Saarbrücken/Berlin. Seit einem Jahr ist Anja Karliczek im Kabinett zuständig für Bildung und Forschung. Doch wofür steht die CDU-Politikerin eigentlich?
Anja Karliczek weiß, dass der Crash kommt, aber sie kann nichts tun. „Huch, da geht ja gar nichts mehr“, sagt sie noch, da knallt es schon: Die silberne Limousine, die die Bildungsministerin auf einem Bildschirm durch die Straßen einer nicht identifizierten Stadt steuert, kracht frontal gegen einen hölzernen Laternenmast. Game over.
Karliczek hätte das nicht verhindern können. Alles Bremsen, alles Gegensteuern konnte nichts bringen, denn die Simulation, für die Karliczek das – echte, physisch vorhandene – Lenkrad ergriffen hat, soll zeigen, wie anfällig moderne Autos mit ihren vielen Computersystemen für feindliche Interventionen von außen sind.
Demonstriert wird das bei einem Besuch Karliczeks bei den Forschern des Helmholtz-Zentrums für Informationssicherheit (CISPA) in Saarbrücken. Die präsentieren freundlicherweise gleich noch ein Programm, das so etwas verhindern soll.
Karliczek macht und tut, und am Ende hilft es nichts – man kann, nach einem Jahr, das die CDU-Frau aus Westfalen nun hinter sich hat, Parallelen sehen zwischen Simulation und Realität. Zeugnis nach dem ersten Jahr als Ministerin: stets bemüht.
Den Namen Karliczek hatte kaum jemand auf dem Zettel
Als bekannt wurde, dass Karliczek das Bildungsressort und damit das viertgrößte Budget übernehmen soll, ging in vielen Redaktionen und Bundestagsbüros das Googeln los: Den Namen der 47-Jährigen hatte kaum jemand auf dem Zettel für mögliche Kabinettsposten. Das liegt auch daran, dass Karliczeks Lebenslauf keiner ist, der direkt auf den Job als oberste Bildungspolitikerin zuführt.
Die Mutter von drei Kindern kam über den Stadtrat in Tecklenburg in die Politik, ihren Abschluss als Diplomkauffrau machte die gelernte Hotelfachfrau an der Fernuniversität. Bevor sie 2013 für die CDU in den Bundestag ging, managte sie das Hotel der Familie im Tecklenburger Land in Westfalen.
Sie war gerade erst Geschäftsführerin der Unionsfraktion geworden, als Kanzlerin Angela Merkel sie in die allererste Reihe holte. Anja wer? Eine Frage, die ein Jahr nach dem Amtsantritt der Ministerin immer noch im Raum steht.
Das ist das Bundeskabinett
Karliczeks Vorhaben gehen unter und stocken
Karliczek war 2018 nicht der einzige Neuling am Kabinettstisch. Doch während andere Neuzugänge wie Familienministerin Franziska Giffey (SPD) oder Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in zügigem Tempo Gesetzesentwürfe in die Runde werfen und sich so einen Namen machen, ist es um sie merkwürdig still geblieben.
Eine im Kabinett beschlossene Bafög-Reform stieß auf verhaltenes Echo. Die Modernisierung der Berufsbildung will der Koalitionspartner SPD erst mitgehen, wenn Karliczek die Mindestvergütung für Azubis deutlich nach oben schraubt, während die Wirtschaft schon das Konzept einer Lohnuntergrenze für Auszubildende rundweg ablehnt.
Und der Digitalpakt, ein Prestigeprojekt, das den Schulen Milliardensummen für Geräte, schnelles Internet und Weiterbildungen für Lehrer bringen soll, hängt im Vermittlungsausschuss fest – Ausgang offen. Sie sei optimistisch, dass bis Ostern eine Lösung gefunden wird, sagt Karliczek.
Karliczek und Spahn treten auf – diskutiert wird über Spahn
Und selbst was klappt, taucht öffentlich kaum auf. Zum Beispiel die Sache mit dem Krebs: Am Dienstag der vergangenen Woche war Karliczek vor die Presse getreten, zusammen mit Gesundheitsminister Jens Spahn (ebenfalls CDU), um die „Dekade gegen Krebs“ auszurufen.
Zehn Jahre, in denen Prävention und Früherkennung systematisch ausgebaut, die Forschung beschleunigt und die Zahl der nationalen Zentren für Tumorerkrankungen von zwei auf acht erhöht werden sollen.
Und tatsächlich diskutierte am Ende der Woche das ganze Land darüber, was gegen Krebs getan werden kann, wie der Stand der Forschung ist und wie eine Gesellschaft einer Krankheit beikommen kann, an der jährlich rund eine halbe Million Menschen neu erkranken. Allerdings nicht wegen der Dekade. Sondern weil Karliczeks Kollege Spahn ein Interview gegeben hatte, in dem er – allen Einschätzungen von Fachleuten zum Trotz – erklärte, die Krankheit werde wohl in zehn bis 20 Jahren besiegt sein.
Opposition spottet, Parteifreunde widersprechen
Wenn ihr Name doch mal größer in den Schlagzeilen ist, dann wegen Sachen wie dem Bild von der Milchkanne im November. Da ging es darum, wie viel Netzausbau einerseits die Regierung aus der Versteigerung der 5G-Mobilfunklizenzen herausholen kann, wie viel Geld für den „Digitalfonds“ andererseits.
Karliczek plädierte dafür, den Fonds in den Vordergrund zu stellen – weil „5G nicht an jeder Milchkanne notwendig“ sei. Die Opposition spottete, die Parteifreunde widersprachen zügig. Selbst der Bauernverband mischte sich ein, um zu betonen, wie wichtig schnelles Internet noch an der letzten metaphorischen Milchkanne ist.
„Ich habe gelernt, dass Bilder in der Politik nicht immer funktionieren“, sagt Karliczek zu dieser Episode heute. Das mit der Milchkanne würde sie so nicht mehr sagen.
Karliczek lernt, im Stillen. Drei Tage nach Spahn und den Krebsschlagzeilen, im Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) auf dem Campus der Universität des Saarlands: Die Ministerin eröffnet eine Gesprächsrunde, bei der die vielen Experten des Zentrums vorstellen, woran sie gerade arbeiten.
Karliczek kann gut zuhören
Fragen zu künstlicher Intelligenz würden ja häufig an sie herangetragen, sagt die Ministerin, die KI-Forscher am Tisch könnten die aber doch viel besser beantworten. Die Eröffnung der Runde klingt flüssig und locker, doch Karliczeks Hände verraten die Anspannung: Immer wieder verknoten sie sich unter dem Tisch im Schoß der Ministerin. Hin und wieder gestikuliert sie mit der Rechten, doch jedes Mal findet die Hand ihren Weg zurück unter den Tisch.
Die Spannung weicht erst, als die Experten anfangen, von ihrer Arbeit zu berichten, und der Fokus nicht mehr auf ihr liegt. Das ist der Moment, in dem sie tun kann, was ihr liegt: zuhören, Fragen stellen, versuchen zu verstehen. Dafür ist sie gern auch bereit, den Platz im Mittelpunkt zu räumen für andere.
Das ist eine Eigenschaft, die einen weit bringen kann, wenn man versucht, komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Doch wie weit trägt dieser Ansatz, wenn man hinterher die Ergebnisse dieser Überlegungen, die eigene Arbeit vertreten muss?
Jens Spahn machte wenige Tage nach dem Krebs-Coup erneut Schlagzeilen. Am Weltkrebstag twitterte er, jeder könne „seinen persönlichen Kampf gegen Krebs“ beginnen, indem er nicht mehr rauche und insgesamt gesünder lebe.
Viele an Krebs erkrankte Menschen und ihre Angehörigen fassten das als Schuldzuweisung auf. Die Empörung war groß, Spahn musste sich entschuldigen. Anja Karliczek war da gerade beim Krebsforschungskongress in Heidelberg, zuhören.