Berlin. Die Ampel will das Rentensystem reformieren. Warum die Verbände nun skeptisch sind und ein Verbot „unethischer“ Investitionen fordern.

  • Die Ampel-Regierung will das deutsche Rentensystem reformieren
  • Künftig soll ein Teil der Einnahmen der Rentenkasse an der Börse angelegt werden
  • Was dahintersteckt – und warum es auch reichlich Kritik gibt

Das Rentensystem in Deutschland steht vor einer grundsätzlichen Neuerung. Das derzeitige Umlagesystem, bei dem die Beiträge der gesetzlich Rentenversicherten direkt in die Finanzierung der laufenden Altersbezüge fließen, soll um ein neues Instrument ergänzt werden.

Nach Vorstellungen der Ampel-Koalition sollen künftig auch Erlöse aus Wertpapieren zur Stabilität des Systems beitragen. SPD, Grüne und FDP sehen darin eine zusätzliche Geldquelle, um die gesetzliche Rente auf Dauer zu finanzieren. Es ist vor allem ein Wunschvorhaben der Liberalen und ihres Chefs Christian Lindner.

Geplant ist der Einstieg in eine teilweise Kapitaldeckung. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu, „in einem ersten Schritt“ solle die gesetzliche Rentenversicherung im Jahr 2022 einen Kapitalstock von zehn Milliarden Euro aus dem Bundesetat erhalten, um ihn an den Finanzmärkten zu investieren.

Reform der Rente: „Es muss ein Gesetz sein – und das werden wir auch machen“

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist von dieser Neuausrichtung im Rentensystem überzeugt. „Ich finde es vollkommen richtig, dass wir den Fonds in Höhe von 10 Milliarden Euro intelligent und sicher anlegen. Und nicht nur in Staatspapiere, zumal die im Moment bekanntlich keine große Rendite abwerfen.“

Ihm sei wichtig, das Rentenniveau dauerhaft bei 48 Prozent stabil zu halten. Das gehe über eine gute Arbeitsmarktpolitik, „aber eben auch durch eine kapitalgedeckte Ergänzung bei der Rente“, sagte Heil unserer Redaktion.

Ein liberaler Ansatz zur Rente wird von einem sozialdemokratischen Minister umgesetzt: Christian Lindner begrüßt Hubertus Heil (r.) im Bundestag mit Corona-Faust.
Ein liberaler Ansatz zur Rente wird von einem sozialdemokratischen Minister umgesetzt: Christian Lindner begrüßt Hubertus Heil (r.) im Bundestag mit Corona-Faust. © picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Wie das im Detail aussehen wird, ist nach Worten des Ministers noch offen. „Über die genauen Regeln und die konkrete Umsetzung des Vorhabens aus dem Koalitionsvertrag werden wir uns unterhalten“, verdeutlichte er mit Blick auf die Ampel-Partner FDP und Grüne. „Fest steht: Es muss ein Gesetz sein – und das werden wir auch machen“, sagte Heil.

Sozialverbände: Rentengeld soll nicht in fragwürdige Konzerne investiert werden

Sozialverbände und Entwicklungshilfeorganisationen sind allerdings skeptisch. Sie verlangen gesetzliche Vorkehrungen, um zu verhindern, dass am Ende die Schwächsten den Preis für die Profite der deutschen Rentenkasse zahlen. Bei öffentlichen Investitionen müsse ausgeschlossen sein, dass Staatsgeld in Wertpapiere von Konzernen fließt, die sich über Kriterien wie nachhaltiges Wirtschaften und faire Arbeitsbedingungen hinwegsetzen.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, betonte, im Fall einer Kapitalrente brauche es „einen sehr eng gefassten Ethikkodex“. Die Bürgerinnen und Bürger hätten zurecht hohe ethische Ansprüche an den Staat und an die gesetzliche Rentenversicherung, sagte Schneider unserer Redaktion.

„Unternehmen, bei denen man davon ausgehen kann, dass in ihren Produktions- und Lieferketten die Einhaltung von Menschenrechten oder Klimaschutzstandards missachtet werden, fallen aus“, so Schneider. Dies gelte auch für Investitionen in Konzerne, die gesundheitsgefährdende Erzeugnisse herstellten wie etwa Zigaretten und Alkohol, oder für Firmen, die Rüstungsgüter produzierten.

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Auch Jutta Albrecht, Referentin für ethisches Investment und Nachhaltigkeit bei der evangelischen Entwicklungshilfeorganisation Brot für die Welt, verlangte: „Investitionen in eine öffentliche Aktienrente sollten sich zwingend an ethisch-nachhaltigen Kriterien ausrichten.“ Der Staat müsse hier eine Vorbildfunktion einnehmen, sagte Albrecht unserer Redaktion.

Rente: Paritätischer Gesamtverband für Ethikkodex im Gesetz

Auszuschließen seien beispielsweise Investitionen in Unternehmen, die „Zwangs- oder Kinderarbeit zulassen oder den gesetzlichen Mindestlohn nicht bezahlen“. Auch Anteile von Konzernen, die ihre Gewinne mit klimaschädlicher Verstromung von Kohle und Gas sowie Atomenergie erwirtschafteten oder „Modelle zur Steuervermeidung“ verfolgten, sollten ausgenommen werden. Dies seien „die Mindestausschlusskriterien“, betonte Albrecht. Diese Anforderungen sollten in einem entsprechenden Gesetz zur Aktienrente „verpflichtend aufgeführt werden“.

Schneider sieht den Bundestag in der Verantwortung. Das Parlament müsse „unbedingt über die ethischen Kriterien der Anlagen entscheiden. Anders kann es nicht gehen.“

Auch was das Risiko bei der Kapitalrente angeht, fordern die Organisationen strikte Auflagen. „Investitionen in Hochrisikopapiere schließen sich bei nachhaltigen Geldanlagen von vornherein aus“, sagte Albrecht. Schneider sieht es ähnlich. Papiere, die in kurzer Zeit besonders hohe Spekulationsgewinne abwerfen, kämen nicht infrage. „Die Rentnerinnen und Renten erwarten ein Höchstmaß an Sicherheit“, betonte Schneider. Mit Kapitalmärkten verbänden jedoch viele in Deutschland „das genaue Gegenteil – nämlich Risiko“. Das Vertrauen in Aktien sei gering. „Die Menschen wollen nicht, dass mit Rentengeldern gezockt wird.“

Lohnt sich die Aktienrente überhaupt?

Insgesamt hat Schneider große Zweifel, was die geplante Neuausrichtung bei der Rentenfinanzierung angeht. „Die Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 und auch die pandemiebedingte Krise haben die Überlegenheit des Umlagesystems aufgezeigt“, sagte der Verbandsgeschäftsführer.

Die Kapitalrente lohne sich hingegen wirtschaftlich nicht, „wenn man es ethisch vertretbar macht und auf eine Art, die dem hohen Sicherheitsbedürfnis der Menschen gerecht wird“. Insofern könne der Staat dieses Milliardenprojekt auch gleich aufgeben – und das Geld stattdessen „auf das Sparbuch legen“.