Washington. Erst kündigt der Iran „schwere Vergeltung“ gegen die USA an. Jetzt schießt Trump verbal zurück: 52 iranische Ziele seien im Visier.

1500 Jahre lang thronten die berühmten Buddha-Statuen von Bamiyan in afghanischer Erde. Bis die radikal-islamischen Taliban sie 2001 sprengten und weltweit Empörung auslösten. US-Präsident Donald Trump behält sich im eskalierenden Konflikt mit dem Iran offenbar vor, ebenfalls historisch wertvolles Kulturerbe zur Zielscheibe zu machen.

Die Drohung kam per Tweet. Falls Teheran nach der von ihm angeordneten Tötung von General Ghassem Soleimani Vergeltungsdrohungen gegen amerikanische Bürger oder Einrichtungen wahr machen sollte, würden die USA 52 prominente Ziele im Iran „sehr schnell und sehr hart“ angreifen. Darunter befänden sich auch solche, die „sehr bedeutsam für den Iran und die iranische Kultur“ seien. Der Chef des Weißen Hauses löste damit eine Flut von Reaktionen aus.

Iran: Amerika fehlt der Mut zum Angriff

Der Iran wies Trumps Drohung zurück. Er bezweifle, dass die USA „den Mut haben“, ihre Drohungen wahr zu machen, erklärte der Oberbefehlshaber der iranischen Armee, General Abdolrahim Mussawi. Mit solchen Äußerungen wollten die USA nur die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von ihren „abscheulichen und unentschuldbaren Taten“ ablenken. Irans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif warnte die USA, jede Entscheidung, die Kulturstätten des Landes ins Visier zu nehmen, sei ein „Kriegsverbrechen“.

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Die Königstadt Persepolis gehört zum Weltkulturerbe

Laut der Kultur-Organisation der Vereinten Nationen (Unesco) zählen im Iran rund 20 Stätten – etwa die 2500 Jahre alten Ruinen der ehemaligen Königstadt Persepolis – zum Weltkulturerbe. Das zu beschädigen, stellt nach der 2015 vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Resolution 2199 ein Kriegsverbrechen dar.

2016 hatte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Islamisten aus Mali wegen der Zerstörung von zehn historischen Gebäuden in der Wüstenstadt Timbuktu zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Es war eine Premiere.

52 Ziele stehen für 52 gekidnappte US-Diplomaten

Auf diesen Zusammenhang weisen Nutzer in sozialen Medien hin und werfen Trump eine unnötige Zuspitzung der Lage vor. Andere äußern die Vermutung, Trump habe die Angriffsliste „erfunden“. Niemals würde das Pentagon dem Präsidenten die Zerstörung von Moscheen oder alten Königspalästen im Iran empfehlen, schrieb ein Twitter-User.

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Trump erklärte, die Zahl 52 stehe symbolisch für die 52 US-Diplomaten, die der Iran Ende 1979 in der US-Botschaft in Teheran als Geiseln hielt. In Richtung Teheran appellierte Trump mit Nachdruck: „Keine weiteren Drohungen mehr!“.

Zuvor hatte ein Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden, deren Al-Kuds-Brigaden Soleimani befehligt hatte, gesagt, dass 35 US-Basen im Nahen Osten sowie die israelische Stadt Tel Aviv in Feuerreichweite des Iran lägen.

Ob Trump tatsächlich Unesco-Weltkulturerbe-Stätten wie die 2500 Jahren alten Ruinen der ehemaligen Königstadt Persepolis in Schutt und Asche legen würde, steht dahin. Aber es zeigt nach Ansicht von Experten in Washingtoner Denkfabriken, worum es dem Präsidenten drei Tage nach seiner bisher folgenschwersten und umstrittensten Entscheidung geht: „Er will in der Konfrontation die Dominanz behalten.“

Welchen Plan hat Trump? Es gibt immer mehr Puzzlesteine

Warum genau hat Trump, der seinen Wählern doch den Verzicht auf militärische Abenteuer fest versprochen hatte, die Nummer zwei in der Hierarchie des Irans per Drohnen-Attentat hinrichten lassen? Warum hat er die Tür zu einer Eskalation mit ungewissem Ausgang geöffnet?

Und: Welchen Plan hat er, wenn Teheran – wie sattsam angekündigt – Rache nehmen wird für die Ermordung von Soleimani? Details liegen noch im Dunkeln. Trump wie auch seine Top-Minister und Militärs geben kaum etwas preis. Aber es mehren sich die Puzzlesteine.

Der Präsident will nicht als Schwächling dastehen, der nur mit dem Säbel rasselt

Als Motiv für den Tötungsbefehl schält sich zunehmend eine Ego-getriebene Angst vor Gesichtsverlust zu Beginn des Wahljahres heraus. Trump beschlich die Sorge, in der Öffentlichkeit und in der republikanischen Partei „als Schwächling identifiziert zu werden, der nur rhetorisch mit dem Säbel rasselt“, heißt es in Regierungskreisen.

Hintergrund: Ende Juni sagte er einen Militäreinsatz gegen Teheran in letzter Sekunde ab. Zeitgleich blieb seine nach dem Ausstieg aus dem Atomabkommen praktizierte Politik des „maximalen Drucks“ durch Wirtschaftssanktionen gegenüber Teheran wirkungslos. Die einzige Verhaltensänderung des Irans bestand darin, noch bellizistischer aufzutreten.

Mit der Beinahe-Erstürmung der US-Botschaft in Bagdad wurde eine rote Linie überschritten

Mit dem Tod eines amerikanischen Militärübersetzers, der Ende Dezember im Nordirak nach einem Raketenangriff pro-iranischer Milizen starb, sei für Trump eine „rote Linie“ ins Blickfeld geraten, heißt es in der „New York Times“, die kurz darauf durch die Beinahe-Erstürmung der US-Botschaft in Bagdad überschritten wurde. Trump habe das Geschehen an den tödlichen Anschlag auf die diplomatische US-Vertretung im libyschen Bengasi 2012 erinnert.

Als Ajatollah Ali Chameinei, der oberste Führer des Irans, öffentlich höhnte, Trump könne nichts gegen die Proteste ausrichten, haben sich der Präsident – zur Verwunderung seiner obersten Militärs – für die Extremlösung entschieden. Unter den ihm in seinem Winter-Domizil Mar-a-Lago präsentierten Strafaktionen griff Trump zur größten Keule: Soleimanis Exekution auf irakischem Territorium. Hat jemand versucht, es ihm auszureden? Unbekannt.

Bei den nächsten Wahlen im Iran könnten die erzkonservativen Hardliner triumphieren

Trumps Entscheidung liegt eine „Hochrisiko-Wette“ zugrunde, sagen Diplomaten im Außenministerium: „Weil Amerikas militärische Übermacht zu stark ist, denkt er, wird der ökonomisch geschundene Iran nach begrenzten Retourkutschen einlenken und sich an den Verhandlungstisch zwingen lassen.“

Dass Trump mit der Ermordung eines Volkshelden den Iran zu einem schärferen Atomabkommen und zur Aufgabe seines zerstörerischen Hegemonialstrebens bewegen kann, halten fast alle Experten in Washington für „surreal bis weltfremd“. Stattdessen würden bei den Wahlen zum iranischen Parlament in einigen Wochen und bei der Präsidentschaftswahl 2021 voraussichtlich erzkonservative Hardliner die Oberhand gewinnen und den Graben zwischen Washington und Teheran noch mehr vertiefen.

Die Beweislage der US-Regierung gilt als „hauchdünn“

Zumal die Zweifel an Trumps Begründung für die Ermordung Soleimanis massiv sind. Bis heute gibt es keine unabhängig nachprüfbaren Belege dafür, dass durch die Tötung eine „unmittelbar bevorstehende“ Gefahr für Hunderte abgewendet wurde, wie Außenminister Mike Pompeo behauptet.

Die für ihre Arbeiten über das Terror-Netzwerk „Islamischer Staat“ (IS) preisgekrönte New York Times-Journalistin Rukmini Callimachi berichtet unter Berufung auf US-Regierungs-Mitarbeiter, dass die Beweislage allenfalls „hauchdünn“ und von akuter Gefahr keine Rede gewesen sei.

Die Demokraten ziehen bereits Vergleiche zur Irak-Invasion unter Präsident George W. Bush

Die Demokraten ziehen bereits Vergleiche zur erlogenen Begründung - Saddam Husseins Besitz von Massenvernichtungswaffen - für den Einmarsch der USA in den Irak 2003 unter Präsident George W. Bush. Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, erklärte, die Tötung Soleimanis werfe „ernsthafte und drängende Fragen über das Timing, die Ausführung und die Begründung der Entscheidung der Regierung auf“.

Das zielt auch auf Pompeo. Er behauptet, Soleimanis Tod habe die Welt sicherer gemacht. Die Realität: Alle Amerikaner sind aufgerufen, schnellstens den Irak zu verlassen. Die rund 40 US-Militärbasen im Nahen Osten mit rund 60.000 Soldaten sind im Alarmzustand. Es wird stündlich mit Vergeltungsschlägen des Iran gerechnet. Die Nato hat ihre Ausbildungsmission für das irakische Militär gestoppt.

Experten sehen den Versuch einer Ablenkung vom Amtsenthebungsverfahren

Callimachi deutete - wie viele andere auch - an, dass Trumps Entscheidung mit dem jetzt in die heiße Phase eintretenden Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) in Verbindung stehen könnte. Außenpolitisch ablenken, um innenpolitisch Druck aus dem Kessel zu kriegen und im Falle einer nicht auszuschließenden kriegerischen Auseinandersetzung die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu versammeln?

Das könnte sich als Trugschluss erweisen. Rund 75 Prozent der Amerikaner lehnen laut Umfragen eine militärische Auseinandersetzung mit dem Iran ab. Landesweit wichtige Meinungsmacher in konservativen Medien wie Tucker Carlson von Fox News haben sich bereits von Trump distanziert.

Ehemaliger Vize-Chef der CIA rechnet mit Ermordung von hochrangigem US-Regierungsmitarbeiter

Dass der keinen Krieg will, ist bekannt. Aber kann er ihn verhindern, wenn die Fliehkräfte zu groß werden? Mike Morell, Vize-Chef des Geheimdienstes CIA unter Präsident Obama, geht fest davon aus, dass der Iran „zu einem Zeitpunkt seiner Wahl irgendwo auf der Welt“ einen hohen amerikanischen Regierungsoffiziellen umbringen lassen wird.

Was dann? Der frühere Top-General im Afghanistan-Krieg, Stanley McChrystal sagt, die Regierung hätte Monate im voraus denken und alle Konsequenzen durchspielen müssen, bevor der Exekutionsbefehl für Soleimani erging. Hat Donald Trump das Ende bedacht?