Düsseldorf. Nach einem Brand in seiner Gefängniszelle starb ein unschuldiger Syrer. Warum half ihm niemand? Warum brannte es? Eine Spurensuche.

Aus Sicht von SPD und Grünen ist der Fall des unschuldig inhaftierten und nach einem Brand gestorbenen Syrers Amed A. ein „Justizskandal“. Weil noch unbeantwortet ist, was genau geschehen ist, schießen Spekulationen ins Kraut. Die Affäre belastet die nordrhein-westfälische Landesregierung bereits jetzt erheblich.

Der 26-jährige Amed A. aus Syrien war am 17. September bei einem Brand in der Zelle 143 in der Klever Justizvollzugsanstalt schwer verletzt worden. Zwei Wochen später starb er. Wenige Tage vor seinem Tod erkannten die Behörden, dass A. das Opfer einer Verwechslung war: Er saß seit dem 6. Juli zu Unrecht im Gefängnis.

Syrer soll auf Verwechslung hingewiesen haben

An jenem Tag hatte die Polizei den 26-Jährigen in Geldern an einem Badesee festgenommen. Eine Gruppe von Mädchen hatte sich von ihm belästigt gefühlt. Als die Beamten A.’s Personalien bei der Festnahme überprüften, stellten sie Ähnlichkeiten mit einer zur Fahndung ausgeschriebenen Person fest: Amedy G. aus Mali.

G. ist mit mehreren Aliasnamen registriert, einer davon ähnelt dem von Amed A. Der Syrer soll zwei Wochen vor dem Brand einer Psychologin gesagt haben, dass er verwechselt wurde. Ernsthaft nachgegangen wurde dem wohl nicht.

Notruf am Abend aus der Zelle 143

Spuren des Brandes in der Zelle 143 sind am Fenster zu sehen.
Spuren des Brandes in der Zelle 143 sind am Fenster zu sehen. © dpa | Markus van Offern

Unklar ist, wie es zu dem Brand in A.’s Zelle kam. A. hat aber, das ist inzwischen bekannt, am Abend des Brandes um 19.19 Uhr die Gegensprechanlage betätigt. Solche Anlagen sind nach Gewerkschaftsangaben in allen Gefängnissen in NRW üblich: Die Häftlinge betätigen sie von ihren Zellen aus und lösen damit ein Lichtsignal im Büro der JVA-Mitarbeiter aus. Die Bediensteten können dann mit dem Häftling kommunizieren.

Unklar ist, ob und wann das im Fall A. geschehen ist. Die Beamten sollen aber die Zellentür geöffnet haben, noch bevor die Feuerwehr vor Ort war. Zu dem Zeitpunkt soll der Syrer allerdings bereits schwere Verbrennungen gehabt haben.

War es womöglich gar ein Angriff?

Viele Fragen bleiben offen: Warum kümmert sich im Vorfeld des Brandes niemand ernsthaft um den psychisch labilen Mann? Warum fiel nicht auf, dass der Häftling aus Syrien nicht so aussah wie jemand aus dem afrikanischen Mali? War der Brand ein Unfall, ein – wie es lange hieß – Selbstmord oder gar ein Angriff?

Die neuen Erkenntnisse deuten zumindest darauf hin, dass A. Hilfe holen wollte. Er drückte den Alarmknopf und soll das Fenster seiner Zelle geöffnet haben. Ermittler sollen klären, ob und wann das Lichtsignal von A.’s Zelle deaktiviert wurde, heißt es in dem internen Bericht des Ministeriums.

Brand durch massive Zellentür nicht sofort zu erkennen

Peter Brock wehrt den Eindruck ab, dass das überhaupt möglich sei. „Technisch kann das Lichtsignal nicht deaktiviert werden“, so der NRW-Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten. Er gibt zu bedenken, dass die Insassen umliegender Zellen den Brand bemerkt haben könnten und ebenfalls per Sprechanlage Alarm geschlagen haben.

Die Beamten hätten dann zunächst herausfinden müssen, in welcher Zelle der Notfall seinen Ursprung gehabt habe. Die massiven, fensterlosen Zellentüren ließen nicht zu, dass man vom Flur aus sofort einen Brandherd erkennen könne.

Pro Asyl reagiert entsetzt

Brock stellt sich gegen die Kritik der Opposition. Er warnt davor, dass die Beamten der JVA Kleve vorverurteilt würden. „Der Mann war im Vollzug, wir waren für ihn verantwortlich, aber man kann jetzt nicht die Schuld beim kleinsten Teil des Systems suchen“, sagt Brock. „Die Bediensteten haben alles getan, um ihn zu retten und sich auch selbst dabei in Gefahr gebracht.“

Die Flüchtlingshilfe Pro Asyl reagierte entsetzt auf den Klever Vorfall und forderte eine sofortige umfassende Aufklärung. „Der Verdacht, der im Raum steht, macht mich sprachlos“, sagte Pro Asyl-Bundesgeschäftsführer Günter Burkhardt dieser Zeitung. „Es ist unfassbar, dass in Deutschland ein Mensch wochenlang unschuldig in Haft ist und dann unter so schrecklichen Umständen zu Tode kommt“, so Burckhardt.

Dieser Text ist zuerst auf waz.de erschienen.