Berlin. 16 Millionen Deutsche „riestern“. Doch viele halten die Renten-Vorsorge für reformbedürftig. Was die neue Bundesregierung jetzt plant.

Im Duden findet sich schon ein eigenes Kapitel: riestern. Gut 16 Millionen Deutsche sparen für ihre Rente mit dem Riester-Modell – das ist etwa ein Drittel aller Erwerbstätigen. Weil für viele die gesetzliche Rente nicht mehr reicht, hat der Bund vor 20 Jahren die Riester-Rente eingeführt. Benannt nach dem damaligen Arbeitsminister Walter Riester.

Wer einen Riester-Vertrag mit einer Versicherungsfirma abgeschlossen hat, bekommt staatliche Zuschüsse und hat Vorteile bei der Steuer. Was eingezahlt wird, ist am Ende des Berufslebens garantiert. Fachleute halten das Riester-Modell vor allem für Familien und Menschen mit niedrigem Einkommen für sinnvoll.

Doch das „Riestern“ steht seit Jahren in der Kritik: zu hohe Abschlusskosten, zu teure Vertriebskosten und Verwaltungskosten, die mehr den Banken und Versicherungsfirmen helfen als den Sparern. Auf Dauer, so Renten-Experten, mindere dies die Rendite deutlich. Verbraucherschützer pochten auf eine grundlegende Neuordnung, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser privat für das Leben im Alter vorsorgen können.

Riester-Rente: Ampel will stärkeren Blick auf Aktien setzen

Doch was passiert nun mit der Riester-Rente? Und welche neuen Modelle sollen kommen? Die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hat im Koalitionsvertrag versprochen: „Wir werden das bisherige System der privaten Altersvorsorge grundlegend reformieren.“ Die Ampel-Koalition will „das Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds“ prüfen. Private Anlageprodukte wie Aktienfonds mit möglicherweise höheren Renditen könnten als Riester-Rente anerkannt werden – und somit staatlich gefördert werden. Auch das will die Regierung prüfen.

Der frühere Bundesarbeitsminister Walter Riester (l., hier im Jahr 2000 bei Termin zum Thema Einwanderung und „Green Card“) – nach ihm ist das Renten-Modell benannt.
Der frühere Bundesarbeitsminister Walter Riester (l., hier im Jahr 2000 bei Termin zum Thema Einwanderung und „Green Card“) – nach ihm ist das Renten-Modell benannt. © dpa | Marcus Führer

Das heißt: Die Rente geht an die Börse. „Sicher ins Alter mit Apple und Amazon“ unken manche Fachleute schon. Und der Sparer für die Altersvorsorge würde die Börsennachrichten mit ganz anderen Augen lesen. Es geht am Aktienmarkt nun auch um seine Rente. So jedenfalls das Szenario. Beschlossen ist nichts, erstmal wird nur geprüft. Und die neue Koalition hält fest: „Es gilt ein Bestandsschutz für laufende Riester-Verträge. Den Sparerpauschbetrag wollen wir auf 1.000 Euro erhöhen.“

Kommt jetzt die Renten-Revolution?

Doch was könnte kommen? Nicht weniger als eine Renten-Revolution. Das alte Prinzip der „Umlage“ würde ergänzt um das Modell der „Anlage“. Seit Jahrzehnten funktioniert die Umlage nach der einfachen Maßgabe: Was der Staat bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Geld für die Altersvorsorge einzieht, gibt er an die Rentnerinnen und Rentner weiter.

Setzen sich die Pläne durch, können gesetzliche Rentenversicherer nun Geld am Kapitalmarkt anlegen. Dazu zählen Investmentfonds, Einzelaktien von Konzernen wie Apple oder Biontech, aber auch Staatsanleihen, etwa von Frankreich, Schweden oder den USA. Die Rendite der Börsengeschäfte gibt der Staat in die Rente.

Der demografische Wandel höhlt das alte Umlage-Modell aus: Weil die Menschen älter werden, gibt es immer mehr Rentner, die von den Arbeitnehmern versorgt werden müssen. Die Investitionen am Aktienmarkt sollen langfristig dem gesetzlichen Rentenversicherer neue Einnahmequellen und Profite sichern.

Andere Länder gehen voran: Staat als Vorsorge-Akteur am Kapitalmarkt

Und noch eine Idee soll helfen, die Altersvorsorge für die Zukunft zu sichern: Der Staat selbst betreibt einen Aktienfonds, kauft und verkauft Anteile von börsennotierten Firmen. Der Staat wird zum Vorsorge-Akteur am Kapitalmarkt. Denn auch für ihn gilt: Bei dauerhaft niedrigen Zinsen für Erspartes bekommt der Staat neue Einnahmen für die Rente – so die Hoffnung. Wer nicht aktiv diese Option „abwählt“, ist automatisch Teil dieser privaten Rentenvorsorge, die der Staat managt.

Das sind die Renten-Pläne der neuen Regierung. Doch skeptisch sind nicht nur viele Deutsche gegenüber Investitionen am Aktienmarkt. Gerade einmal rund 18 Prozent besitzen Ende 2020 überhaupt Anteile oder Anleihen. Zwar ist der Teil der Deutschen mit Aktienbesitz in den vergangenen Jahren und vor allem in der Corona-Pandemie gestiegen, allerdings nur leicht.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) – was taugen die Renten-Pläne der neuen Regierung?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) – was taugen die Renten-Pläne der neuen Regierung? © Getty Images | Pool

Skeptisch sind jedoch auch Verbände und Fachleute. „Es gibt Menschen, die sagen: Riester ist für mich eine gute Vorsorge“, sagt die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund, Gundula Roßbach. „Für diese Menschen lässt der Koalitionsvertrag offen, wie es weitergeht.“ Das Riester-Modell würde vor allem von „wichtigen Zielgruppen“ wie Frauen mit Kindern und Personen mit geringem Verdienst genutzt. „Hier lässt der Koalitionsvertrag manche Frage offen.“

Der Staat als Aktionär – wie sicher sind die Beträge der Sparer?

Zwar verweist auch Roßbach auf den im Koalitionsvertrag angekündigten Bestandsschutz für laufende Riester-Verträge. „Aber was passiert mit neuen Anträgen? Will man unter den bisherigen Konditionen auch weitere Anträge ermöglichen?“

Aus Sicht der Rentenversicherungen ist eine weitere wichtige Frage bisher ungeklärt: Bisher ist bei der Riester-Rente garantiert, dass der Sparer am Ende mindestens das Geld erhält, das er über die Jahre eingezahlt hat. Doch was ist mit den Investitionen in die Altersvorsorge von Menschen, wenn der Staat nun selbst als Aktionär an der Börse unterwegs ist, oder wenn andere Aktienfonds als bisher für das Riester-Modell anerkannt werden. Sind dann die eingezahlten Beiträge weiter zu 100 Prozent garantiert, fragen Fachleute wie Roßbach. Was ist, wenn die Kurse an der Börsen fallen.

Verbraucherschützer machen Druck: Der Staat soll Vorsorgefonds einrichten

Weniger kritisch gegenüber den Plänen zeigen sich die Verbraucherschützer. Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller, forderte, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bräuchten ein einfaches, renditestarkes und kostenarmes Altersvorsorge-Produkt. Und er verweist auf andere Länder, die mit „öffentlich organisierten Vorsorgefonds auf Aktienbasis wesentlich bessere Renditen“ erzielt hätten als der deutsche Riester-Rentner.

Die Verbraucherschützer unterstützen also die Idee des Staates als Aktionär. Ein öffentlich organisierter Fonds sei das richtige Modell, sagt Müller. „Es ist einfacher, es ist renditestärker, es ist kostenärmer.“ Müller mahnt zu Tempo, es dürfe nicht zu lange nur geprüft werden. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) müssten sich zusammensetzen und die Arbeitnehmer in den Mittelpunkt stellen.

Nicht nur Aktien – auch mehr Zuwanderung, mehr Fachkräfte aus dem Ausland

Und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) unterstützen Reformen des Rentensystems. „Statt weiter erfolglos an Riester herumzudoktern, sollte die Bundesregierung besser und sinnvoller die gesetzliche Rente und die betriebliche Altersversorgung stärken“, sagt DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

Piel sieht auch die Arbeitgeber stärker in der Verantwortung. Die Koalition müsse die Unternehmen dazu verpflichten, eine nennenswerte Einzahlung in die Betriebsrenten zu leisten. Darüber hinaus müsse die Ampel sicherstellen, „dass die Renten wieder im Gleichklang mit den Löhnen steigen“. Denn klar ist nach Ansicht von Fachleuten auch: Junge Menschen dürfen nicht zu stark belastet werden: mit zu hohen monatlichen Beträgen für gesetzliche und private Altersvorsorge.

Und so zeigt sich nach Einschätzungen der Experten: Investitionen in den Aktienmarkt können eine stärkere Säule der Altersvorsorge sein – sowohl für den privaten Sparer als auch für den Staat. Vor allem langfristig.

Doch allein damit ist das Problem einer wachsenden alternden Gesellschaft nicht gelöst: Was aus Sicht vieler Fachleute genauso hilft: mehr Zuwanderung jüngerer Menschen, mehr Fachkräfte aus dem Ausland, die in die Rentenversicherung einzahlen.