Dresden/Berlin. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer über das Ost-Wahljahr, Gewalt zum Jahreswechsel und Perspektiven von Friedrich Merz.

30 Jahre Mauerfall, drei Landtagswahlen in Ostdeutschland – Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer will aus den Erfolgen der Einheit schöpfen, um bei der Wahl am 1. September gegen die AfD zu bestehen. An die Bundesregierung richtet der CDU-Politiker im Interview mit unserer Redaktion ganz besondere Forderungen.

Herr Ministerpräsident, der Jahreswechsel wurde begleitet von ganz unterschiedlichen Schreckensnachrichten. Im bayerischen Amberg haben junge, betrunkene Asylbewerber wahllos auf Passanten eingeschlagen. Bundesinnenminister Horst Seehofer nahm das zum Anlass, schärfere Abschieberegeln zu fordern. Unterstützen Sie ihn dabei?

Michael Kretschmer: Es sind wenige Kriminelle, ob Ausländer oder Deutsche, die sich nicht an Recht und Ordnung halten. Der Staat muss seine Handlungsfähigkeit beweisen und – wo notwendig – Gesetze nachschärfen. Wir müssen Polizei und Justiz mit den erforderlichen Instrumenten ausstatten. Die CDU hat schon lange Vorschläge unterbreitet – auch zu schärferen Abschieberegeln und sicheren Herkunftsstaaten. Ohne die permanente Verweigerungshaltung der Grünen wären wir hier schon deutlich weiter.

Geben Sie den Grünen die Schuld an ­solchen Vorfällen?

Kretschmer: Das wäre zu einfach. Wir brauchen einen parteiübergreifenden Konsens. Die Grünen sind in Opposition zur Bundesregierung, aber nicht zu Deutschland. Sie sind an neun von 16 Landesregierungen beteiligt und tragen Verantwortung. Es frustriert viele Bürger, dass es erst extreme Gewaltvorfälle braucht, bevor die Politik handelt. Freiheit braucht Sicherheit und einen wehrhaften Staat.

Im Ruhrgebiet hat ein Deutscher in der ­Silvesternacht mit seinem Auto – offenbar aus Rassismus – Asylbewerber angegriffen und schwer verletzt. Was sagt das über die rechtsextremistische Bedrohung in Deutschland aus?

Kretschmer Auch hier gilt: Es sind schockierende Taten, die durch nichts zu rechtfertigen und auf das Schärfste zu verurteilen sind! Es geht darum, Straftaten aufzuklären und mit aller Konsequenz zu ahnden.

Ihrem Bundesland wird ein besonderes Problem mit Rechtsextremismus nachgesagt. Empfinden Sie das als ungerecht?

Kretschmer: Rechtsextremismus ist eine Bedrohung für die Demokratie – nicht nur in Sachsen. Wo ich Verantwortung trage, werde ich diesen Kampf mit aller Entschlossenheit führen.

Was haben Sie sich in diesem Kampf ganz konkret für das neue Jahr vorgenommen?

Kretschmer: Ich will den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken – und neue wirtschaftliche Perspektiven schaffen. Es geht darum, die Chancen der Digitalisierung beherzt zu ergreifen. Wir müssen nach vorn gehen, statt Probleme zu wälzen.

Reichen solche Schlagworte, um die AfD im September bei der Sachsen-Wahl zu ­bezwingen?

Kretschmer: Ich stelle mir eine andere Frage: Was braucht das Land, damit es eine gute Zukunft hat? Wir müssen in die länd­lichen Räume investieren – besonders in den öffentlichen Nahverkehr. Dazu müssen wir mit Zuversicht und Freude jene Kräfte mobilisieren, mit denen wir in den 90er-Jahren den Freistaat Sachsen aufgebaut haben.

Die AfD, die in Ihrem Land schon bei der Bundestagswahl stärkste Partei geworden ist, wollen Sie einfach ignorieren?

Kretschmer: Wir stützen uns auf unser Selbstvertrauen, was wir schon alles miteinander erreicht haben. Wir wollen unser Land weiter voranbringen.

Eine Zusammenarbeit mit der AfD schließen Sie aus?

Kretschmer: Eine Koalition mit AfD oder Linkspartei kommt für mich nicht infrage.

Welche Unterstützung erwarten Sie im Wahlkampf von der neuen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer – und von ihrem unterlegenen Mitbewerber Friedrich Merz?

Kretschmer: Meine Erwartungen richten sich vor allem an die Bundesregierung: 2019 und 2020 feiern wir 30 Jahre friedliche Revolution und deutsche Einheit. Das sollte Anlass sein, uns über die Erfolge zu freuen. Lebenserwartung und Wohlstandsniveau sind im Osten enorm gestiegen. Um die Erinnerung wachzuhalten, sollten die authentischen Orte der Wende – etwa die Normannenstraße in Berlin oder die Runde Ecke in Leipzig – mit Bundesmitteln modernisiert werden.

Wollen Sie Wahlkampf machen mit der deutschen Geschichte?

Kretschmer: Natürlich müssen wir Schwung auslösen, um noch nicht Erreichtes zu schaffen. Dabei geht es um Infrastruktur, Forschung und Innovation. Da ist im letzten Bundeshaushalt eine Menge angelegt worden – etwa die Ansiedlung neuer Institute in Ostdeutschland. Wenn man die Landkarte anschaut und wirtschaftliche Daten vergleicht, sieht man immer noch die ehemalige Grenze. Unser Ziel muss sein, dass sich ­diese Unterschiede auflösen – und Deutschland noch mehr zusammenwächst.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt fordert, ab sofort alle neuen ­Bundesbehörden und Forschungsein­richtungen im Osten anzusiedeln und Ostdeutsche in ostdeutschen Verwaltungen ­bevorzugt einzustellen.

Kretschmer: Ein bisschen differenzierter muss man das schon machen. Richtig ist aber: Bei der Ansiedlung von Bundesbehörden oder von Bundeswehrstandorten sollte der Osten bis auf Weiteres klar bevorzugt werden. Das fördert Wirtschaftsstrukturen und stärkt die Kaufkraft. Der Bundesverkehrsminister hat ein Zeichen gesetzt, als er jetzt das Bundesfernstraßenamt nach Leipzig verlegt hat. Auf diesem Weg muss es weitergehen. Der Osten braucht auch mehr Forschungseinrichtungen. Die Nähe zu Polen oder Tschechien und die Möglichkeit grenzüberschreitender Zusammenarbeit können dabei ein Anreiz sein.

Der Wirtschaftsflügel der Union würde den Solidaritätszuschlag am liebsten schon in diesem Jahr vollständig abschaffen. Widersprechen Sie?

Kretschmer: Was die neuen Bundesländer an Geld bekommen, hängt nicht vom Solidaritätszuschlag ab. Ich bin dafür, den Soli bis zum Ende der Wahlperiode komplett abzuschaffen – und erwarte, dass sich die SPD an dieser Stelle bewegt. Eine Steuerentlastung gerade für die Leistungsträger in unserer Gesellschaft ist dringend geboten.

Wünschen Sie sich, dass Angela Merkel bis zum Ende der Wahlperiode als Bundeskanzlerin amtiert?

Kretschmer: Mein Wunsch ist, dass Bund und Länder gute Entscheidungen treffen – etwa zum Strukturwandel. Ich erwarte, dass wir noch im Januar gemeinsam mit der Bundesregierung ein Programm beschließen, wie im Osten neue, gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen können – und zwar, bevor der Ausstieg aus der Braunkohle kommt.

Ist mit der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur CDU-Vorsitzenden eine Vorentscheidung gefallen, wer die Union in die nächste Bundestagswahl führt?

Kretschmer: Die Parteivorsitzende hat sicherlich den Erstzugriff.

Auf eine Kanzlerkandidatur von Friedrich Merz braucht niemand mehr zu hoffen?

Kretschmer: Das würde ich so nicht sagen. Wir sind eine demokratische Partei und entscheiden gemeinsam, wer die Union in die nächste Bundestagswahl führt. Der Zeitpunkt dafür ist noch nicht gekommen.