Brüssel. Margrethe Vestager wurde als Vorbild für eine TV-Serie zum Star. Doch reicht das, um auch in Brüssel zum Superstar der EU zu werden?

Die Frau kennt kein Pardon. Wenn es in Europa um Kartelle geht oder um den Missbrauch von Marktmacht, ist EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gern knallhart: Strafen müssten so hoch sein, dass sie den Unternehmen richtig wehtun, sagt sie.

Gesagt, getan: Seit Vestager 2014 ins Amt kam, verhängte sie spektakulär hohe Geldbußen – 2,4 Milliarden Euro für Google, 2,9 Milliarden für Lkw-Hersteller wie Daimler und MAN, 13 Milliarden Steuernachzahlung für Apple. Dass sie zum Schrecken amerikanischer Internetkonzerne geworden ist, weil sie Facebook & Co in die Schranken weist, empfindet die 50-jährige Dänin als „Auszeichnung“, wie sie kürzlich versicherte.

Vestager kann aber auch charmant sein oder mitreißend: „Die Jugend ist viel besser, als wir es waren. Und viel besser, als wir es sind“, versichert sie bei einem Auftritt vor Studenten. „Es ist Zeit für europäisches Selbstbewusstsein“, ruft sie auf dem FDP-Parteitag den Delegierten zu. „Wir haben es so weit gebracht, wir können es noch weiterbringen.“

Margrethe Vestager hat in Brüssel so etwas wie Star-Status erreicht

Der Satz gilt auch für Vestager selbst: Die Mutter von drei Kindern tritt an, Präsidentin der EU-Kommission zu werden – als erste Frau in dem wichtigsten europäischen Top-Job, als eine „Mrs. Europa“. In der Wahlnacht warf sie strahlend und kerzengerade ihren Hut für die Liberalen in den Ring: „Ich bewerbe mich um das Amt.“ In der EU-Kommission hat sich die Pfarrerstochter mit dem freundlich-robusten Macher-Image eine Art Star-Status erarbeitet.

Das liegt zum einen an ihrem Posten. In dem Kommissarsjob ist es vergleichsweise leicht, die Gunst des Publikums zu erringen, die Wettbewerbshüter haben so viel Macht wie kaum eine andere Truppe in den EU-Institutionen. Vestager gibt sich aber auch so kämpferisch und modern, wie sich viele die EU wünschen: Selbstbewusst hat sie sich zur mächtigsten Reguliererin weltweit in Wettbewerbsfragen gemausert.

Als US-Präsident Donald Trump vorigen Sommer Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker empfing, musste er ihm unbedingt auch eine Bemerkung zu Vestager zuraunen: „Deine Steuer-Lady hasst die Vereinigten Staaten wirklich.“ Feindseligkeit weist Vestager aber von sich. Ihr gehe es um die Sache. „Es darf sich niemals auszahlen, ein Kartell zu gründen“, erklärt die Kommissarin. Zugleich betont sie: „Wir brauchen Fakten, unsere Entscheidungen müssen vor Gericht bestehen.“ Diese Fakten hat sie mit der Kartellstrafe geschaffen: Google soll 1,49 Milliarden Euro an die EU zahlen.

Margrethe Vestager war Vorbild für die Erfolgsserie „Borgen“

In Dänemark war sie Wirtschaftsministerin und Vize-Regierungschefin und beeindruckte die Bürger so, dass sie zum Vorbild für die Protagonistin Birgitte Nyborg in der Politserie „Borgen“ wurde. Dennoch droht ihr eine Niederlage: Viel spricht dafür, dass die selbstbewusste Bewerbung nicht ins Präsidentenamt führt. Im Parlament nehmen ihr Christ- und Sozialdemokraten übel, dass sie im Europa-Wahlkampf nicht als Spitzenkandidatin angetreten ist, was nach der Lehre der beiden großen Fraktionen Voraussetzung für die Präsidentenwahl sein soll.

„Frau Vestager kommt deshalb für das Amt gar nicht infrage“, urteilt ihr christdemokratischer Kommissionskollege Günther Oettinger. Vestager gehörte bloß zu einem siebenköpfigen Spitzenteam. Ein Zugeständnis an Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der das Spitzenkandidat-Prinzip vehement ablehnte. Dass Vestager in der Wahlnacht flunkerte, sie habe sich doch schon im Wahlkampf um das Präsidentenamt beworben, es habe sie nur niemand danach gefragt, war dann aber eine selten ungeschickte Ausrede: Sie hatte in einer Reihe von Interviews alle Ambitionen auf das Präsidentenamt weit von sich gewiesen.

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    Wie Vestager nun die Mehrheit im Parlament finden will, ist unklar. Ihre liberale Parteienfamilie, zu der die deutsche FDP ebenso gehört wie die Partei Macrons, hat bei der Europawahl zwar deutlich zugelegt, im Parlament reicht es trotzdem nur für Platz drei hinter Christ- und Sozialdemokraten. Wenn die Briten die EU verlassen, schrumpft auch die liberale Fraktion um 16 auf rund 90 Abgeordnete. Die konservative EVP mit ihrem Spitzenkandidaten Manfred Weber ist dann doppelt so groß. Dazu hat Weber prominente Fürsprecher. So stellt sich Angela Merkel hinter Manfred Weber.

    Vor allem aber: Gegen die Stimmen der EVP kann – ohne Hilfe von rechts außen – niemand zum Präsidenten gewählt werden. Doch einer der EVP-Führungsleute stellt klar: „Wir sind mit Abstand die stärkste Gruppe im Parlament. Wenn die Liberalen unseren Kandidaten Weber ablehnen, werden wir nie und nimmer anschließend die Kandidatin der Liberalen wählen.“ Mit Macron, der erklärtermaßen die Vormacht der Volksparteien zerschlagen will, haben die Christdemokraten ohnehin eine Rechnung offen. Es tobt ein Machtpoker in Brüssel um die Frage: Wer wird EU-Kommissionspräsident?

    Eher werde ein ganz anderer Bewerber ins Präsidentenamt gewählt als die Dänin, heißt es.

    Vestager weiß das natürlich. Aber für die Sozialliberale ist nun die Zeit vor der dänischen Parlamentswahl an diesem Mittwoch. Im Heimatland schwächelt ihre linksliberale Partei „Radikale Venstre“. Wohin immer sie ihr Weg später führt: Als vermeintliche „Mrs. Europa“, auf die die Dänen stolz sein dürfen, ist Vestager ihrer Partei im Wahlkampf eine große Hilfe gewesen.