Berlin. Wieder protestieren Tausende Bauern gegen die Agrarreformen – diesmal in Berlin. Ministerin Klöckner will sich den Landwirten stellen.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat die von der Bundesregierung geplanten Reformen in der Landwirtschaft verteidigt. Dazu gehören unter anderem strengere Auflagen beim Insektenschutz und beim Düngen. Im RBB-Inforadio sagte die CDU-Politikerin am Dienstag, die Anpassungen seien nötig, um die Umwelt zu schützen.
„Wir sehen auf der einen Seite einen Insektenschwund. Wir sehen auf der anderen Seite, dass es zu viel Nitrat im Grundwasser gibt – an einigen Stellen“, sagte Klöckner. „Und wir sehen, dass es mehr Wunsch nach Tierwohl gibt und deshalb Stallumbauten notwendig werden.“ Die nötigen Investitionen werde „im Zweifel kein junger Mensch tätigen, sondern woanders seinen Beruf suchen. Und das ist nicht in unserem Interesse“, sagte die Ministerin.
Klöckner zu Agrarreformen: Mehr Geld für die Bauern
Klöckner verwies darauf, dass die Bauern mehr Geld bekommen sollen, damit sie die Maßnahmen stemmen können. Es sei „in unser aller Interesse, dass es regionale Landwirtschaft gibt.“ Deshalb bedürfe es der Förderprogramme, die der Bundestag am Dienstag mit „dem Rekordhaushalt für die Landwirtschaft“ beschließen werde.
Aus Ärger über die Agrarpolitik der Bundesregierung haben am Dienstag Tausende Bauern aus ganz Deutschland in Berlin demonstriert. Zu einer Kundgebung am Brandenburger Tor hatten die Veranstalter 10.000 Teilnehmer und rund 5000 Traktoren erwartet, die in einer Sternfahrt in die Hauptstadt rollen.
Durch die geplanten schärferen Vorgaben zum Insekten- und Umweltschutz und weitere Düngebeschränkungen zum Schutz des Grundwassers würden landwirtschaftliche Betriebe in ihrer Existenz gefährdet, kritisieren die Initiatoren.
Immer wieder protestieren die Landwirte
Agrarministerin Klöckner und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) sprachen zu den Demonstranten sprechen. Klöckner zeigte Verständnis und erläuterte, viele Bauern fühlten sich in die Ecke gestellt und pauschal als Umweltverschmutzer oder Tierquäler verunglimpft. Es gehe ihnen daher auch um mehr Wertschätzung, schrieb sie in einem Brief an die Unionsfraktion.
- Kritik von Umweltorganisationen: Bauern stürmen Greenpeace-Zentrale und hängen Plakat auf
Die Ministerin betonte zugleich: „Wer zu lange wartet oder sich gegen Veränderungen und Anpassungen wehrt, den ereilen die Notwendigkeiten umso heftiger.“ Für den 2. Dezember hätten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und sie rund 40 Landwirtschaftsorganisationen zum Gespräch geladen.
Fridays for Future kritisiert die Bauernproteste
Fridays for Future, die von Schülern getragene Klimaschutzbewegung, hat die Proteste der Bauern gegen Auflagen zum Insekten- und Klimaschutz scharf kritisiert: „Die Landwirtschaft in Deutschland leidet schon heute unter dem Klimawandel“, sagte Sebastian Grieme, Mitorganisator der FFF-Proteste in Deutschland, unserer Redaktion.
„Gleichzeitig produziert die deutsche Landwirtschaft jedes Jahr über 70 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente und ist damit aktiv mitverantwortlich für die Klimakrise. Deshalb ist es absurd, Staatshilfen für Klimaschäden zu wollen und sich gleichzeitig gegen Klima- und Umweltschutzmaßnahmen zu stellen.“Bei den notwendigen Umstellungen dürften die Bauern aber nicht allein gelassen werden, so Grieme weiter.
- Im Gespräch mit Landwirten: Darum sind die Bauern so wütend
Mehr Unterstützung für Klimaschutz, nicht weniger Umweltschutz sei deshalb die Antwort auf die Probleme in der Landwirtschaft. „Die Bauern sind dabei nicht unsere Feinde, sondern die Treibhausgase, die die derzeitige Agrarpolitik verursacht“, sagte Grieme.
Zu der Kundgebung in Berlin hat die Initiative „Land schafft Verbindung“ aufgerufen, in der sich Zehntausende Bauern zusammengefunden haben. Mitte November gab es schon Proteste bei der Umweltministerkonferenz in Hamburg, im Oktober fuhren Bauern in mehrere Städte, allein 6000 nach Bonn. Im Berliner Stadtgebiet wird wegen der An- und Abfahrt der Traktoren am Dienstag mit größeren Verkehrsbehinderungen gerechnet.
Einsatz von Schädlingsgiften soll beschränkt werden
Vor allem ein „Agrarpaket“, das das Kabinett im September auf den Weg gebracht hat, erregt den Ärger der Bauern. Zum Insektenschutz soll der Einsatz von Unkraut- und Schädlingsgiften stark eingeschränkt werden. Für Verbraucher soll ein neues Logo kommen, das Schweinefleisch aus besserer Tierhaltung kennzeichnet – wenn Bauern freiwillig mitmachen. Aus den wichtigen EU-Agrarzahlungen an die Höfe wird mehr Geld für Umweltmaßnahmen reserviert.
Die Liberalen forderten, das Agrarpaket auf Eis zu legen. FDP-Agrarexperte Gero Hocker warf Julia Klöckner einen „Ausverkauf der Landwirtschaft in Deutschland“ vor. Die Politik bei Tierwohl, Insektenschutz und Düngeverordnung führe zur Verlagerung der Produktion ins Ausland, sagte er. „Tieren, Insekten und Grundwasser wird damit ein Bärendienst erwiesen.“ Die FDP warnte vor einem Höfesterben.
Bauernpräsident Joachim Rukwied forderte eine grundlegende Überarbeitung der Pläne zum Insektenschutz. An Stelle von Verboten sollten Landwirte, Politik und Naturschutzorganisationen „gemeinsam Lösungen finden, wie sich Natur- und Artenschutz weiter verbessern lässt, unter Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“.
Das Konsumverhalten der Verbraucher entscheidet
Klöckner hebt auch Einflussmöglichkeiten der Verbraucher beim Einkauf hervor. „In Deutschland werden bei der Anschaffung von Küchen oft enorme Summen ausgegeben, aber nur neun Prozent des Einkommens für das, was dort dann zubereitet wird“, sagte sie den Zeitungen der Verlagsgruppe Rhein Main.
Der „Bild“-Zeitung sagte Klöckner: „Wir müssen unsere Ansprüche mit dem eigenen Konsumverhalten abgleichen. Wer mehr Tierwohl in den Ställen will, darf nicht zum billigsten Schnitzel greifen. Sonntags hohe Standards bei Tierwohl und Nachhaltigkeit predigen, Montag bis Samstag aber möglichst billig einkaufen, das geht nicht zusammen.“
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hat den demonstrierenden Bauern vorgeworfen, sie verfolgten einen „falschen Ansatz“. „Das Artensterben oder die Verschmutzung des Grundwassers gehen nicht weg, indem man es ignoriert“, sagte er RTL/N-TV am Dienstag. „Noch weniger Naturschutz machen, noch mehr Dünger ausbringen, das ist nicht die richtige Antwort.“
Grüne: Falsche Politik durch Ministerium und Bauernverband
Hofreiter sagte zugleich: „Man muss die Landwirte verstehen. Sie stehen nach Jahren falscher Agrarpolitik wirklich mit dem Rücken zur Wand.“ Sowohl das Landwirtschaftsministerium als auch der Bauernverband hätten auf immer größere Betriebe gesetzt. Das habe dazu geführt, dass es immer weniger Höfe gebe. Hofreiter forderte, den Flächenbezug bei Subventionen zu streichen und das Kartellrecht zu reformieren. Zudem brauche es neue Kennzeichnungen, um Qualitätsunterschiede auch in der konventionellen Tierhaltung für Verbraucher besser erkennbar zu machen. (dpa/max)