Berlin . Die Brüsseler Kommissionschefin von der Leyen befürwortet eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine. Aber wie realistisch ist ein Beitritt?

„Sie sind einer von uns, und wir wollen sie drin haben.“ Die Brüsseler Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wünscht sich die Ukraine in der EU. Ist das bloß ein Zeichen der Verbundenheit oder mehr: schon die halbe Miete?

Ein Beitritt während des Ukraine-Kriegs ist unwahrscheinlich. Es wäre äußerst riskant. Russlands Präsident Wladimir Putin würde einen solchen Schritt unweigerlich als Aggression bewerten.

Bereits die öffentlichen Gespräche über einen Beitritt dürften ihn dazu bewegen, die Militärschläge zu forcieren. Die Invasion hat kurzfristig ein Machtwechsel in Kiew und langfristig die Verhinderung einer Westanbindung der Ukraine zum Kriegsziel.

EU-Mitgliedschaft? Für die Ukraine ein Verfassungsziel

Gelänge dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die sofortige Aufnahme seines Landes in EU – in einer Art Notfallverfahren –, würde er Westeuropa in den Konflikt hineinziehen. Das kann wohl kaum von der Leyens Ansatz sein; sie könnte ihn auch nicht im Alleingang umsetzen.

Ein Beitrittsverfahren ist ein langer Prozess und folgt einem Fahrplan. Viele wären gefragt, von Anfangt an das Europäische Parlament, dann der Rat (einstimmig) sowie die einzelnen Mitglieder und die Beitrittsländer. Die Ukraine arbeitet schon länger auf einen Beitritt hin, spätestens seit 2004. Ein Zeichen ihrer Ernsthaftigkeit: Das Beitrittsziel ist sogar in der Verfassung verankert.

EU-Beitritt: Von der Leyen wiederholte die offizielle Linie

Die Linie der EU ist, dass sie eine zunehmend enge Partnerschaft mit der Ukraine anstrebt und eine allmähliche wirtschaftliche Integration und eine Vertiefung der politischen Zusammenarbeit anpeilt. Seit 2014 gibt es ein Assozierungsabkommen. Der politische Teil ist unterzeichnet, der wirtschaftliche Teil wurde seit Ende 2015 im Einvernehmen mit Russland provisorisch angewandt.

Von der Leyen hat im Wesentlichen die Brüsseler Position wiederholt, wenn auch in einer warmherzigen Form. „Im Laufe der Zeit gehören sie tatsächlich zu uns“, sagte sie. Den Ukrainern ausgerechnet jetzt die Tür zuzuschlagen oder sie bürokratisch hinzuhalten, wäre der Gesamtlage nicht angemessen gewesen.

Die Kommissionspräsidentin weiß, dass die Ukrainer viele Sympathien genießen. Zum Beispiel hatten mehrere baltische Staaten Selenskyi inseinem Anspriuh ermuntert. Von der Leyen weiß auch, dass das ukrainische Volk 2013 und 2014 mit den Maidan-Protesten für die pro-europäische Ausrichtung auf die Straße ging.

Nicht von der Leyen, Selenskyi war es, der in der Nacht zu Montag twitterte, sie hätten über eine Mitgliedschaft der Ukraine in der EU gesprochen. "Es ist ein entscheidender Moment, die langjährige Diskussion ein für alle Mal zu beenden und über die Mitgliedschaft der Ukraine in der EU zu entscheiden", teilte er mit.

Ja zur EU, Nein zur Nato – geht das?

Falls die Ukraine aus dem Krieg mit Russland als Siegerin und damit gestärkt hervorgeht, wird der Beitritts-Druck noch zunehmen. Allerdings würde man sich aller Voraussicht nach selbst dann darum bemühen, ein Einvernehmen mit Russland zu erzielen, dass sich bedroht fühlt und mehr noch als einen EU-Betritt eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine fürchtet.

Zwischen beiden Organisationen gibt es keinen zwingenden Zusammenhang. Österreich ist neutral und gehört nicht zur Nato, sehr wohl aber zur EU.

Nachdem Putin nur mit den USA über die Ukraine und die Sicherheitsarchitektur geredet hat, nicht aber mit dem unmittelbar Betroffenen (Ukraine) und seinen Nachbarn (EU), würde allein schon die Option eines Beitritts die EU aufwerten: als politischen Faktor. Aber realistisch ist ein Sofort-Beitritt nicht.

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Dieser Artikel erschien zuerst unter waz.de.