Berlin/Chemnitz. Das „Zentrum für politische Schönheit“ fordert Besucher einer neuen Webseite auf, Fotos von Demonstrationen in Chemnitz auszuwerten.

Die Künstler- und Aktivistengruppe „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS) will sich erneut mit einer Aktion gegen Rechts engagieren. Auf einer neuen Webseite „fahnden“ die Aktivisten nach Teilnehmern rechter Ausschreitungen Ende August in Chemnitz.

Auf der Seite sind Demonstranten auf Fotos zu sehen – und dazu ein Aufruf zum Denunzieren gegen Geld. Besucher der Seite sollen Menschen auf den Bildern identifizieren, auch Arbeitgeber der abgebildeten Personen sollen sich beteiligen und damit, so der Aufruf, „Haltung zeigen“.

„Denunzieren Sie noch heute Ihren Arbeitskollegen, Nachbarn oder Bekannten und kassieren Sie Sofort-Bargeld. Helfen Sie uns, die entsprechenden Problemdeutschen aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst zu entfernen“, heißt es auf soko-chemnitz.de.

Landesregierung mahnt Aktivistengruppe ab

Der Online-Pranger brachte den Aktivisten rasch Kritik ein. Auf der Facebook-Seite des ZPS wurden viele kritische Kommentare abgegeben – einer davon: „Boah. Wohl fühle ich mich da aber auch nicht. Wir haben eine Polizei. Das ist ihre Aufgabe.“

Sachsens Landesregierung ging mit einer Abmahnung juristisch gegen die Künstlergruppe vor. Diese dürfe das Logo der sächsischen Standortkampagne „So geht sächsisch“ auf der ZPS-Internetseite „soko-chemnitz.de“ nicht verwenden, berichtet die Chemnitzer „Freie Presse“ am Montag. Das Logo war aber auch Stunden danach (14 Uhr) noch auf der Seite zu finden.

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Die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk will die Aktion „Soko Chemnitz“ prüfen. Das sagte ein Sprecher Smoltczyk der Berliner Morgenpost. Man werde das ZPS anschreiben und um eine Stellungnahme bitten, sagte der Sprecher.

Vor rund einem Jahr hatte das „Zentrum für politische Schönheit“ mit dem Nachbau des Holocaust-Mahnmals in Thüringen bundesweit Schlagzeilen gemacht. Der Nachbau stand nämlich an der Grenze des Grundstücks von Thüringens AfD-Chef Björn Höcke .

Mit der Aktion sollte gegen eine Rede Höckes vom Januar 2017 in Dresden protestiert werden. Darin hatte der Politiker mit Bezug auf das Berliner Mahnmal von einem „Denkmal der Schande“ gesprochen.

Das Kölner Landgericht erklärte das Mahnmal in Höckes Nachbargarten im März zu Kunst. „Es spricht viel dafür, dass diese Darstellung eines Denkmals schon das geformte Ergebnis einer freien schöpferischen Gestaltung ist und aufgrund der klassischen künstlerischen Darstellungsform schon Kunst darstellt“, hieß es in der Begründung.

ZPS will für neue Aktion Millionen von Bildern ausgewertet haben

Drei Millionen Bilder von 7000 Verdächtigen will das ZPS für seine neue Aktion „Soko Chemnitz“ ausgewertet haben. „Das Ziel: den Rechtsextremismus 2018 systematisch erfassen, identifizieren und unschädlich machen“, heißt es auf der Website der Gruppe.

Verwendet worden seien nur Fotos von öffentlich zugänglichen Quellen – etwa von Facebook-Profilen von rechten Anhängern, die sich bekannt haben, in Chemnitz dabei gewesen zu sein, hieß es.

Diesen Nachbau des Berliner Holocaust-Denkmals setzte das ZPS in die Nachbarschaft von AfD-Politiker Björn Höcke.
Diesen Nachbau des Berliner Holocaust-Denkmals setzte das ZPS in die Nachbarschaft von AfD-Politiker Björn Höcke. © Screenshot/Youtube

„Nach den verfassungsfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz erfolgte eine Debatte über die Asylgesetzgebung in diesem Land, statt einschneidender Maßnahmen gegen Rechtsextremismus“, begründete ZPS-Gründer Philipp Ruch die neue Aktion. In einigen Regionen in Sachsen sei heute nicht mehr klar, ob die demokratisch gesinnten Kräfte in der Mehrheit sind.

Die Ächtung von rechten Straftätern könne auch nicht allein der Politik und den Strafverfolgungsbehörden überlassen werden, dies sei ein gesamtgesellschaftlicher Prozess. Der Wirtschaft komme dabei „eine Schlüsselrolle bei der Entnazifizierung zu“, sagte Ruch.

ZPS-Aktivist: Chemnitz soll nicht Symbol für Nazis sein

Arbeitgeber und Unternehmen, die oft über ein weites Netzwerk internationaler Kontakte verfügen, sollten wissen, wenn sich unter ihren Mitarbeitern Rechtsextreme befinden.

Zugleich müssten die demokratischen Kräfte gestärkt werden. Auf ihrer Website bieten die Aktivisten auch die Möglichkeit, das Foto von mutmaßlichen Rechtsextremen wieder zu entfernen, sofern diese sich schriftlich zur demokratischen Grundordnung bekennen.

„Wir wollen mithelfen, dass marodierende Nazis nicht das ist, was über Jahre hinweg im kollektiven Gedächtnis mit Chemnitz verbunden wird“, sagte Ruch.

Am 26. August war beim Chemnitzer Stadtfest ein 35 Jahre alter Deutsch-Kubaner im Streit erstochen worden. Tatverdächtig sind drei Asylbewerber. Rechte Gruppen instrumentalisierten die Tat für ausländerfeindliche Demonstrationen. Dabei kam es zu Ausschreitungen und Attacken gegen ausländisch aussehende Personen. Auch ein jüdisches Restaurant wurde von rechten Gewalttätern attackiert.

Chemnitz: Chronik eines Ausnahmezustands

In der Nacht vom 25. auf den 26. August wird in Chemnitz am Rande eines Stadtfestes ein 35-jähriger Mann niedergestochen. Am 27. August ziehen bereits tausende rechtsgerichtete Gruppen durch Chemnitz’ Straßen. Die Polizei hat Mühe, die Gruppe vom Gegenprotest fernzuhalten. Immer wieder versuchten sie Polizeiketten zu durchbrechen, werfen Flaschen und Böller. Die Polizei ermittelt gegen zehn Personen, die den Hitlergruß gezeigt haben.
In der Nacht vom 25. auf den 26. August wird in Chemnitz am Rande eines Stadtfestes ein 35-jähriger Mann niedergestochen. Am 27. August ziehen bereits tausende rechtsgerichtete Gruppen durch Chemnitz’ Straßen. Die Polizei hat Mühe, die Gruppe vom Gegenprotest fernzuhalten. Immer wieder versuchten sie Polizeiketten zu durchbrechen, werfen Flaschen und Böller. Die Polizei ermittelt gegen zehn Personen, die den Hitlergruß gezeigt haben. © dpa | Jan Woitas
Journalisten werden attackiert.
Journalisten werden attackiert. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Nach den Ausschreitungen liegen 37 Strafanzeigen vor, mehrheitlich zu Körperverletzungsdelikten, Sachbeschädigungen und Straftaten nach dem Versammlungsgesetz.
Nach den Ausschreitungen liegen 37 Strafanzeigen vor, mehrheitlich zu Körperverletzungsdelikten, Sachbeschädigungen und Straftaten nach dem Versammlungsgesetz. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Laut Polizei werden 18 Menschen verletzt, darunter drei Beamte.
Laut Polizei werden 18 Menschen verletzt, darunter drei Beamte. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Der 35 Jahre alte Daniel H. hatte deutsche und kubanische Wurzeln. Am Tatort werden zahlreiche Blumen und Kerzen niedergelegt.
Der 35 Jahre alte Daniel H. hatte deutsche und kubanische Wurzeln. Am Tatort werden zahlreiche Blumen und Kerzen niedergelegt. © dpa | Jan Woitas
Ein 23 Jahre alter Syrer und ein 22 Jahre alter Iraker werden verdächtigt, Daniel H. getötet und zwei weitere Männer durch Messerstiche zum Teil schwer verletzt zu haben. Als dringend tatverdächtig wird zudem ein 22-jähriger Iraker mit Haftbefehl gesucht.
Ein 23 Jahre alter Syrer und ein 22 Jahre alter Iraker werden verdächtigt, Daniel H. getötet und zwei weitere Männer durch Messerstiche zum Teil schwer verletzt zu haben. Als dringend tatverdächtig wird zudem ein 22-jähriger Iraker mit Haftbefehl gesucht. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Familienministerin Franziska Giffey (SPD) reist als erstes Mitglied der Bundesregierung nach Chemnitz und besucht den Tatort.
Familienministerin Franziska Giffey (SPD) reist als erstes Mitglied der Bundesregierung nach Chemnitz und besucht den Tatort. © dpa | Sebastian Kahnert
Am 1. September kommt es in Chemnitz erneut zu mehreren Demonstrationen.
Am 1. September kommt es in Chemnitz erneut zu mehreren Demonstrationen. © dpa | ---
Der Polizei zufolge stehen 8000 Teilnehmern rechtsgerichteter Proteste 3000 Gegendemonstranten gegenüber.
Der Polizei zufolge stehen 8000 Teilnehmern rechtsgerichteter Proteste 3000 Gegendemonstranten gegenüber. © dpa | Ralf Hirschberger
Auch Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, nimmt an der Demonstration teil.
Auch Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, nimmt an der Demonstration teil. © dpa | Ralf Hirschberger
Die Gegenseite will Gesicht zeigen: Am 3. September kommen rund 65.000 Zuschauer und Demonstranten in die sächsische Stadt, um unter dem Motto „#wirsindmehr“ gegen Rechts zu demonstrieren.
Die Gegenseite will Gesicht zeigen: Am 3. September kommen rund 65.000 Zuschauer und Demonstranten in die sächsische Stadt, um unter dem Motto „#wirsindmehr“ gegen Rechts zu demonstrieren. © dpa | Sebastian Kahnert
Bei dem Konzert treten unter anderem Marteria und Casper, Feine Sahne Fischfilet, Kraftklub und Die Toten Hosen auf.
Bei dem Konzert treten unter anderem Marteria und Casper, Feine Sahne Fischfilet, Kraftklub und Die Toten Hosen auf. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Campino, Sänger von Die Toten Hosen, setzt ein Zeichen gegen Rassismus.
Campino, Sänger von Die Toten Hosen, setzt ein Zeichen gegen Rassismus. © dpa | Sebastian Kahnert
„Die Würde des Menschen ist antastbar“ steht auf einem Banner in Anspielung auf Artikel 1 des Grundgesetzes. Darin heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
„Die Würde des Menschen ist antastbar“ steht auf einem Banner in Anspielung auf Artikel 1 des Grundgesetzes. Darin heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ © dpa | Sebastian Kahnert
Der deutsche Rapper Marteria sagte, er fühle sich durch die Vorkommnisse in Chemnitz an die fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen erinnert.
Der deutsche Rapper Marteria sagte, er fühle sich durch die Vorkommnisse in Chemnitz an die fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen erinnert. © dpa | Sebastian Kahnert
Das Motto des Konzerts: Wir sind mehr – mehr als die rechtsgerichteten Teilnehmer, die in Chemnitz nach dem Tod des jungen Mannes auflaufen. Dieses Foto vom 1. September zeigt noch die Teilnehmer der Kundgebung der rechtspopulistischen Bürgerbewegung Pro Chemnitz, die sich vor dem Karl-Marx-Denkmal versammeln.
Das Motto des Konzerts: Wir sind mehr – mehr als die rechtsgerichteten Teilnehmer, die in Chemnitz nach dem Tod des jungen Mannes auflaufen. Dieses Foto vom 1. September zeigt noch die Teilnehmer der Kundgebung der rechtspopulistischen Bürgerbewegung Pro Chemnitz, die sich vor dem Karl-Marx-Denkmal versammeln. © dpa | Boris Roessler
„Weder grau noch braun“: Die Vorfälle in Chemnitz befeuern in Politik und Gesellschaft die Debatte über Ausländerfeindlichkeit und Integration. Auch über die Vorfälle wird scharf diskutiert.
„Weder grau noch braun“: Die Vorfälle in Chemnitz befeuern in Politik und Gesellschaft die Debatte über Ausländerfeindlichkeit und Integration. Auch über die Vorfälle wird scharf diskutiert. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Gab es Hetzjagden – ja oder nein? Die Debatte dazu nimmt schnell Fahrt auf.
Gab es Hetzjagden – ja oder nein? Die Debatte dazu nimmt schnell Fahrt auf. © REUTERS | Matthias Rietschel
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer erklärt, es habe keinen Mob, keine Pogrome oder Hetzjagden in Chemnitz gegeben. Davon hatte zuvor die Bundesregierung gesprochen.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer erklärt, es habe keinen Mob, keine Pogrome oder Hetzjagden in Chemnitz gegeben. Davon hatte zuvor die Bundesregierung gesprochen. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen problematisiert den Begriff „Hetzjagden“ in einem Zeitungsinterview. Ein Video, dass eben jene Jagden auf Ausländer zeige, stellt er in Frage.
Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen problematisiert den Begriff „Hetzjagden“ in einem Zeitungsinterview. Ein Video, dass eben jene Jagden auf Ausländer zeige, stellt er in Frage. © dpa | Kay Nietfeld
Anfang September wird bekannt, dass am 27. August das jüdische Restaurant „Shalom“ in Chemnitz angegriffen wurde.
Anfang September wird bekannt, dass am 27. August das jüdische Restaurant „Shalom“ in Chemnitz angegriffen wurde. © dpa | Hendrik Schmidt
Gut drei Wochen nach der tödlichen Messerattacke kommt einer der beiden inhaftierten Tatverdächtigen auf freien Fuß. Das verkündet sein Anwalt Ulrich Dost-Roxin.
Gut drei Wochen nach der tödlichen Messerattacke kommt einer der beiden inhaftierten Tatverdächtigen auf freien Fuß. Das verkündet sein Anwalt Ulrich Dost-Roxin. © dpa | Hendrik Schmidt
Die SPD fordert nach den Äußerungen Maaßens personelle Konsequenzen. Der Verfassungsschutzchef müsse seinen Posten räumen.
Die SPD fordert nach den Äußerungen Maaßens personelle Konsequenzen. Der Verfassungsschutzchef müsse seinen Posten räumen. © Getty Images | Michele Tantussi
Krisentreffen im Kanzleramt: Am 18. September entscheidet die Koalitionsspitze über die Zukunft von Hans-Georg Maaßen.
Krisentreffen im Kanzleramt: Am 18. September entscheidet die Koalitionsspitze über die Zukunft von Hans-Georg Maaßen. © dpa | Kay Nietfeld
Maaßen muss seine Sachen packen. Der Verfassungsschutzpräsident wird nach seinen umstrittenen Äußerungen zu den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz abgelöst. Doch statt Kündigung erwartet Maaßen der Wechsel ins Bundesinnenministerium als Staatssekretär. Eine Lösung, die bei der Opposition, aber auch in Teilen der SPD scharfe Kritik auslöst.
Maaßen muss seine Sachen packen. Der Verfassungsschutzpräsident wird nach seinen umstrittenen Äußerungen zu den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz abgelöst. Doch statt Kündigung erwartet Maaßen der Wechsel ins Bundesinnenministerium als Staatssekretär. Eine Lösung, die bei der Opposition, aber auch in Teilen der SPD scharfe Kritik auslöst. © picture alliance/dpa | dpa Picture-Alliance / Bernd von Jutrczenka
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