht?

Pia Lamberty: Nein. Das hat mich nicht überrascht. Wir sind längst weg vom Klischee des gewaltbereiten Neonazis in Springerstiefeln. Das extrem rechte Milieu ist vielschichtig, reicht durch alle sozialen Gruppen, ist kein Jugendphänomen. Extrem rechte Gedanken und Verschwörungsideologien reichen bis in die Mitte der Gesellschaft. Wir sehen das bei den Ermittlungen der vergangenen Jahre, immer wieder standen Bundeswehr-Soldaten oder Polizisten im Visier, immer wieder waren die mutmaßlichen Extremisten weit im Erwachsenenalter, hatten Familie und Beruf. Zugleich beobachten wir eine internationale Vernetzung der extrem rechten Szene, die global immer wieder einen „Tag X“ propagiert, an dem sie das „System“ stürzen wollen. Und immer wieder formieren sich gewaltbereite Akteure, die diese Pläne umsetzen wollen.

Russlands Präsident Wladimir Putin hat am 24. Februar 2022 einen Angriffs-Krieg gegen die Ukraine begonnen.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat am 24. Februar 2022 einen Angriffs-Krieg gegen die Ukraine begonnen.

Wie vernetzt sich die Szene, wenn sie doch so zersplittert ist?

Lamberty: Die Corona-Pandemie hat eine zentrale Rolle gespielt. In dieser Zeit hat sich die extrem rechte Szene angenähert, sie hat sich radikalisiert und ist gewaltbereiter geworden. Wichtig bei der Vernetzung waren die Demonstrationen gegen die Corona-Beschränkungen. Da haben sich Neonazi-Kader, Verschwörungsideologen und selbsternannte Reichsbürger montags auf der Straße getroffen. Wichtig sind aber auch soziale Netzwerke wie Telegram, hier propagieren die Akteure seit Jahren massiv den Umsturz des „Systems“. Auch von den jetzt Beschuldigten der mutmaßlich rechtsterroristischen Gruppe sind einige seit langer Zeit online aktiv, verbreiten ihre Ideologie. Zu lange konnte die Szene aus Neonazis, sogenannten Querdenkern und Reichsbürgern, aber auch Verschwörungsideologen im Netz agitieren, ohne Konsequenzen durch Polizei und Justiz zu fürchten. Zu lange wurde das als Spinnerei verharmlost.

Es fällt auf, dass die nun verdächtigen Rechtsterroristen laut Ermittlern die Nähe zu Russland suchten.

Lamberty: Das russische Regime um Präsident Wladimir Putin wird seit Jahren von der extremen Rechten romantisiert. Sogenannte Reichsbürger und Verschwörungsideologen verharmlosen die Politik Putins nicht nur. Im Gegenteil: Sie sehen Putins Russland als Vorbild für einen autoritären Staat, der die westlichen Werte wie Liberalismus und Rechtsstaat ablehnt. Manche der Szene pflegen ganz offen sehr enge Kontakte mit der Elite in Moskau, fahren zu Treffen nach Russland, verbreiten in Deutschland pro-russische Staatspropaganda.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.