Berlin. Die Pläne des Gesundheitsministers im Kampf gegen Corona sind ein datenschutzrechtlicher Alptraum. Jetzt ist der Bundestag gefragt.
Stellen Sie sich vor, bald öffnet wieder Ihr Fitnessstudio oder das Schwimmbad um die Ecke. Nach wochenlanger Corona-Abstinenz stehen Sie vor dem Drehkreuz. Ein blinkender Scanner verlangt nach der neuen Corona-App der Bundesregierung, die im Volksmund dann längst „Spahns Spionage-App“ heißt. Sie halten das Handy vor den Laser. Das Display leuchtet rot auf. Kein Eintritt!
Ihre auf dem Smartphone gespeicherte App hat die Information übermittelt, dass Sie noch keinen positiven Antikörpertest auf Covid-19 vorweisen können. Bei einem anderen Besucher schaltet das Drehkreuz auf Grün. Er hat das Coronavirus bereits überstanden und darf sich vergnügen. Guter Corona-Bürger, schlechter Corona-Bürger?
Coronavirus-Pandemie: Spahns Pläne sind beunruhigend
Die Beispiele sind aus der Luft gegriffen. Aber was Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit seinen erweiterten Meldepflichten und einem Immunitätsausweis vorhat, geht im Kern in diese Richtung. Das ist beunruhigend. Wollen wir bei der Bekämpfung der Pandemie in zentralen Datensätzen so eine Klassifizierung, die zu einer Stigmatisierung weiter Teile der Bevölkerung führen könnte? Noch ist wissenschaftlich gar nicht erwiesen, dass Patienten mit ausgeheilter Corona-Infektion wirklich immun sind und wie lange die Immunität anhält.
Spahn bekommt bislang gute Noten für sein Krisenmanagement. Das darf nicht verdecken, dass die Prävention des Ministers lausig war. Die Pandemie fiel nicht vom Himmel. Von flächendeckenden Covid-19-Tests in Schulen, Kitas, Pflegeheimen und Betrieben ist das wirtschaftsstärkste Land Europas unverändert meilenweit entfernt. Das gilt ebenso für Schutzausrüstung.
Bundesregierung scheitert bislang an Corona-Tracing-App
Während Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) auf dem Leipziger Flughafen (wohlgemerkt medizinisch unverschleiert) Millionen Masken aus China in Empfang nimmt, baut der Lübecker Medizintechnikkonzern Dräger eine Maskenfabrik in den USA. In zwei bis drei Monaten ist die Anlage fertig. Er würde ja auch in Deutschland eine bauen. Die Regierung zögere aber, sagt der Dräger-Chef.
Nun will Spahn im Hauruckverfahren vom Bundestag neue Befugnisse haben. Dabei schafft es die Regierung bis heute nicht, eine datenschutzrechtlich wasserdichte Corona-Tracing-App einzuführen. Mit sinkenden Fallzahlen bewegt sich Deutschland hoffentlich in eine Phase weiterer, vorsichtiger Lockerungen hinein. Spahn sollte in diesem heiklen Stadium gut abwägen, was dem Land nutzt oder nur Verunsicherung stiftet.
Corona-Checks am Supermarkteingang? Nein, danke!
Die Freiheits- und Grundrechte sind bereits maximal ausgehöhlt worden. Jetzt den gläsernen Corona-Bürger zu verlangen ist überzogen. Patientendaten sind zu Recht geschützt. Zum Glück weiß niemand, ob der Nachbar, die Kollegin oder der Bekannte HIV-positiv ist, einen Leberschaden hat oder seit Jahren Antidepressiva nimmt. Das geht nur die Betroffenen und deren Ärzte und Ärztinnen etwas an. Dieses Selbstbestimmungsrecht über intimste Daten darf nicht geopfert werden.
Spahn scheint da wenig zimperlich zu sein. Er wollte vor ein paar Monaten alle Deutsche per Gesetz automatisch zu Organspendern machen. Jeder hätte aktiv widersprechen müssen. Der Bundestag lehnte das mit klarer Mehrheit ab. Warum muss es eine gesetzliche Meldepflicht für Bürger und Bürgerinnen geben, die nachweislich kein Coronavirus haben? Von ihnen geht dann doch gerade keine Gefahr aus.
Sollten Urlaubsländer wie Österreich einen Nachweis verlangen, könnte jeder für sich selbst entscheiden. Freiwillig. Ansonsten muss Spahn nachsitzen und glasklar regeln, dass ein Corona-Immunitätspass nur Behörden bei der Pandemie-Bekämpfung helfen soll, aber nicht zur Selektion im öffentlichen Leben missbraucht werden kann. Corona-Checks am Supermarkteingang? Nein, danke!
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