Berlin. Drohungen und Angriffe: Politiker werden immer häufiger Ziel von Gewalt. Die Grünen kritisieren mangelnde Kontrolle der rechten Szene.

Ein Bürgermeister wird im Kreis Segeberg niedergeschlagen – offenbar wegen seiner flüchtlingsfreundlichen Position. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt wird von einer Frau bespuckt, der ihre Politik nicht gefällt. Das Wahlkreisbüro der Leipziger CDU-Bundestagsabgeordneten Bettina Kudla wird verwüstet.

Und in Dresden wird die Spitze des Staates von Pegida-Anhängern angepöbelt – das sind nur einige Vorfälle der vergangenen Monate. Daneben gehören ausländerfeindliche Hassmails inzwischen zum Alltag vieler Politiker. Stand bisher vor allem die laut Verfassungsschutz stark steigende Gewalt gegen Flüchtlinge und Ausländer im Fokus der Aufmerksamkeit, so haben in den vergangenen Monaten auch Angriffe auf Politiker und Medien erheblich zugenommen. Das Bundesinnenministerium hat jüngst erstmals eine Liste für die Vorfälle in 2016 vorgelegt.

813 Delikte gegen „Amts- und Mandatsträger“

Auf Anfrage der Grünen zählte das Innenministerium dabei 813 Delikte gegen „Amts- und Mandatsträger“ bundesweit. Darunter waren 18 direkte körperliche Angriffe. Ansonsten zählen dazu Nötigung, Bedrohung, Sachbeschädigung, Volksverhetzung oder Brandstiftung – wie im Fall von Bettina Kudla, aber auch bei dem angezündeten Auto der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry vor einigen Wochen. Daneben wurde bei den Landtagswahlkämpfen in diesem Jahr erheblicher Vandalismus etwa gegen Wahlplakate registriert.

Auch bei der Einheitsfeier in Dresden waren unter denen, die Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauck wüst beschimpften, Mitglieder der rechten Szene.
Auch bei der Einheitsfeier in Dresden waren unter denen, die Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauck wüst beschimpften, Mitglieder der rechten Szene. © Getty Images | Carsten Koall

Die Fähigkeit, andere Meinungen zu akzeptieren, scheint an den beiden extremen Flügeln des politischen Lagers stark abzunehmen. „Wie sehr die Hemmschwellen bei den Rechten gesunken sind, haben wir auch jetzt bei den Feierlichkeiten zum 3. Oktober in Dresden wieder erlebt“, kritisierte die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Irene Mihalic. Und die Grenzen zwischen Vandalismus und Aufforderung zur Gewalt scheinen fließend: Für Empörung sorgte etwa im Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern, dass auf das Gesicht einer Polizistin auf einem Wahlplakat eine Zielscheibe gemalt wurde.

Auch zunehmende Angriffe auf Medienvertreter

Der Blick auf Tätergruppen zeigt ein klares Übergewicht des rechten Sektors. Etwa die Hälfte der Vorfälle wird in der Statistik des Innenministeriums eindeutig rechten Tätern zugeordnet, 97 Übergriffe dem linken Spektrum. Bei den anderen ließ sich der Hintergrund durch die Behörden nicht eindeutig aufklären. Ein ähnliches Verhältnis zeigt sich auch bei den zunehmenden Angriffen auf Medienvertreter.

„Die Angriffe auf Politiker aber auch auf Medien zeigen die steigende Aggressivität von rechts gegen die Institutionen der Demokratie“, sagt Mihalic. Sie bemängelt, dass es trotzdem immer noch kein Gesamtbild von rechten Bewegungen und Netzwerken, ihren Aktivitäten und Kampagnen gebe: „Wenn die Bundesregierung aktuell von nur 20 rechten Gefährdern deutschlandweit ausgeht, muss man die Ernsthaftigkeit, mit der man diese Szene beobachtet, doch heftig in Zweifel stellen.“

Einschüchterungen nicht nur von rechts

Ähnliche Vorwürfe gegen Sicherheitsbehörden hatte es bereits nach der Aufdeckung der Mordserie des rechtsextremen NSU gegeben. Am Montag musste sich die Polizei rechtfertigen, weil ein Polizist einer Pegida-Demonstration bei der Einheitsfeier in Dresden einen „erfolgreichen Tag“ wünschte.

Der erneute Angriff auf das Leipziger Wahlkreisbüro der CDU-Politikerin Kudla, die mit ihrem (mittlerweile gelöschten) „Umvolkungs“-Tweet für Empörung gesorgt hatte, zeigt aber, dass Gewalt und Einschüchterung nicht nur von rechts kommen. Vor allem in Städten mit einer großen linksradikalen Szene wie Berlin, Leipzig oder Rostock würden in erheblichen Maße eben auch Straftaten aus diesem politischen Spektrum registriert, heißt es in Sicherheitskreisen. In etlichen Städten schaukele sich die Anfeindung von rechts und links gegenseitig hoch. Ins Visier geraten dabei aber auch Politiker von Parteien aus der Mitte – auch in kleinen Kommunen, wo der Druck auf Mandatsträger besonders groß zu sein scheint.

Auch deshalb riefen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Norbert Lammert am Montag bei den Feiern zur Einheit zu größerem gegenseitigen Respekt in der politischen Auseinandersetzung auf. Man müsse miteinander im Gespräch bleiben – auch wenn einige an solchen Gesprächen gar nicht mehr interessiert seien, mahnte die Kanzlerin. (rtr)