Berlin und Jerusalem. Der Palästinenserpräsident sorgt mit einem Holocaust-Vergleich für einen Skandal, Olaf Scholz kommt nicht zu Wort. Was ist da passiert?

  • Palästinenserchef Mahmud Abbas hat bei einer Pressekonferenz in Berlin für einen Skandal gesorgt
  • Abbas warf Israel einen vielfachen „Holocaust“ an Palästinensern vor
  • Scholz wird dagegen für sein Schweigen kritisiert

Es ist ein Kommunikationsdesaster von internationalem Ausmaß. Der Kanzler lässt am Tag danach offiziell sein Bedauern erklären, der Regierungssprecher räumt zerknirscht und kleinlaut Fehler ein. Der Zentralrat der Juden ist empört über Olaf Scholz. Ein Telefonat mit dem israelischen Premierminister Jair Lapid, in dem Scholz die Wogen glätten will, steht noch aus. Es geht um einen Moment des Schweigens und einen Handschlag, beides wird der Kanzler noch lange bereuen.

Was war passiert? Am Dienstag ist Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bei Scholz im Kanzleramt zu Gast. Es ist der erste Besuch des 87-jährigen Abbas in Berlin seitdem Scholz die Regierungsgeschäfte hier übernommen hat. Nach dem Treffen treten beide gemeinsam in der Regierungszentrale vor die Medien.

Es wird eine denkwürdige Pressekonferenz: Scholz distanziert sich deutlich von seinem Gast und widerspricht, als der Palästinenserpräsident Israel ein gegen die Palästinenser gerichtetes „Apartheidsystem“ vorwirft. Schon das ist ein ungewöhnlicher Vorgang für einen Antrittsbesuch.

Mahmud Abbas: „50 Massaker, 50 Holocausts“

Der wahre Skandal erfolgt am Schluss der Pressekonferenz. Ein Reporter stellt die letzte Frage und erkundigt sich bei Abbas nach einer möglichen Entschuldigung der Palästinenser für das Olympia-Attentat in München 1972.

Abbas redet sich daraufhin in Rage und wirft Israel vor, „50 Holocausts“ in 50 palästinensischen Dörfern und Städten verübt zu haben. Als Scholz diese Verharmlosung an dem Massenmord an den Juden mit mehr als sechs Millionen Toten hört, ist ihm sein Ärger deutlich im Gesicht abzulesen. Doch nach den Ausführungen des Palästinenserpräsidenten beendet der Kanzlersprecher Steffen Hebestreit die Pressekonferenz.

Bundeskanzler Scholz (SPD) und Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde
Bundeskanzler Scholz (SPD) und Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde © Wolfgang Kumm/dpa

Scholz kommt nicht mehr zu Wort. Mit einem Gesicht, als habe er Nägel im Mund, gibt der Kanzler dem Gast zum Abschied die Hand. Abbas verlässt das Kanzleramt und steigt in sein Auto. Seine Äußerungen bleiben unwidersprochen. Scholz schnauzt beim Abgang seinen Sprecher Hebestreit an, dass dieser die Pressekonferenz zu schnell beendet habe. Scholz habe noch etwas entgegnen wollen, berichtet Hebestreit später.

Schnell wird dem Team im Kanzleramt klar, dass Scholz auf die Holocaust-Aussagen des Palästinenserpräsidenten reagieren muss. „Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel“, ruft der Kanzler Abbas noch am Abend über die „Bild“-Zeitung hinterher.

Mahmud Abbas' „Holocaust“-Aussage: Zentralrat der Juden kritisiert Scholz

Doch die Welle der Empörung über den Vorfall ist da bereits ins Rollen gekommen. In Israel ist das Entsetzen groß. Premierminister Lapid erklärt noch kurz vor Mitternacht in einem Tweet, die Aussage des Palästinenserpräsidenten, „noch dazu auf deutschem Boden“, sei „nicht nur eine moralische Schande, sondern eine monströse Lüge“. Lapid verwies auf die sechs Millionen im Holocaust ermordeten Juden, darunter eineinhalb Millionen jüdische Kinder. „Die Geschichte wird ihm niemals vergeben“, sagte Lapid, der einer Familie von ungarischen Holocaustüberlebenden entstammt.

Hierzulande ist auch Scholz Ziel der Kritik. „Dass eine Relativierung des Holocaust, gerade in Deutschland, bei einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt, unwidersprochen bleibt, halte ich für skandalös“, erklärt der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster.

„Dass Olaf Scholz die skandalösen Äußerungen von Mahmud Abbas während der gemeinsamen Pressekonferenz unkommentiert durchgehen ließ, war ein schwerwiegender Fehler“, sagt der CDU-Politiker Christoph Ploß unserer Redaktion. Dies dürfe einem „Bundeskanzler nicht passieren“, findet der Chef der Parlamentariergruppe Arabischsprachige Staaten des Nahen und Mittleren Ostens im Bundestag.

Ausschwitz-Komitee erneuert Kritik an Scholz nach Abbas-Eklat

Das Internationale Auschwitz-Komitee erneuerte seine Kritik am Dienstagabend. Scholz sei „offensichtlich in diese Situation mit Präsident Abbas gegangen, ohne sich mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf zu erwartende Provokationen vorzubereiten“, sagte Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner dieser Redaktion.

Zugleich nannte Heubner die Aussagen von Abbas „eine gezielte Provokation“. Es sei ein direkter Versuch gewesen, „die entsprechende Szene in Deutschland noch stärker zum Israel-Bashing aufzufordern“. Es sei zudem „eine Düpierung des Kanzlers“ gewesen sowie der Versuch, „Druck aufzubauen gegen die Bundesregierung und gegen Olaf Scholz. Die Bundesregierung muss sich überlegen, wie sie damit jetzt umgeht“, sagte Heubner.

Die Äußerungen von Abbas haben nach Worten Heubners den Friedensprozess im Nahen Osten massiv beschädigt. Abbas habe „mit seiner halsstarrigen Rede Öl ins Feuer gegossen“. Mit seiner Wortwahl setze Abbas nicht auf Gesprächsbereitschaft, „sondern er baut Hass und Unverständnis auf“. Es schadet dem Ausgleich und die Suche nach Lösungen in der Region. Heubner betonte: „Abbas ist niemand, der neue Türen öffnen kann, sondern jemand, der Mauern aufbaut.“

Regierungssprecher räumt Fehler bei Reaktion auf Abbas-Aussage ein

Das Kommunikationsteam im Kanzleramt meldet sich am Mittwochmorgen über das Twitter-Profil des Kanzlers erneut zu Wort. Er sei „zutiefst empört über die unsäglichen Aussagen“ des palästinensischen Präsidenten, erklärt Scholz dort in deutscher, englischer und hebräischer Sprache.

Regierungssprecher Hebestreit bemüht sich am Mittag in der Bundespressekonferenz um weitere Schadensbegrenzung. „Der Bundeskanzler bedauert es“, sagt ein geknickter Hebestreit, dass er auf der Pressekonferenz „nicht ein zweites Mal intervenieren und die Anwürfe Abbas reagieren konnte.“

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Der enge Vertraute des Kanzlers stellt sich vor seinen Chef: „Das war mein Fehler und den muss ich auf meine Kappe nehmen“, sagt Hebestreit. Innerlich sei er schon mit dem Ende der Pressekonferenz beschäftigt gewesen. Und da er keinen Blickkontakt zu Scholz gehabt habe, habe er es versäumt, „eine Lücke zu lassen, sodass der Bundeskanzler reagieren kann“. Das Mikrofon des Kanzlers sei außerdem schon abgeschaltet gewesen. Auch Hebestreit drückt sein Bedauern aus und erläutert: „Das sind Sekundenentscheidungen in einer solchen Situation.“

Kritik an dem Handschlag des Kanzlers mit Abbas weist Hebestreit jedoch zurück. „Es gibt ja unterschiedliche Arten von Handschlag und Handgeben“, sagt der Regierungssprecher. „In diesem Fall habe ich den Eindruck, hat sich der Bundeskanzler wenig vorzuwerfen. Viel grimmiger als bei diesem Handschlag ist er gar nicht fähig zu gucken.“ Rückendeckung bekommt Scholz auch aus der eigenen Partei: „Das Problem ist nicht die Reaktion des Kanzlers, das Problem ist die Haltung von Palästinenserpräsident Abbas“, sagt der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid unserer Redaktion.

„Holocaust“-Aussage: Abbas rudert am Mittwoch zurück

Abbas hatte bereits früher mit umstrittenen Holocaust-Äußerung für Aufsehen gesorgt. „Die Haltung des Kanzlers gegenüber Israel und zur Thematik des Holocaust ist unzweideutig“, sagt Christoph Heubner vom Internationalen Auschwitz-Komitee unserer Redaktion. „Dennoch, er ist offensichtlich in diese Situation mit Präsident Abbas gegangen, ohne sich mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf zu erwartende Provokationen vorzubereiten.“ Hebestreit weist auch diesen Vorwurf zurück und kündigt an, dass Scholz mit Israels Regierungschef Lapid telefonieren wolle.

Abbas rudert am Mittwoch zurück. Der Präsident habe bekräftigt, dass „der Holocaust das abscheulichste Verbrechen der modernen menschlichen Geschichte ist“, berichtet eine palästinensische Nachrichtenagentur. Doch der Schaden lässt sich so schnell nicht beheben.

Der Eklat werfe einen „dunklen Schatten“ auf die Beziehungen Deutschlands zur Palästinenser-Regierung und werde auch das persönliche Verhältnis von Scholz und Abbas belasten, sagt Hebestreit. Um gegen die Äußerungen von Abbas zu protestieren, bestellt die Bundesregierung den Leiter der palästinensischen Vertretung in Berlin ein.

Es sei offen, wie sich die Beziehungen zwischen Deutschland nun entwickeln könnten, sagt Hebestreit. Eine Reise des Kanzlers in die Palästinensergebiete werde es in „absehbarer Zeit“ nicht geben. Allerdings, räumt der Regierungssprecher ein, konnten auch nach diesem „fürchterlichen Eklat“ nicht alle Brücken abgebrochen werden.

Lesen Sie auch: Gedenken an den Holocaust: Die Zukunft endet nicht

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.