Berlin. Der Abrüstungsvertrags INF ist gescheitert. Bundesaußenminister Heiko Maas ruft zu einer neuen weltweiten Abrüstungsinitiative auf.

Seine Pendeldiplomatie zwischen Washington und Moskau ist ohne Erfolg geblieben. Die USA haben den historischen Abrüstungsvertrag für atomare Mittelstreckenraketen (INF) am Freitag gekündigt.

Das Abkommen aus dem Jahr 1987 verbietet landgestützte atomare Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5000 Kilometern. Im Interview mit unserer Redaktion dringt Außenminister Heiko Maas auf eine Abrüstungsinitiative ganz neuer Art.

Donald Trump ist jetzt seit zwei Jahren im Amt. Sind die schlimmsten Befürchtungen wahr geworden, Herr Maas? Hat der amerikanische Präsident die Welt unsicherer gemacht?

Heiko Maas: Natürlich stellt Donald Trumps Politik des „America First“ eine besondere Herausforderung dar. Nehmen Sie nur die Aufkündigung des Pariser Klimaabkommens oder die Ankündigungen, sich aus Syrien und teilweise auch aus Afghanistan zurückziehen zu wollen.

Donald Trump: „America First“
Donald Trump: „America First“ © REUTERS | JIM YOUNG

Aber für den Zustand der Welt sind nicht allein die USA verantwortlich. Seit Jahren unsicherer macht die Welt, dass Russland den Abrüstungsvertrag INF verletzt, ein Abkommen, das für Europa von größter Bedeutung ist.

Sie sind vor einigen Tagen nach Washington gereist, um die USA von der Kündigung des INF-Vertrages abzubringen. Haben Sie ernsthaft geglaubt, Sie könnten Trump umstimmen?

Maas: Wenn es um unsere Sicherheit in Europa geht, müssen wir alles versuchen, unseren Teil dazu beizutragen. Ich habe in Washington und zuvor auch in Moskau für Rüstungskontrolle geworben und sehr konkrete Vorschläge für Kriterien gemacht, mit denen russische Transparenzvorschläge geprüft werden sollten. Leider blieben bisher alle russischen Angebote weit dahinter zurück. Schon unter Präsident Obama gab es die Einschätzung, dass die Russen den INF-Vertrag verletzen. Moskau hat eine nukleare Mittelstreckenrakete entwickelt und getestet, die gegen das Abkommen verstößt.

Geben Sie allein Moskau die Schuld am Scheitern des Abrüstungsvertrags?

Maas: Ein Vertrag zwischen zwei Staaten, der von einer Seite verletzt wird, ist faktisch außer Kraft gesetzt. Leider ist die russische Seite nicht bereit, echte Transparenz zu schaffen und die Vertragstreue wiederherzustellen. Wir bedauern das – ohne den INF-Vertrag wird es weniger Sicherheit geben. Wir brauchen eine stabile und möglichst umfassende internationale Architektur zur Rüstungskon­trolle.

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Von Ihnen stammt der Satz: „Letztlich wollen doch alle eine Welt ohne Nuklearwaffen.“ Ist das nicht etwas blauäugig?

Maas: Nein. Rüstungskontrolle ist reine Realpolitik. Ich bekenne mich ganz klar dazu: Nukleare Mittelstreckenraketen in Europa wären jetzt die falsche Antwort. Wir können Feuer nicht mit Öl bekämpfen. In der Weltlage von heute helfen die Rezepte aus den 70-Jahren nicht weiter. Stattdessen werden wir Impulse für eine neue Abrüstungsdynamik setzten …

… soll heißen?

Maas: Das Thema Abrüstung muss wieder auf die internationale Tagesordnung. Das gilt nicht nur für die USA und Russland, auch Länder wie China müssen einbezogen werden. Und: In den letzten Jahrzehnten sind viele neue Waffensysteme entwickelt worden: autonome Waffen, Cyber-Waffen, Killer-Roboter. Für die gibt es bislang fast keine internationalen Regeln.

Dieser Panzer kann unbemannt eingesetzt werden.
Dieser Panzer kann unbemannt eingesetzt werden. © picture alliance / Stanislav Kra | dpa Picture-Alliance / Stanislav Krasilnikov

Dafür wird sich die Bundesregierung einsetzen, auch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Als ersten Schritt werden wir eine Konferenz über Rüstungskontrolle im März in Berlin veranstalten, bei der die neuen Waffensysteme besonders im Fokus stehen. Wir brauchen neue Regeln für die neuen Technologien.

Fürchten Sie einen neuen Kalten Krieg?

Maas: Die Zeiten des Kalten Krieges sind vorbei. Aber: Nationalismus und Populismus sind weltweit auf dem Vormarsch. Die internationale Zusammenarbeit, der Multilateralismus, steht unter Druck. Dieser Entwicklung müssen wir entgegentreten. Klimawandel, Digitalisierung, Migration – für die Lösung der großen Fragen unserer Zeit brauchen wir nicht weniger, sondern mehr internationale Zusammenarbeit.

Wir machen uns keine Illusionen. Nichts davon wird einfach. Aber: Wir setzen uns für internationale Regeln zur Abrüstung ein, die möglichst viele Staaten und auch die neuen Waffensysteme umfassen.

Würde der Westen, wie wir ihn kennen, eine zweite Amtszeit Trumps überstehen?

Maas: Davon bin ich überzeugt. Ich sehe keinen Grund für apokalyptische Erwartungen. Die USA sind weit mehr als das Weiße Haus.

Trump hat Deutschland ins Visier genommen, auch wegen seines vergleichsweise geringen Beitrags zur Nato. Wann erfüllt die Bundesregierung die Verpflichtung, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben?

Maas: Die Bundesregierung hat sich festgelegt: Bis 2024 wird Deutschland seine Verteidigungsausgaben auf 1,5 Prozent erhöhen. Es geht dabei auch darum, die Ausrüstung der Bundeswehr zu verbessern. Dort gibt es erhebliche Defizite, die wir beheben müssen.

Damit wird sich Trump nicht zufriedengeben.

Maas: Es ist dem Präsidenten unbenommen, seine Forderungen zu erheben.

Wann wird es Zeit, die Beziehungen zu Russland zu normalisieren – und die Sanktionen aufzuheben, die nach der Aggression gegen die Ukraine verhängt worden sind?

Maas: Wir sind mit Russland als Europas größtem Nachbarn im Dialog über alle uns gemeinsam betreffenden Konflikte. Die Sanktionen sind kein Selbstzweck oder Drohung, sondern ein politisches Instrument, um konkrete Ziele zu erreichen – in diesem Fall die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen.

Sollen die Russland-Sanktionen so lange in Kraft bleiben, bis Moskau die Krim zurückgibt?

Maas: Solange es keine Fortschritte nach den Vorgaben des Friedensvertrags von Minsk gibt, können wir nicht über eine Lockerung der Sanktionen sprechen. Das ist im Moment bedauerlicherweise nicht der Fall.

Die Kritik an der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2, die von Russland nach Deutschland führen soll, wächst – gerade aus den USA. Ihnen selbst kommen keine Zweifel an dem Projekt?

Maas: Das ist ein Projekt von mehreren europäischen Unternehmen. Und meine Haltung dazu bleibt klar: Fragen der europäischen Energiepolitik müssen in Europa entschieden werden, nicht in den USA. Wir wollen unsere Energiesicherheit auf eine breite Basis stellen. Dabei werden wir darauf achten, dass die bestehende Gasdurchleitung durch die Ukraine auch in Zukunft nicht gekappt wird.

Sie haben das Auswärtige Amt vor einigen Monaten von Sigmar Gabriel übernommen. In der SPD gibt es Mutmaßungen über eine Rückkehr Gabriels in eine Spitzenposition. Könnte der frühere Parteichef den Sozialdemokraten in der Krise helfen?

Maas: Ich glaube, die Menschen haben weniger ein Interesse an Personaldebatten. Sie erwarten, dass wir vernünftig regieren – zu Recht.

Sigmar Gabriel (SPD), Vorgänger im Auswärtigen Amt.
Sigmar Gabriel (SPD), Vorgänger im Auswärtigen Amt. © dpa | Axel Heimken

Trauen Sie Andrea Nahles zu, die SPD aus dem Umfragetief zu führen?

Maas: Natürlich.

Olaf Scholz ließ jetzt wissen, dass er sich das Kanzleramt zutraut ...

Maas: Das überrascht mich nicht. Was soll er denn sonst sagen? Olaf Scholz ist Vizekanzler.

Auch von einem Außenminister wird erwartet, dass er sich zutraut, die Regierung zu führen. Wie ist das bei Ihnen?

Maas: Von einem Außenminister wird erwartet, dass er seinen Beitrag dazu leistet, dass Deutschland ein verlässlicher Partner in der Welt bleibt.

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Künstliche Intelligenz im Dienst des Militärs

„Killer Robots“ wurden vor einigen Jahren noch als Science Fiction abgetan. Es sind Kriegsmaschinen, die eigenständig Ziele wählen und zerstören. Ihre Erforschung und Entwicklung schreitet in dem Tempo voran, in dem Robotik und künstliche Intelligenz (KI) sich entwickeln, mit einem Wort: rasant.

Und es gibt keinen Zweifel, dass Staaten wie die USA, Russland, China, Israel, Südkorea und Großbritannien seit Jahren daran arbeiten und kein Interesse haben, diese Waffen zu ächten. Zwar wird seit dem Jahr 2014 auf UN-Ebene über Regeln verhandelt – die nächste Runde steht vom 25. bis 29 März dieses Jahres in Genf an –, aber bisher ohne Erfolg.

Die Staaten haben sich nicht einmal auf eine gemeinsame Definition verständigen können. Weltweit haben mehr als 2000 Wissenschaftler, die mit KI arbeiten, solche Waffen verurteilt. Zu einer Ächtung bekennt sich auch die Koalition von Union und SPD. (san)