Berlin. Nach der Steuerschätzung: Deshalb hält Bundesfinanzminister Scholz die Einnahmeausfälle für verkraftbar und lehnt neue Schulden ab.

Die spannendste Botschaft bei der Bekanntgabe der Ergebnisse der Steuerschätzung streut Olaf Scholz beiläufig in einem Nebensatz ein. Er habe am Mittwoch am Rande des Kabinetts mit Angela Merkel über die berühmte schwarze Null gesprochen. Mit der Bundeskanzlerin sei er sich einig, dass „wir miteinander bei diesem Prinzip bleiben wollen“.

Denn kaum schwächeln die Steuereinnahmen auf hohem Niveau, ist die Debatte über die Vor- und Nachteile eines ausgeglichenen Haushaltes wieder da. Warum sklavisch keine Schulden machen, wo doch Kredite historisch billig zu haben sind, um mit massiven Investitionen die schwächelnde Konjunktur anzufeuern?

Fällt die Grundrente den Sparzwängen zum Opfer?

Nur wenige Stunden, bevor Scholz im monströsen Matthias-Erzberger-Saal seines Ministeriums an der Berliner Wilhelmstraße mit den Tabellen der Steuerschätzer vor die Presse tritt, lässt Sigmar Gabriel seine Sicht auf die Dinge veröffentlichen. In einem Beitrag für den „Tagesspiegel“ breitet der Ex-SPD-Chef einen Fünf-Punkte-Plan für einen „sozialen Kapitalismus“ aus.

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Bund und Länder sollten sich auf langfristige Investitionen in Straßen, Schienen, Digitales und Forschung einigen: „Sie sind wichtiger als die berühmte schwarze Null. Das kommende Jahrzehnt muss eine Dekade der Investitionen werden“, erklärt Gabriel, der dem CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble zwischen 2013 und 2017 beim Aufstellen der Haushalte nie besonders in den Arm gefallen war.

Scholz lässt sich nicht provozieren. Es sei kein guter Einfall, neue Schulden zu machen, nur weil die Konjunktur ein bisschen schwächele und die Kasse nicht mehr ganz so laut bimmele wie in den Vorjahren. „Eigentlich kommt doch jetzt die Probe, ob das alles Sprüche waren oder es ernst gemeint war“, sagt Scholz über die Schuldenbremse, die seit 2009 im Grundgesetz steht.

124 Milliarden Euro weniger Einnahmen

Der frühere Hamburger Bürgermeister, der sich intensiv auf die nächste SPD-Kanzlerkandidatur vorbereitet, versucht am Donnerstag, Gelassenheit auszustrahlen. Die Lücke, die sich wegen der Konjunkturflaute bei den Steuereinnahmen auftut, sieht auf den ersten Blick wuchtig aus. Zwischen 2019 und 2023 muss der Bund mit rund 70 Milliarden Euro weniger Einnahmen als im November erwartet auskommen.

Rechnet man Länder und Gemeinden dazu, sind es rund 124 Milliarden Euro. Aber die Einnahmen legen unverändert zu. So verweist Scholz darauf, dass er im Frühjahr bei der Aufstellung des Haushaltes für 2020 und die Folgejahre die negative Entwicklung vorhergesehen habe. Entsprechend oft fällt das Adjektiv „eingepreist“ im 33-minütigen Auftritt des Finanzministers.

Gemeinsam mit Staatssekretär Werner Gatzer, der schon Schäuble den Haushalt machte, hatte Scholz im Frühjahr mit unterschwelligen Sparmaßnahmen dafür gesorgt, dass das Loch, das der Bund in über fünf Jahren voraussichtlich stopfen muss, nun bei „nur“ 10,5 Milliarden Euro liegen wird. So profitieren Bürger von Steuerplänen der Regierung.

Zusammenarbeit ist jetzt wichtig

„Das war ganz schön klug, wie wir das gemeinsam angezettelt haben“, lobt Scholz sich selbst. Um nicht den Eindruck zu vermitteln, hier gehe es um Peanuts, schiebt der Sozialdemokrat nach: „Locker ist gar nichts.“ Alle Koalitionsprojekte könnten weitgehend gelingen, „wenn wir zusammenarbeiten und nicht gegeneinander“, so der SPD-Politiker. „Es werden sich alle etwas anstrengen müssen.“

Stinksauer waren Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), dass Scholz für sie nicht mehr Geld herausrückte. In der Union fragen sie, ob das Spardiktat auch für Sozialdemokraten im Kabinett gilt?

Ist die Grundrente, die Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für mehr als drei Millionen Rentner auf den Weg bringen will, vor dem Hintergrund schrumpfender Spielräume finanzierbar? Heil plant, den Zuschlag für kleine Rentner zunächst aus der prall gefüllten Rentenkasse zu bezahlen. Nach etwa drei Jahren könnte es zu einer Mischfinanzierung mit Steuerzuschüssen kommen, um Beitragserhöhungen zu vermeiden.

Koalitionsgipfel soll zu mehr Klarheit führen

Spielt die Union da mit? „Die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung im Umfang von fünf Milliarden Euro ist nicht finanzierbar“, sagt der Chefhaushälter der Union im Bundestag, Eckhardt Rehberg. „Auch nicht aus den Reserven der gesetzlichen Rentenversicherung. Damit würde die Rentenkasse zulasten der Beitragszahler geplündert. Die Folge wären drastische Beitragserhöhungen“, warnt der CDU-Politiker.

Noch nicht entschieden ist, ob Heil sein Konzept vor oder nach der Europawahl am 26. Mai präsentiert. Höchst rätselhaft wäre es, sollte die nach links rückende SPD sich diese Chance zur Profilierung vor der parallel stattfindenden Bremen-Wahl entgehen lassen.

Scholz- Deutschland ist gut gewappnet

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    Bereits am Dienstag werden sich die Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Markus Söder (CSU), Andrea Nahles (SPD) mit Kanzlerin Merkel und Scholz bei einem Koalitionsgipfel zusammensetzen, um im Licht der Steuerschätzung zu beraten, wie es weitergeht.

    Söder und die CSU haben sich mit einer Entlastung der Wirtschaft ebenso weit aus dem Fenster gelehnt wie die SPD bei der Grundrente. Die Union will so ihr unter Merkel jahrelang vernachlässigtes Profil als Wirtschaftspartei aufpolieren und mit Nadelstichen die SPD provozieren.

    Nach der Europawahl werden die Karten neu gemischt


    Bei CDU und CSU wird spekuliert, dass die Sozialdemokraten die Nerven verlieren und die Koalition Hals über Kopf aufkündigen könnten. Die hypernervösen Reaktionen in der SPD auf das Sozialismus-Interview von Juso-Chef Kevin Kühnert zeigten, dass die Sozialdemokraten unverändert gespalten sind und Teile der Partei sich auf eine künftige Zusammenarbeit mit Grünen und Linken vorbereiten. Das Irrlichtern der CDU bei der CO2-Steuer wiederum beweist, dass die Schwarzen sich mit Blick auf die Grünen alles offenhalten.

    Ein SPD-Exit jedenfalls würde der unter Druck stehenden CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer einen Weg eröffnen, entweder in einer vorgezogenen Neuwahl das Kanzleramt zu verteidigen oder in einem Jamaika-Bündnis mit Grünen und FDP im Bundestag an die Macht zu kommen. Bislang zeigt Angela Merkel keine Amtsmüdigkeit oder Opferbereitschaft zugunsten der früheren saarländischen Ministerpräsidentin.

    Abhängig vom Ergebnis der Europawahl und der Abstimmung in Bremen könnte jedoch einiges ins Rutschen kommen. Tut sich im Kanzleramt nichts, ist eine Kabinettsumbildung in den CDU-Reihen denkbar, um vor den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Impulse zu setzen.

    So soll in Zukunft gespart werden

    Für beide Seiten steht also viel auf dem Spiel. Bayerns Ministerpräsident Söder will den Soli-Steuerzuschlag nicht nur wie verabredet für 90 Prozent aller Steuerzahler abschaffen, sondern für alle. Auch für Spitzenverdiener und Mittelständler. Außerdem will die Union die Körperschaftsteuer um fünf Prozentpunkte absenken, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können.

    Mit fast 30 Prozent Unternehmenssteuern gegenüber 15 Prozent zum Beispiel in den USA verliere Deutschland massiv an Attraktivität. Scholz will in einen internationalen Dumping-Wettbewerb aber nicht einsteigen. Es gebe keine Konjunkturkrise. „Ich gehe auch nicht davon aus, dass sie kommt.“ Für die Koalition gilt das wohl eher nicht.

    Um die fehlenden Steuereinnahmen in Zukunft auszugleichen, sieht die Vorsitzende der Grünen Sparpotenzial beim Baukindergeld, denn es verfehle seine Wirkung. „Oder indem man darauf verzichtet, Steuern für Besserverdienende zu senken, und den Soli abschafft“, sagte Annalena Baerbock unserer Redaktion. Zudem dürfe man jetzt auch nicht bei den Investitionen sparen. (Tim Braune)