Berlin. Tausende Landwirte aus ganz Deutschland demonstrieren mit ihren Traktoren in Berlin. Wir haben sie gefragt, was sie besonders bewegt.

In dem Moment, als Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) auf die Bühne tritt, wird die Menge bei den Bauernprotesten in Berlin plötzlich unruhig. Viele rufen, pfeifen und buhen. Sie haben Schilder mit Botschaften mitgebracht auf denen steht „Landwirtschaft vor Ort statt billigem Import“ und „Politiker reden, wir liefern“.

Als Klöckner sagt, dass auch sie aus der Landwirtschaft kommt, beginnt die Menge zu lachen. Die Landwirte sind sauer. Auf die Regierung, die sie nicht angemessen vertrete, die Gesellschaft, die ihren Beruf nicht zu schätzen wisse und auf die EU, die unsinnige Vorschriften mache.

Dieser Ärger entlädt sich in Berlin so laut, dass Klöckner kaum Gehör findet. „Wir brauchen mehr Dialog und ich bin gekommen, um ihnen zuzuhören. Und ich würde mich freuen, wenn Sie auch mir zuhören könnten“, versucht sie die Menge zu beschwichtigen.

Bauern-Protest: „Außerordentlich, dass wir hier so zusammen kommen“

Tausende Landwirte sind mit ihren Traktoren aus allen Teilen Deutschlands nach Berlin gekommen. Manche haben mehrere Tage gebraucht und teilweise sogar in den Führerhäusern ihrer Traktoren übernachtet. Egal. Denn diese Demonstration ist ihnen besonders wichtig, obgleich demonstrieren für sie Neuland ist. „Wir Landwirte sind es nicht gewohnt, auf die Straße zu gehen. Eigentlich sind wir alle irgendwo Einzelkämpfer. Da ist es schon außerordentlich, dass wir hier so zusammen kommen“, sagt Maren Cramm.

Cramm ist gemeinsam mit ihrem Mann Stefan aus Einbeck in Niedersachsen angereist. Die beiden jungen Ackerbauern bewirten in ihrer Heimat rund 1000 Hektar Land, auf dem sie unter anderem Weizen anbauen. Von den Vorwürfen aus der Bevölkerung und den Forderungen der Politik fühlen sie sich ungerecht behandelt.

Man dürfe sich nicht von der „Grünen Welle“, wie sie es nennen, in die Enge treiben lassen, denn das sei für viele Landwirte finanziell einfach nicht machbar. „Man kann nicht von heute auf morgen alles umstellen. In der Landwirtschaft wird auf lange Sicht investiert. Solche Pläne können nicht vom Zeitgeist abhängig gemacht werden“, sagt Stefan Cramm, der auch Vorsitzender der Jungen Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft ist. Eindeutig ist, dass der Frust bei den Landwirten wächst.

„Bauernbashing“ – selbst ihre Kinder würden gemobbt

Besonders das Image der Landwirte in der Öffentlichkeit ärgert viele. Der Begriff „Bauernbashing“ ist auf der Demonstration in aller Munde. Kinder, so berichtet eine Rednerin auf dem Podium, werden in der Schule dafür gemobbt, dass ihre Eltern Landwirte sind. Ihnen werde gesagt, sie riechen nach Kuhstall und seien schmutzig. Die Landwirte selbst werden als Tierquäler und Insektentöter bezeichnet.

Morten Harms ärgert das. „Wir sind immer der Buhmann der Nation“, sagt der Ackerbauer aus Uelzen in der Lüneburger Heide. Es könne nicht sein, dass eine Berufsgruppe für alle Probleme verantwortlich gemacht wird. Denn an den hohen Nitratwerte im Boden seien nicht ausschließlich die Bauern schuld.

Was Harms hier anspricht, sind die von der EU festgelegten Grenzwert für die Nitratbelastung im Boden. Durch das Düngen mit Gülle steigt der Nitratwert im Boden. Zuletzt war er so hoch, dass Deutschland aktuell deutlich über dem Richtwert der EU drüber liegt. Deshalb drohen der Bundesregierung jetzt Geldstrafen von bis zu 850 000 Euro pro Tag. Die Folge: Die Bundesregierung verschärfte die Auflagen für die Bauern.

Auch Kläranlagen sollen den Nitratwert erhöhen

Viele finden das unfair, denn in ihren Augen sind es auch die Kläranlagen, die den Nitratwert im Boden massiv erhöhen. „In Brunnen in Hamburg wurden viel zu hohe Nitratwerte gemessen. Dabei gibt es da kaum noch Landwirtschaft. Schuld sind die veralteten Kläranlagen, deren Rohre morsch sind und die ihre Abwässer direkt in die Flüsse leiten,“ sagt Harms.

Vielerorts werde auch schon sehr fortschrittliche Technik eingesetzt, um eine zu hohe Nitrat-Belastung zu verhindern. So zum Beispiel GPS gesteuerte Traktoren, die genaue Bereiche besprühen und so Überdüngung verhindern. Morten Harms und seine Frau Nanna machen sich Sorgen. Eines ihrer drei Kinder soll irgendwann den Hof übernehmen. Doch ob es ihren Hof bis dahin überhaupt noch gibt, ist unklar.

Protest der jungen Landwirte

Dass die Proteste auch im Zeichen der kommenden Generation stehen, wird klar, wenn man sich den Altersdurchschnitt der Demonstranten ansieht. Anna Rindler, Carla Isenberg und Gesche Beerbaum stammen alle drei aus Ackerbaubetrieben. Die jungen Frauen Anfang 20 haben Agrarwissenschaften studiert und sorgen sich jetzt um die Zukunft der Höfe ihrer Familie n in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Der Vorwurf, dass den Landwirten die Insekten egal seien, der vor allem von Umweltschützern kommt, die jetzt auch die Demonstrationen kritisieren, macht sie besonders wütend.

„Wir brauchen die Insekten doch selbst für unsere Ernte. Es wäre doch absurd, wenn wir sie abtöten würden“, sagt Isenberg. Die jungen Frauen sind sich einig: Es braucht dringend einen gemeinsamen Dialog und eine starke Landwirtschaftsministerin, die nicht für Stimmen auf der ‘Grünen Welle’ reite. Auch Stefan Cramm kritisiert: „Die Agrarpolitik wird oftmals zum Spielball der Koalition.“

Isenberg hat eine Zeit lang in Hamburg gelebt. Ihrer Meinung nach sind viel eher die Städte das Problem. „Wir bieten mit unserer Arbeit den Insekten einen Lebensraum, den es in Städten wegen der Versiegelung schon lange nicht mehr gibt. Außerdem ist die Lichtverschmutzung in Städten deutlich höher. Insekten wie Nachtfalter haben da gar keine Chance mehr.“

Insekten teilweise bessere Bedingungen in der Stadt als auf dem Land

Zahlen legen jedoch nahe, dass die Insekten in Städten stellenweise sogar bessere Bedingungen haben als auf dem Land. Experten fanden bei einem Vergleich von Pflanzen heraus, dass diejenigen in der Stadt von Hummeln deutlich häufiger bestäubt werden als auf Feldern auf dem Land. Gleichzeitig zeigte die Studie, dass die Vielfalt der Blumen durch privaten Anbau in der Stadt größer ist als in der modernen Landwirtschaft.

Obwohl Julia Klöckner ins Kreuzfeuer geraten ist, bemüht sie sich in ihrer Rede um Gesprächsbereitschaft. Man habe die Sorgen der Landwirte laut und deutlich gehört und ist bereit, neben mehr Geld und mehr Wertschätzung auch einen intensiveren Dialog anzubieten. Der erste Schritt sei ein gemeinsames Gespräch der Bundeskanzlerin und 40 Landwirtschaftsverbänden am 2. Dezember.

Doch auch die Landwirte selbst sollen über ein nationales Dialogforum einbezogen werden. Damit soll durch ganz Deutschland getourt werden. Doch auch schon heute sei ein Gespräch möglich. „Vor der Bühne stehen Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums. Wer möchte, kann sie gerne ansprechen“, sagt Klöckner am Ende ihrer Rede.