London. Mehr als eine Million Menschen gingen am Samstag gegen den Brexit auf die Straße. Online formiert sich sogar noch größere Gegenwehr.

In Großbritannien wird der Protest gegen den Brexit immer lauter. Nachdem am Samstag in London mehr als eine Million Menschen gegen den geplanten EU-Austritt demonstriert hatten, hat nun auch der Widerstand im Netz eine neue Höchstzahl erreicht: Mehr als fünf Millionen Menschen unterzeichneten bis Samstag eine Online-Petition für den Verbleib Großbritanniens in der EU – keine andere Petition auf der Website des Parlaments war bisher so erfolgreich.

In den vergangenen Tagen war die Webseite wegen des Ansturms zeitweise sogar lahmgelegt. Das Parlament muss den Inhalt jeder Petition mit mehr als 100.000 Unterzeichnern für eine Debatte berücksichtigen. Alle britischen Staatsbürger – auch im Ausland – und Einwohner in Großbritannien dürfen solche Online-Petitionen unterzeichnen.

Die britische Premierministerin Theresa May hat ihren mit der EU ausgehalten Brexit-Deal bisher nicht durchs Parlament bekommen.
Die britische Premierministerin Theresa May hat ihren mit der EU ausgehalten Brexit-Deal bisher nicht durchs Parlament bekommen. © dpa | THIERRY ROGE

Gerüchte, dass auch Unbefugte die Petition unterzeichneten, wies das zuständige Komitee zurück. 96 Prozent aller Unterschriften stammten aus dem Vereinigten Königreich – dies entspreche den Erwartungen. Über Sicherheitsmaßnahmen wollte sich das Komitee nicht äußern.

Einer der größten Protestmärsche der britischen Geschichte

Die Demonstranten in London forderten derweil ein zweites Referendum, bei dem die Bürger über den endgültigen Brexit-Deal abstimmen dürfen. Viele Teilnehmer hatten während des Marsches bei gutem Wetter blaugelbe Europa-Fahnen dabei und waren auch in diesen Farben gekleidet. Andere trugen britische Fahnen.

Die Veranstalter sprachen von einem der größten Protestmärsche in der Geschichte Großbritanniens, alle Erwartungen seien übertroffen worden. Die Polizei gab keine Schätzungen ab. Die Teilnehmer waren aus allen Teilen des Landes angereist, auch von abgelegenen Inseln.

Der Protestzug, an dem auch viele Familien teilnahmen, endete am Parlament. „Ich bin sieben Jahre alt und demonstriere für meine Zukunft“, stand auf dem Protestschild eines Kindes. Andere Plakate sprachen eine deutlichere Sprache, etwa: „Diese ganze Brexit-Scheiß-Show muss aufhören!“.

Auch Londons Bürgermeister mit dabei

Hunderttausende protestierten in London.
Hunderttausende protestierten in London. © Getty Images | Dan Kitwood

Die Organisation „People’s Vote“ befürchtet nach einem Austritt aus der EU unter anderem geringere Lebensstandards und Einbußen für die Wirtschaft. „Ich marschiere gemeinsam mit Menschen aus jedem Winkel unseres Landes“, teilte der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan bei Twitter mit. Er gehört der oppositionellen Labour-Partei an. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon betonte, sie sei stolz, bei dem Protest dabei sein zu dürfen.

„Das ist ein komplettes Chaos“, sagte Gareth Rae, ein Demonstrant, der aus Bristol nach London gereist war, zum Vorgehen der Regierung von Premierministerin Theresa May. Er würde ein besseres Gefühl haben, wenn es sich beim Brexit um einen gut organisierten Prozess handeln würde und die Regierung vernünftige Entscheidungen treffen würde, sagte Rae. „Das Land wird gespalten sein, was immer auch geschieht.“

Düsseldorfer Rosenmontagswagen in London

Bei der Demo ging auch ein Rosenmontagswagen des Künstlers Jacques Tilly an den Start. Der Motivwagen zeigt May, die mit einer langen Lügennase symbolisch die britische Wirtschaft aufspießt. Tilly hatte die May-Figur eigens auf einen Handkarren montiert. Es ist bereits der dritte Brexit-Wagen, den der renommierte Wagenbauer seit 2017 nach Großbritannien geschickt hat. „Es ist wirklich schön, dass die Düsseldorfer Rosenmontagswagen auch ein Stück Weltgeschichte kommentieren“, sagte Tilly in London der Deutschen Presse-Agentur.

Bereits mehr als vier Millionen Menschen hatten bis Samstag eine Online-Petition für den Verbleib Großbritanniens in der EU unterzeichnet. Zeitweise war die Webseite wegen des Ansturms lahm gelegt. Das Parlament muss den Inhalt jeder Petition mit mehr als 100.000 Unterzeichnern für eine Debatte berücksichtigen.

Wird es überhaupt zu einem EU-Ausstieg kommen?

Auch nach jahrelanger Debatte und zähen Verhandlungen mit der EU ist noch immer nicht klar, wann und ob überhaupt Großbritannien die EU verlässt. Eine Woche vor dem ursprünglich geplanten EU-Ausstieg am 29. März hatten die EU-Spitzen Großbritannien am Donnerstagabend eine Verschnaufpause gewährt.

Hintergrund: Brexit-Drama in Brüssel: Das ist der neue Plan der EU

Auch in London: Ein Wagen des Düsseldorfer Rosenmontagszuges mit einer Figur, die der britischen Premierministerin ähnelt.
Auch in London: Ein Wagen des Düsseldorfer Rosenmontagszuges mit einer Figur, die der britischen Premierministerin ähnelt. © dpa | Yui Mok

Wenn das britische Parlament kommende Woche dem ausgehandelten, aber bereits zwei Mal im Unterhaus abgelehnten Brexit-Deal doch noch zustimmt, wird der Brexit für die nötige rechtliche Umsetzung bis zum 22. Mai verschoben.

Sollte das Unterhaus jedoch nicht zustimmen, soll es eine Verlängerung zunächst nur bis zum 12. April geben. Auf jeden Fall will die EU Folgen für die Europawahl vom 23. bis zum 26. Mai vermeiden.

Druck auf Theresa May wächst

Die Zeitungen „The Times“ und „The Daily Telegraph“ berichteten, mittlerweile wachse der Druck auf May, als Premierministerin zurückzutreten. Es werde bereits über einen Zeitplan gesprochen. Aus Regierungskreisen verlautete dagegen, die Berichte seien falsch.

Bei der Volksabstimmung im Juni 2016 hatten sich 52 Prozent der Briten für einen Brexit ausgesprochen, 48 Prozent stimmten für einen Verbleib ihres Landes in der EU. Seither haben Gegner des Austritts wiederholt ein zweites Referendum verlangt. May hat dies jedoch stets abgelehnt. Sie argumentiert, durch eine erneute Volksabstimmung über den Brexit würde sich die Spaltung des Landes vertiefen. (rtr/dpa/jb)