Berlin. Walter Lübcke wurde aus nächster Nähe erschossen. Der Verdächtige Stephan E. hat die Tat gestanden. Die Polizei hat die Waffe gefunden.

Der Regierungspräsident von Kassel, Walter Lübcke, wurde am 2. Juni erschossen. Während der Todeszeitpunkt eindeutig festgestellt wurde, sind einige Umstände des Tötungsdeliktes noch nicht endgültig geklärt. Der verdächtige Rechtsextremist Stephan E. hat die Tat inzwischen gestanden.

Was wir über den Fall Walter Lübcke wissen:

Der Tatort

Um 0.30 Uhr in der Nacht zum Sonntag, dem 2. Juni 2019, soll ein Angehöriger den schwer verletzten Regierungspräsidenten Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses im 900-Einwohner-Dorf Wolfhagen-Istha entdeckt haben. Versuche, ihn wiederzubeleben, scheiterten. In der Klinik stellten die Ärzte um 2.35 Uhr den Tod des Mannes fest.

Wie die „Bild“-Zeitung berichtete, bemerkte ein Ermittler, dass am Tatort „Manipulationen“ vorgenommen worden seien. Nach Informationen des „Spiegel“ soll ein Sanitäter die Stelle verändert haben, an der Walter Lübcke gefunden wurde.

Blumen, Kerzen und eine Nachricht an den verstorbenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) stehen am Haupteingang des Regierungspräsidiums.
Blumen, Kerzen und eine Nachricht an den verstorbenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) stehen am Haupteingang des Regierungspräsidiums. © dpa | Swen Pförtner

Bei dem Sanitäter soll es sich um einen Bekannten des Opfers handeln. In dem Bericht heißt es, dass der Mann möglicherweise einige Bereiche säuberte, um Angehörigen den schrecklichen Anblick zu ersparen. Die Behörden äußerten sich bislang nicht zu diesem Verdacht.

Jedoch sei ein Mann zu dem Fall befragt worden. Der Verdacht erhärtete sich allerdings nicht und die Polizei ließ ihn wieder gehen.

Die Todesursache

Nach Angaben des leitenden Oberstaatsanwalts Horst Streiff starb Lübcke an den Folgen eines Kopfschusses. Das habe die Obduktion ergeben, sagte er.

Die Tatwaffe war aus nächster Nähe abgefeuert worden. Die Polizei hat sie inzwischen gefunden, sie wird noch kriminaltechnisch untersucht. Es war nicht die einzige Waffe, die der mutmaßliche Täter besaß. Er hat der Polizei sein Versteck genannt, auch die anderen Waffen sind sichergestellt.

Der Täter

Der Verdächtige Stephan E. hat die Tat gestanden. Er sitzt in Untersuchungshaft. Der 45-jährige E., ein deutscher Staatsbürger, wurde am 15. Juni in Kassel festgenommen. Nach Informationen unserer Redaktion war der Mann im Umfeld der NPD in Hessen aktiv und soll schon früher durch Gewalt und rechtsextremistische Taten aufgefallen sein.

Das ARD-Magazin „Monitor“ berichtete, dass E. noch im Jahr 2019 an einem konspirativen Treffen von Mitgliedern neonazistischer Organisationen teilgenommen habe. Zuvor war davon ausgegangen worden, dass sein Kontakt zur rechten Szene womöglich schon vor Jahren abgebrochen war.

Auf die Spur des Mannes kamen die Ermittler aufgrund eines DNA-Spurentreffers. E. soll einen Youtube-Kanal betrieben haben, auf dem er unter anderem gegen Politiker hetzte. Wenn die Regierung nicht handele, werde es Tote geben, soll der Mann auf dem Kanal gewettert haben.

Inzwischen sind zwei weitere Männer festgenommen worden. Der aus dem Kreis Höxter in Nordrhein-Westfalen stammende Elmar J. (64) soll Stephan E. 2016 die spätere Tatwaffe mit dem Kaliber .38 verkauft haben. Den Kontakt zwischen den beiden soll der aus Kassel stammende Markus H. (43) hergestellt haben. Ihre Wohnungen wurden durchsucht.

Gegen Elmar J. und Markus H. wurde Haftbefehl wegen Beihilfe zum Mord erlassen. Die Bundesanwaltschaft geht derzeit aber nicht davon aus, dass die drei eine rechtsterroristische Vereinigung gebildet haben.

Das Tatmotiv

Die Ermittler gehen von einer politisch motivierten Tat aus. E. soll seine rechtsextreme Gesinnung zugegeben haben.

Die Ermittlungen liegen beim Generalbundesanwalt im Bundesgerichtshof. Grundlage dafür ist eben das politische Motiv. Der Generalbundesanwalt ist auf dem Gebiet des Staatsschutzes die oberste Strafverfolgungsbehörde der Bundesrepublik.

Der CDU-Politiker Lübcke war 2015 nach seinen Äußerungen zur Flüchtlingspolitik bedroht worden. Er hatte um Unterstützung für Flüchtlinge gebeten und dabei christliche Werte wie Nächstenliebe betont.

„Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen“, sagte Lübcke damals. Der CDU-Politiker bekam Drohungen, erstattete Anzeige.

In einem Geständnis habe Stephan E. angegeben, als Einzeltäter gehandelt zu haben, sagte Innenminister Horst Seehofer. Damit sei die Aufklärung des „politischen Mordes“ aber noch nicht abgeschlossen, fügte der Innenminister hinzu.

Attentate auf deutsche Politiker

Immer wieder erfolgen Angriffe auf Politiker. Mal lagen politische Motive zugrunde, mal waren die Täter psychisch gestört. Zuletzt attackierte ein offenbar alkoholisierter Mann den Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein (CDU).
Immer wieder erfolgen Angriffe auf Politiker. Mal lagen politische Motive zugrunde, mal waren die Täter psychisch gestört. Zuletzt attackierte ein offenbar alkoholisierter Mann den Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein (CDU). © dpa | Bernd Thissen
Laut Behörden ist die Tat politisch motiviert gewesen. Hollstein, der bei dem Messerangriff nicht lebensgefährlich verletzt wurde, gilt als besonders liberal in der Flüchtlingspolitik.
Laut Behörden ist die Tat politisch motiviert gewesen. Hollstein, der bei dem Messerangriff nicht lebensgefährlich verletzt wurde, gilt als besonders liberal in der Flüchtlingspolitik. © imago/Metodi Popow | imago stock&people
Auch die Bürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, wird am 17. Okober 2015 mit einem Messer angegriffen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte den Täter Frank S. später zu 14 Jahren Haft.
Auch die Bürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, wird am 17. Okober 2015 mit einem Messer angegriffen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte den Täter Frank S. später zu 14 Jahren Haft. © imago/Future Image | Christoph Hardt
Der 45-Jährige hatte Reker (parteilos) während ihres Wahlkampfes ein Jagdmesser in den Hals gerammt.
Der 45-Jährige hatte Reker (parteilos) während ihres Wahlkampfes ein Jagdmesser in den Hals gerammt. © imago/Horst Galuschka | Horst Galuschka
Ein geistig verwirrter Mann schießt bei einer Wahlkampfveranstaltung im badischen Oppenau im Oktober 1990 auf den Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU).
Ein geistig verwirrter Mann schießt bei einer Wahlkampfveranstaltung im badischen Oppenau im Oktober 1990 auf den Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). © imago/sepp spiegl | imago stock&people
Der CDU-Politiker sitzt seitdem querschnittsgelähmt im Rollstuhl – das Attentat überlebte er nur knapp.
Der CDU-Politiker sitzt seitdem querschnittsgelähmt im Rollstuhl – das Attentat überlebte er nur knapp. © imago/Gustavo Alabiso | imago stock&people
Zwei Tage vor der Bundestagswahl im September 2002 schlägt ein Rechtsextremist dem Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele (Grüne) an einem Berliner Wahlstand mit einem Schlagstock auf den Kopf.
Zwei Tage vor der Bundestagswahl im September 2002 schlägt ein Rechtsextremist dem Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele (Grüne) an einem Berliner Wahlstand mit einem Schlagstock auf den Kopf. © REUTERS | Tobias Schwarz
Hans-Christian Ströbele erlitt damals Verletzungen am Kopf, die Polizei konnte den Täter festnehmen.
Hans-Christian Ströbele erlitt damals Verletzungen am Kopf, die Polizei konnte den Täter festnehmen. © imago/Future Image | imago stock&people
Während einer Debatte auf einem grünen Sonderparteitag in Bielefeld wird der Außenminister Joschka Fischer im Mai 1999 mit einem Farbbeutel beworfen. Er erleidet einen Trommelfellriss.
Während einer Debatte auf einem grünen Sonderparteitag in Bielefeld wird der Außenminister Joschka Fischer im Mai 1999 mit einem Farbbeutel beworfen. Er erleidet einen Trommelfellriss. © imago | Sven Simon
Der Farbbeutel-Werfer wollte damit gegen den Kosovo-Einsatz der Nato protestieren, den die Grünen billigten.
Der Farbbeutel-Werfer wollte damit gegen den Kosovo-Einsatz der Nato protestieren, den die Grünen billigten. © imago/Mauersberger | imago stock&people
In Berlin schlagen Vermummte den Regierenden Bürgermeister Walter Momper im August 1991 mit einem Holzknüppel und sprühen ihm Reizgas ins Gesicht.
In Berlin schlagen Vermummte den Regierenden Bürgermeister Walter Momper im August 1991 mit einem Holzknüppel und sprühen ihm Reizgas ins Gesicht. © imago/Rainer Unkel | imago stock&people
Zuvor hatte Momper gemeinsam mit seiner Frau eine Ausstellung besucht. Auf dem Rückweg schlugen die Täter zu. Die Narbe auf seiner Stirn erinnert nach wie vor an die Attacke der fünf Vermummten.
Zuvor hatte Momper gemeinsam mit seiner Frau eine Ausstellung besucht. Auf dem Rückweg schlugen die Täter zu. Die Narbe auf seiner Stirn erinnert nach wie vor an die Attacke der fünf Vermummten. © imago | Christian Schroth
Ein Unbekannter greift die Parlamentarierin Angelika Beer (Grüne) in Berlin im Juni 2000 mit einem Messer an und verletzt sie am Arm.
Ein Unbekannter greift die Parlamentarierin Angelika Beer (Grüne) in Berlin im Juni 2000 mit einem Messer an und verletzt sie am Arm. © imago | Sven Simon
Sie hatte zuvor mehrere Morddrohungen erhalten. Die Drohungen stammten vor allem aus der linksextremen Szene, weil Beer den Nato-Angriffen auf Jugoslawien zugestimmt hatte.
Sie hatte zuvor mehrere Morddrohungen erhalten. Die Drohungen stammten vor allem aus der linksextremen Szene, weil Beer den Nato-Angriffen auf Jugoslawien zugestimmt hatte. © imago/Christian Ditsch | imago stock&people
Eine geistig verwirrte Frau verletzt den Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU) bei einem Wahlkampfauftritt im Februar 2004 mit einem Messer.
Eine geistig verwirrte Frau verletzt den Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU) bei einem Wahlkampfauftritt im Februar 2004 mit einem Messer. © imago stock&people | imago stock&people
Die Frau ging mit den Worten „Du schwule Sau“ auf den Politiker zu und griff ihn mit einem Klappmesser an. Später kam sie in die Psychiatrie.
Die Frau ging mit den Worten „Du schwule Sau“ auf den Politiker zu und griff ihn mit einem Klappmesser an. Später kam sie in die Psychiatrie. © imago | Sven Simon
Eine ebenfalls geistig verwirrte Frau greift den damaligen saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine und Kanzlerkandidaten (damals SPD) im April 1990 auf einer Wahlkampfveranstaltung in Köln mit einem Messer an.
Eine ebenfalls geistig verwirrte Frau greift den damaligen saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine und Kanzlerkandidaten (damals SPD) im April 1990 auf einer Wahlkampfveranstaltung in Köln mit einem Messer an. © imago/Becker&Bredel | BeckerBredel
Sie verletzt ihn lebensgefährlich und verfehlte die Halsschlagader nur knapp. Mehr als 25 Jahre später ist die Attentäterin Adelheid S. wieder aus der Psychiatrie entlassen und auf freiem Fuß.
Sie verletzt ihn lebensgefährlich und verfehlte die Halsschlagader nur knapp. Mehr als 25 Jahre später ist die Attentäterin Adelheid S. wieder aus der Psychiatrie entlassen und auf freiem Fuß. © dpa Picture-Alliance / DB
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Einen Zusammenhang zwischen diesen Drohungen und dem mutmaßlichen Täter konnten die Behörden bisher nicht herstellen. Akut habe es keine Hinweise auf eine Gefährdungslage für ihn gegeben, sagte LKA-Chefin Thurau. Grundsätzlich galt der Regierungspräsident als beliebt. Er wäre im Herbst in den Ruhestand gegangen.

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Die Familie

Die Trauerfeier für Walter Lübcke fand in Kassel statt.
Die Trauerfeier für Walter Lübcke fand in Kassel statt. © Getty Images | Sean Gallup

Wo sich die Familie von Walter Lübcke befindet, ist unklar. Dass die Familie in solchen Fällen betreut werde, man eine Gefährdung für sie analysiere und entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Familie einleite, sei gängige Praxis, hatte LKA-Leiterin Thurau erklärt. Das sei auch in diesem Fall geschehen.

Lübcke hinterlässt eine Frau und zwei erwachsene Söhne. Die Trauerfeier für den getöteten Regierungspräsidenten fand in Kassel statt.

Zur Person

Walter Lübcke wurde im nordhessischen Bad Wildungen geboren. Nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann arbeitete er nach Angaben seiner Partei in der Pressestelle der Kunstausstellung documenta 7. Ein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Kassel schloss er 1991 mit einer Promotion ab. Vor seiner Amtszeit als Regierungspräsident saß Lübcke von 1999 bis 2009 für die CDU im hessischen Landtag. (dpa/ac/ses/les)