Das sind die Strategien der Oppositionsparteien im Bundestag
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Lesezeit: 7 Minuten
Von Julia Emmrich, Alexander Kohnen und Theresa Martus
Berlin. Attackieren oder kooperieren? Was die kleinen Fraktionen im Bundestag der großen Koalition aus Union und SPD entgegensetzen wollen.
Die große Koalition steht: Am Mittwoch wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestag gewählt und anschließend vereidigt. Der Druck im Parlament wird hoch sein: In den vergangenen vier Jahren hatten Union und SPD es nur mit zwei Oppositionsparteien zu tun – der Linken und den Grünen.
Jetzt stehen sie vier Fraktionen gegenüber. Welche Strategien verfolgen diese?
Die Partei sucht ihre Rolle zwischen Fundamentalopposition und dem Versuch, anzudocken, wo man Gemeinsamkeiten mit Union und FDP vermutet. Co-Fraktionschefin Alice Weidel sieht darin keinen Widerspruch. Ihre Partei habe bereits bewiesen, dass sie Union und FDP vor sich „hertreiben“ würde, sagt sie unserer Redaktion. „Auf der anderen Seite sind wir selbstverständlich bereit, Anträgen zuzustimmen, mit denen wir übereinstimmen.“
Als größte der vier Oppositionsparteien kommt der AfD eine hervorgehobene Stellung zu. Ihre Abgeordneten dürfen als erste auf Beiträge der Regierungsparteien antworten, den Vorsitz im prestigeträchtigen Haushaltsausschuss führen sie auch.
AfD will sich breiter aufstellen
Bis jetzt hat die AfD die neue Prominenz vor allem genutzt, um jene Themenfelder zu bespielen, die sie groß gemacht haben: Mit Anträgen zur Flüchtlingspolitik, Islam und Euro hat die Partei in ihren ersten Monaten im Bundestag vor allem auf Außenwirkung gesetzt.
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In Zukunft will die Fraktion sich thematisch breiter aufstellen: „Vor allem Themen, welche die soziale Gerechtigkeit in unserem Land betreffen“, sollten eine größere Rolle spielen, sagt Weidel. Das seien unter anderem Rentenpolitik und ein Steuermodell, das Familien entlasten solle.
• FDP
Die größte Herausforderung für die FDP? Sie muss mit dem Aufmerksamkeitsdefizit umgehen, das sie erleidet, seit Parteichef Christian Lindner die Jamaika-Verhandlungen platzen ließ. Die AfD ist lauter, Linke und Grüne sind erfahrener im parlamentarischen Alltag. Und die FDP? Sie muss achtgeben, dass der Platz dazwischen nicht zum Schleudersitz wird.
Die Strategie: Die FDP will die Merkel-Regierung nicht pauschal bekämpfen. „Wir sehen uns nicht als schrille, sondern als smarte Opposition“, sagt Fraktionschef Lindner unserer Redaktion.
Die Liberalen wollten nicht „immer Nein sagen, sondern innovativere Lösungen vorschlagen“. Das heißt: Es kann vorkommen, dass die FDP-Fraktion in einigen Fällen mit Union und SPD stimmt, aber auch versucht, die große Koalition in Bedrängnis zu bringen.
Lindner für pragmatische Lösungen
Dahinter steht ein langfristiger Plan: Lindner will die Freien Demokraten als unideologische Truppe formieren, die sich mit pragmatischen Lösungen profiliert und so Wähler im gesamten bürgerlichen Spektrum ansprechen. Wähler, die zwischen der AfD ganz rechts sowie Grünen und Linken auf der anderen Seite eine regierungskritische Position suchen.
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„Wir sind die Stimme der Mitte“, wirbt der Fraktionschef. Die wichtigsten Ziele: Die Liberalen wollen auf „mehr Tempo bei der Digitalisierung und mehr individuellen Freiraum“ drängen. In der Europapolitik sieht sich die FDP zudem als letzter Anwalt eines marktwirtschaftlichen Bündnisses: Der Kampf für finanzielle Solidität und finanzpolitische Eigenverantwortung der Staaten liege inzwischen allein bei seiner Partei, meint Lindner.
• Linke
Es sah nach einem Wandel durch Annäherung aus. Ein gemeinsamer Termin der Linksfraktionschefs mit SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles stand schon fest. Doch dann hatte die FDP keine Lust mehr auf Jamaika – und die SPD steuerte in Richtung große Koalition. Also doch keine Annäherung.
Und so sieht sich die Linksfraktion nun als „DIE soziale Opposition im Bundestag“ – so die Überschrift eines Papiers der Fraktionsführung. Das lässt so gut wie keine Kooperation mit der großen Koalition erwarten. Die Partei bleibt ihrem Kurs der Fundamentalopposition treu.
Linke soll „Bollwerk der Menschlichkeit“ sein
„Als Linke ist es unsere Aufgabe, diese unsoziale Politik zu kritisieren, den sozial-ökologischen Umbau zu befördern, für eine friedliche Außenpolitik zu stehen und plausible Alternativen mit Radikalität in der Sache zu formulieren“, sagt Fraktionschef Dietmar Bartsch unserer Redaktion.
Die Linke soll ein „Bollwerk der Menschlichkeit“ im Bundestag und auch außerhalb sein. In der Sozialpolitik erwartet Bartsch wenig von der neuen Bundesregierung, „solange nicht seriös über Umverteilung gesprochen wird“. Seine Prognose: „Die letzte Merkel-Regierung wird mit dem aus Bayern abgeschobenen Horst Seehofer und einer desolaten SPD eine schwache und instabile sein.“
Keine Partei hat das plötzliche Jamaika-Aus so schwer erwischt wie die Grünen: Statt drei Minister in einer schwarz-gelb-grünen Bundesregierung zu stellen und Politik zu gestalten, steht die Ökopartei nun vor einer weiteren Legislaturperiode in der Opposition. Und das auch noch als kleinste Fraktion im Bundestag.
Die Grünen haben beschlossen, das Beste daraus zu machen. „Wir werden zeigen, wie es besser geht und nach vorne denken“, sagt Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt unserer Redaktion. Der neuen, kleinen großen Koalition fehlten vor allem Ideen für die Zukunft. „Davon haben wir eine Menge und die werden wir in der Partei mit einem neuen Grundsatzprogramm und im Bundestag mit Anträgen und in den Debatten ins Zentrum rücken.“
„Wir werden eine harte Opposition sein“
Die Grünen wollen vor allem mit den Themen Klimaschutz, Digitalisierung, Soziales, Flucht und Integration punkten. „Wir werden eine harte Opposition sein“, verspricht Göring-Eckardt.
Deutlich positionieren will sich die Ökopartei gegen die AfD. Göring-Eckardt kündigt an, „mit starker Stimme für unsere gewachsene freiheitlich-demokratische Ordnung“ einzutreten. Zuletzt attackierte Ex-Parteichef Cem Özdemir die Partei im Plenum mit einer emotionalen Rede: „Wie kann jemand, der Deutschland, der unsere gemeinsame Heimat so verachtet, wie Sie es tun, darüber bestimmen, wer Deutscher ist?“
Was den Grünen hilft: Seit Ende Januar führen Annalena Baerbock und Robert Habeck die Partei – zwei frische Chefs, die nicht in der grünen Flügel-Logik denken. Dieser Aufwind ist auch in vielen Umfragen spürbar: Die Grünen liegen stabil bei zwölf Prozent.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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