Rom/Berlin. In Italien formiert sich ein Bündnis aus Links- und Rechtspopulisten – und verunsichert auch die Deutschen. Was auf dem Spiel steht.

Musikalisch ist die Welt in Italien immerhin noch in Ordnung. Vor zwei Wochen lieferten zwei Italiener ein beeindruckendes Plädoyer für den Zusammenhalt in Europa ab. Beim Eurovision Song Contest in Lissabon landeten Ermal Meta und Fabrizio Moro mit einem Anti-Terror-Song „Non mi avete fatto niente“ („Ihr habt mir nichts antun können“) auf einem guten fünften Platz. Auf der politischen Bühne jedoch macht Italien längst keine „bella figura“ mehr.

Am Mittwochabend bekam der Kandidat der Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtspopulistischen Lega, Giuseppe Conte von Staatspräsident Sergio Mattarella den Regierungsauftrag in Italien. Schon die ersten Anzeichen für die Regierungsübernahme hatten Schockwellen in Europa ausgelöst. Eine Übersicht, was für Deutschland auf dem Spiel steht, falls das hoch verschuldete Italien noch stärker ins Wanken geraten sollte.

Was wollen rechtsnationale Lega und die linke Fünf-Sterne-Bewegung?

Steuersenkungen, Mindesteinkommen, Abkehr vom Brüsseler „Spardiktat“ – viele der Forderungen hören sich vertraut an, wurden sie doch in den Vorjahren von den Griechen gegenüber Europa vergeblich erhoben.

Die Koalitionäre wollen eine „Flat-Tax“ mit nur noch zwei Steuersätzen von 15 und 20 Prozent einführen, ebenso ein Grundeinkommen von 780 Euro im Monat. Die Anhebung des Rentenalters soll rückgängig gemacht werden. Alles zusammen würden die Versprechen schätzungsweise um die 100 Milliarden Euro kosten.

Wie wollen die Anti-Establishment-Parteien das finanzieren?

Das ist offen. Zwischenzeitlich kursierende Ideen, wie etwa bei der Europäischen Zentralbank (EZB) einen Schuldenerlass von 250 Milliarden Euro durchzusetzen, wurden von den Parteiführern wieder eingefangen. Die EZB mit ihrem italienischen Präsidenten Mario Draghi dürfte sich darauf auch gar nicht einlassen.

Wird Italien das neue Griechenland?

Auch die linke Athener Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras startete mit Revoluzzer-Sprüchen, um zähneknirschend die meisten Vorgaben der europäischen Geldgeber zu schlucken. Griechenland hat Fortschritte gemacht, das dritte Hilfspaket läuft im August aus.

Wirtschaftlich sind beide Länder kaum miteinander zu vergleichen. Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft Europas mit starker Industrie im Norden. Mit knapp 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist die Staatsverschuldung sehr hoch. Zum Vergleich: Deutschland will im kommenden Jahr seinen Schuldenstand auf unter 60 Prozent drücken und damit wieder die Maastricht-Kriterien der Europäischen Union einhalten.

Wie reagieren die Finanzmärkte?

Finanzinvestoren waren bislang vergleichsweise gelassen, langsam steigt die Nervosität. Die Renditen italienischer Staatsanleihen legten deutlich zu. Das bedeutet, der italienische Staat muss höhere Zinsen bieten, um sich Geld zu leihen. Die Risikoaufschläge sind aber noch deutlich von den Niveaus zu Zeiten der Griechenland-Krise entfernt.

Könnte Italien aus dem Euro aussteigen?

Ein „Italexit“ wäre nach dem „Brexit“ (Großbritannien verlässt die EU) ein Schreckensszenario für den Rest Europas. Angesichts der hohen Verschuldung und des maroden Bankensektors dürfte das aber selbst für die Populisten kaum eine Option sein. Absehbar ist, dass Rom mit härteren Bandagen gegenüber den Euro-Partnern auftreten wird.

So ist als Wirtschaftsminister Paolo Savona im Gespräch, ein entschiedener Gegner der mit harten Sparauflagen verbundenen Euro-Rettungspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Allerdings ist Savonas Ernennung noch nicht ausgemacht. Der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella schätzt seinem Umfeld zufolge keine Volkswirte, die den Euro und die EU ablehnen.

Hat Italien Auswirkungen auf die Reform von EU und Eurogruppe?

Davon ist auszugehen. Paris und Berlin arbeiten gerade mit Hochdruck an gemeinsamen Vorschlägen für den EU-Reformgipfel Ende Juni in Brüssel. Dabei dreht sich vieles um die Weiterentwicklung des Euro-Rettungsschirms ESM, die Sicherung von Spareinlagen in ganz Europa und die Abwicklung maroder Banken. Unklar ist, wie eine neue italienische Regierung sich dazu verhält – zumal die eigenen Banken, die auf einem Berg „fauler“ Kredite sitzen, dringend Geld brauchen, um zu überleben.

Wie ist die Stimmung in Bundestag und Bundesregierung?

Der Seiteneinsteiger Giuseppe Conte als möglicher Ministerpräsident sei erst einmal niemand, vor dem man Angst haben müsse, heißt es in Regierungskreisen. Die künftige italienische Regierung werde sich an bestehende Verträge halten müssen. FDP-Chefhaushälter Otto Fricke verlangt, Deutschland müsse wachsam sein. „Denn zu viele versuchen derzeit, Emmanuel Macrons Modernisierungsvorschläge zu missbrauchen, um sich von ihrer Verantwortung frei zu machen.“ Der SPD-Politiker Carsten Schneider warnt die neue Koalition in Rom, dass ein Konfrontationskurs gegen Europa dem eigenen Land schaden würde. „Nur mit Strukturreformen wird Italien zu einem Wachstumskurs zurückfinden.“

Flammt mit einer neuen Regierung in Rom die Flüchtlingskrise auf?

Das ist nicht zu erwarten. Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung wollen die Zuwanderung nach Europa, die zu einem großen Teil über das Mittelmeer erfolgt, bremsen. Ohnehin kommen weniger Flüchtlinge in Italien an. Im Mai 2017 waren es 23.000, ein Jahr später nur rund 1200.