Berlin. Anne Will diskutierte mit ihren Gästen über die Frage, wie lange die große Koalition noch hält. Mittendrin: Kevin Kühnert und Paul Ziemiak.

Ganz am Ende, als die „Tagesthemen“ schon warteten, wollte Anne Will noch wissen, wie es mit der Großen Koalition, diesem ungeliebten Bündnis aus Union und SPD, das in den letzten Tagen und Wochen vor allem von innerparteilichen Debatten und Richtungskämpfen gelähmt wurde? Also: Hält die Regierung – oder zerbricht sie?

Die Parlamentsreporterin Kristina Dunz schaute leicht fragend, dann sagte sie vorsichtig: „Wenn die Koalition dieses Jahr übersteht, dann kann sie auch bis 2021 halten“. Kommt es aber doch zur Trennung, dann werde man sie schon bald vollziehen.

„Anne Will“ zur GroKo: Wo wollen Union und SPD hin?

Vieles ist also im Unklaren. Die GroKo macht es auch politischen Beobachtern nicht leicht – gerade nach dem Wahlwochenende und der krachenden Niederlage der CDU in Thüringen. Die Partei zeigt aktuell, dass sie sich mindestens genauso gut selbst zerfleischen kann wie die SPD. „Die Führungsfrage – wissen CDU und SPD noch, wo sie hinwollen?“, fragte Anne Will daher am Ende einer ereignisreichen Woche.

Mit Juso-Chef Kevin Kühnert und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hatte sie zwei junge Politiker eingeladen, die beide für ein klares Profil stehen – oder es zumindest vorbegeben. Bei Paul Ziemiak wusste man am Ende aber eher, wofür er nicht ist. Der Juso-Vorsitzende Kühnert spulte sein bekanntes Programm ab: Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Kurz: mehr Sozialstaat.

Man muss das nicht gut finden. Aber es ist eine Position. Ziemiak hingegen kanzelte jeden Vorschlag als „Idee aus der Mottenkiste“ ab. Die Politik, sagte der CDU-General, müsse beantworten, wie die Rente in Zukunft finanziert werden solle, wie die innere Sicherheit garantiert werden könne, wie es mit Europa und dem Euro weitergehe. Viele wichtige Fragen. Nur: Eine Antwort darauf gab Ziemiak nicht.

Ex-„Handelsblatt“-Herausgeber überrascht mit Kapitalismuskritik

Dafür aber Gabor Steingart. In Anlehnung an Friedrich Merz, der der Koalition ein „grottenschlechtes Bild“ attestierte, sagte der Journalist: „Das Erscheinungsbild des Kapitalismus ist für Millionen Menschen auch grottenschlecht“. Als Steingart das sagte, schauten sich Juso-Chef Kühnert und die ehemalige Piraten-Politikerin Marina Weisband staunend an. Eine solche Aussage hatten sie vom als wirtschaftliberal geltenden Ex-„Handelsblatt“-Herausgeber Steingart nicht erwartet.

Doch der legte nach: Neun Millionen Menschen arbeiteten in Deutschland zu Mini-Löhnen. Das Rentensystem, so Steingart, gebe darauf keine Antwort. Auch die von Union und SPD aktuell diskutierte Grundrente sei nur „ein Pflaster“, das Problem löse sie nicht. Steingarts Vorschlag: Die Rente müsse weniger über die Lohnseite, dafür mehr über die Kapitalseite finanziert werden.

Und überhaupt, die Grundrente. Die SPD fordert eine Auszahlung ohne Bedürftigkeitsprüfung, die CDU will genau das verhindern. Hier verkeilten sich Ziemiak und Kühnert stellvertretend für ihre Parteien ineinander. „Man bekommt immer Applaus, wenn man neue Leistungen fordert“, tadelte der CDU-General. Juso-Chef Kühnert konterte: „Es geht um Respekt und Anerkennung gegenüber dem Einzelnen“.

Gabor Steingart versuchte zu schlichten: „Beide haben recht“. „Rheinische Post“-Autorin Kristina Dunz konnte über den Renten-Zoff nur den Kopf schütteln. „Wenn sich die Koalition an der Grundrente zerlegt, dann hat sie es nicht besser verdient“.

Kühnert: „Ich erwarte, dass die Kanzlerin führt“

Die Runde war sich einig: Die Regierung taumelt, es fehlt an Führung. Die Richtlinienkompetenz liegt bei der Kanzlerin – eigentlich. „Eine Kanzler-Energie entweicht irgendwann“, sagte Autor Steingart. Auch Juso-Chef Kühnert schimpfte, die Kanzlerin lasse die Sache laufen. „Ich erwarte, dass sie führt und die eigene Partei ihr Beine macht“.

Auch von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer, der nächste Seitenhieb, sei bisher nichts gekommen. „Wir kommen nicht ins Laufen, weil uns gegenüber eine Partei sitzt, die die Führungsfrage nicht geklärt hat“, so Kühnert.

Dass ausgerechnet der Juso-Chef der Union vorwarf, zu lange über Führungsfragen zu diskutieren, entbehrte nicht einer gewissen Komik. Schließlich ist die SPD seit Monaten auf der Suche nach einer neuen Parteispitze. Doch die Thüringen-Wahl hat auch in der Union vieles ins Wanken gebracht.

Für SPD-Mann Kühnert war das Thema noch nicht vom Tisch. Er ließ es sich nicht nehmen, den CDU-General noch einmal für dessen Aussagen nach der Landtagswahl in die Mangel zu nehmen. Ziemiak hatte eine Zusammenarbeit mit AfD und Linken ausgeschlossen – für Kühnert eine Provokation, schließlich sei der kreuzbrave Ministerpräsident Bodo Ramelow nicht mit AfD-Rechtsaußen Björn Höcke zu vergleichen.

Ziemiak ruderte zurück, er wolle die beiden nicht vergleichen. „Es geht auch nicht um Herrn Ramelow“, sagte er. Es wäre aber der Gipfel der Beliebigkeit, so Ziemiak, wenn die Union jetzt plötzlich mit der Linken koalieren würde. Kevin Kühnert schien den CDU-General zu verstehen. Schließlich warnt auch er seine Partei immer wieder vor zu viel Kompromissen, Austauschbarkeit, Beliebigkeit. Zumindest in diesem Punkt herrschte einmal großkoalitionäre Einigkeit. Der Juso-Chef nickte zufrieden.