Berlin. Nach dem Ende der Aktionswoche zum Impfen zieht Bundesgesundheitsminister Spahn eine positive Bilanz. Doch eine Riesensorge bleibt.

Im späten Winter, am Abend des 1. Februar, trat Angela Merkel vor die Kameras und versprach: Bis zum Ende des Sommers bekommt jeder Bürger ein Impfangebot. „Glaubt sie doch selbst nicht“, dachten damals viele. Nun ist der Sommer zu Ende. Und die Lage hat sich um 180 Grad gedreht: Impfdosen gibt es genügend. Jeder, der will, kann sich impfen lassen. Doch Millionen Menschen wollen gar nicht. Wie sieht also die Impfbilanz am Ende des Sommers aus? Durchwachsen. Denn: Eine Riesensorge bleibt.

Es ist nur ein Detail, aber dieses Detail erzählt viel über die Lage in Deutschland, jetzt, vor dem zweiten Corona-Herbst: In Sachsen waren zuletzt weniger als 60 Prozent des Kita-Personals geimpft, in den vier anderen östlichen Ländern sieht es nicht viel besser aus. Drei von zehn Erzieherinnen sind hier ohne Impfschutz, aber in täglichem Kontakt ausgerechnet mit denjenigen, die bislang gar nicht geimpft werden können: Kinder unter 12 Jahren. Dass die Impfquote der Kita-Beschäftigten in Sachsen mit knapp 60 Prozent noch deutlich höher liegt als im Landesdurchschnitt, beruhigt da nur wenig.

An diesem Wochenende ist die bundesweite Aktionswoche zum Impfen zu Ende gegangen. Vielleicht hat sich die eine oder andere Erzieherin impfen lassen. Aber reicht das? Im Gespräch mit unserer Redaktion zieht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine positive Bilanz der Impfwoche. „Wir haben in der Aktionswoche insgesamt rund 500.000 der wichtigen Erstimpfungen geschafft, etwa die Hälfte dürfte auf Aktionen zurückgehen“, sagt der CDU-Politiker. Vereine, Organisationen, Privatinitiativen und viele Freiwillige hätten die Impfwoche zu einem Erfolg gemacht. „Sie haben rund 1500 Impfaktionen im gesamten Bundesgebiet auf die Beine gestellt“, bilanziert Spahn. Möglicherweise habe es sogar noch deutlich mehr gegeben.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) besichtigt ein Impfzentrum bei Hamburg und spricht mit einer Bürgerin, während sie geimpft wird.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) besichtigt ein Impfzentrum bei Hamburg und spricht mit einer Bürgerin, während sie geimpft wird. © picture alliance / photothek | Xander Heinl

Delta-Variante könnte Lage auf Intensivstationen jederzeit eskalieren lassen

Spahn weiß natürlich, dass es im Frühsommer Zeiten mit mehr als einer Millionen Impfungen am Tag gab. Doch zuletzt gingen die Zahlen von Woche zu Woche immer weiter in den Keller. Dann kam die Impfwoche. „Keinen weiteren Rückgang zu sehen, ist schon ein Erfolg“, betont der Minister. Von einer Impfaktion mehr als 100 bis 200 Impfungen am Tag zu erwarten, sei unrealistisch.

Sorge bereitet Spahn jetzt vor allem die nach wie vor große Gruppe Ungeimpfter in der älteren Bevölkerung: „Von den 24 Millionen Menschen im Alter über 60 Jahren sind knapp vier Millionen noch ungeimpft – das ist fast jeder sechste in dieser Risikogruppe“, warnt der Minister. „Würde sich mit der sehr ansteckenden Delta-Variante ein Großteil dieser Gruppe innerhalb weniger Wochen infizieren, dann würden unsere Intensivstationen sehr unter Stress kommen.“

Machen ihm denn die aktuellen Zahlen keine Hoffnung auf einen glimpflichen Verlauf der Pandemie im Herbst? Immerhin stagniert die Inzidenz seit ein paar Tagen, zuletzt war sie sogar rückläufig. „Im letzten Jahr hatten wir um diese Zeit einen ähnlichen Effekt“, sagt Spahn. Ein Grund dafür sei, dass die Reiserückkehrer-Welle mit dem Ende der Sommerferien jetzt vorbei sei. Dazu kämen die vielen Tests in Schulen, bei denen etliche Infektionen gefunden wurden – durch die aber auch weitere Fälle verhindert werden konnten.

Spahn glaubt an einen sicheren Corona-Winter

Und nun? Im Herbst 2020 gingen die Zahlen ab Oktober wieder durch die Decke. „Wenn keine völlig neue Virus-Variante kommt, schaffen wir es aus meiner Sicht mit 3G, den AHA-Regeln und möglichst vielen Impfungen sicher durch Herbst und Winter“, so der Minister. „Danach können wir, wenn alles gut läuft, mit dem Virus leben – weil bis dahin die meisten entweder durch Infektion oder Impfung einen Immunschutz haben.“ Er könne, schiebt er noch nach, „nur empfehlen, den sicheren Weg über eine Impfung zu gehen“.

Um das Impftempo zu erhöhen, könnten steuerliche Anreize helfen: Der Staat solle Unternehmen unterstützen, die sich zum Beispiel mit Rabattaktionen fürs Impfen engagierten, schlägt Spahn vor. „Solche Aktionen von Unternehmen für ihre Beschäftigten oder Kunden kann der Staat steuerlich fördern.“

Dafür würde er gerne mit Finanzminister Olaf Scholz einen Vorschlag machen. Staatliche Prämien fürs Impfen dagegen lehne er ab. Solche Anreize seien denen gegenüber unfair, die schon geimpft seien. In der Debatte um Impfanreize hatte sich Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger Ende der Woche für Geldprämien ausgesprochen. Auch aus den Reihen der Linken hatte es bereits Forderungen nach einer Geldprämie gegeben.

Spahn: „Es ist für die Bürger mal wieder sehr verwirrend“

Mit Blick auf die Debatte über schärfere Regeln für Ungeimpfte pocht Spahn auf bundeseinheitliche Regeln für Veranstalter: Er fände es richtig, dass einige Bundesländer bereits eine 2G-Regel als Option und Ergänzung zum 3G-Modell eingeführt hätten. „Aber es ist für die Bürger mal wieder sehr verwirrend, dass jedes Bundesland seinen eigenen Weg geht.“ Es gebe für Konzerte oder Veranstaltungen aktuell 16 unterschiedliche Regeln.

„Wir sollten hier zu einer gemeinsamen Linie kommen“, fordert Spahn. „Ideal wäre, wenn sich alle Länder auf das 2G-Modell als Option einigen.“ Die Veranstalter könnten dann bundesweit selbst entscheiden, ob sie nur Geimpfte und Genesene einlassen, um im Gegenzug von anderen Schutzauflagen befreit zu werden, so Spahn.

Impfungen für Kinder unter 12 wohl erst nächstes Jahr

Doch was ist mit neun Millionen Kindern, für die es noch gar keinen Impfstoff gibt? Nicht nur in den sächsischen Kitas – überall im Land werden die Kleinsten und ihre Eltern möglicherweise noch bis zum Frühjahr auf eine Impfung warten müssen: Spahn jedenfalls dämpft die Erwartungen an eine schnelle Zulassung eines Corona-Impfstoffs für Kinder unter zwölf Jahren: „Ich gehe davon aus, dass die Zulassung für einen Impfstoff für Kinder unter 12 Jahren im ersten Quartal 2022 kommt.“

Zwischen der formalen Zulassung und einer konkreten Impf-Empfehlung durch die Stiko könne dann noch einmal Zeit vergehen: „Eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission wird auch in diesem Fall zeitlich etwas später kommen“, so Spahn. Der Impfstoffhersteller Biontech hatte vor einigen Tagen angekündigt, bereits in den kommenden Wochen die Zulassung seines Corona-Impfstoffs für Kinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren beantragen zu wollen.

Bis Merkels Versprechen wirklich für alle Bürger gilt, auch für die Kleinsten, werden wohl noch Monate vergehen.