London/Berlin. In London wurden Freiwillige gezielt mit dem Coronvirus infiziert. Nun gibt es viel Kritik – und überraschende Ergebnisse der Studie.

  • In London sind Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Studie gezielt mit dem Coronavirus infiziert worden
  • Das sorgt nun für Kritik, weil solche Studien an Menschen sehr umstritten sind
  • Gleichzeitig liegen erste Ergebnisse vor

Sogenannte Human-Challenge-Studien sorgen nicht nur für medizinische Erkenntnisse, sondern auch für Kopfzerbrechen unter ethischen Gesichtspunkten: In der Vergangenheit kamen entsprechende Untersuchungen zum Beispiel bei der Entwicklung von Grippe- und Malaria-Impfstoffen zum Einsatz. Nun wurde im vergangenen Jahr am Imperial College in London eine Studie durchgeführt, für die freiwillige Probanden gezielt mit dem Coronavirus infiziert wurden. Mittlerweile liegen erste Erkenntnisse in einer Pre-Print-Studie vor. Doch für die Forschung gibt es auch Kritik.

Corona-Studie am Imperial College: So lief die Durchführung

Im Rahmen der Studie träufelten die Forscher 36 gesunden Erwachsenen in einer kontrollierten Umgebung eine niedrige Dosis des Wildtyps von Sars-CoV-2 ein. Die Probanden im Alter von 18 bis 29 Jahren waren weder zuvor gegen Corona geimpft worden, noch hatten sie bereits eine Infektion überstanden. 18 von ihnen infizierten sich nach der Dosis. Zwei Probanden wurden von der Studie ausgeschlossen, weil bei ihnen bereits vor der Gabe des Virus Antikörper nachgewiesen wurden. Lesen Sie auch: Risiko PIMS-Syndrom: Wie gefährlich ist Omikron für Kinder?

Ein Proband der Studie, der 24-jährige Jacob Hopkins aus Birmingham, schilderte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur dpa, wie er den Moment der Corona-Infektion erlebt hat: Er habe den Kopf in den Nacken legen müssen, dann habe ihm eine Person in kompletter Schutzausrüstung eine Flüssigkeit in die Nase getropft. "Ich habe mit der Ärztin eingeschlagen, wir waren beide so aufgeregt", berichtete Hopkins.

In den ersten Tagen habe Hopkins nicht viel gespürt, aber schließlich Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Grippe-Symptome bekommen. Rund drei Wochen verbrachte er in einem hermetisch abgeriegelten Raum, rund um die Uhr überwacht und immer wieder getestet. Covid-19 verharmlose er nicht: "Ich weiß, wie viel Schaden das angerichtet hat", sagte er gegenüber dpa. Aus diesem Grund habe er helfen wollen.

Erste Ergebnisse nach umstrittener Corona-Studie

Knapp ein Jahr später liegen die ersten Ergebnisse des umstrittenen Forschungsprojekts vor. Die britische Studie gilt als weltweit erste, die sich den möglichen Folgen von Covid-19 auf diese Weise genähert hat. Allerdings ist zu beachten, dass sie sich weder auf Omikron noch auf Delta beziehen, sondern auf den Wildtyp. Der Überblick.

  • Inkubationszeit: Im Rahmen der Studie beobachteten die Forschenden einen recht schnellen Ausbruch des Virus: Die Inkubationsphase des Virus soll demnach deutlich kürzer sein als zuvor angenommen. Erste Symptome traten im Schnitt schon nach 42 Stunden auf, also knapp zwei Tage nach der Ansteckung.
  • Masken: In der Untersuchung kam der Großteil der ausgeschiedenen Viruslast aus den Nasen der Probanden. Im Rachen fiel sie wiederum schwächer aus und nahm rasch wieder ab. Daraus leiteten die britischen Forschenden ab, wie wichtig der korrekte Sitz von Masken ist – und dass eben nicht die Nase herausschauen darf.

Der deutsche Immunologe Carsten Watzl zeigt sich von den Ergebnissen eher unbeeindruckt. "Was kann man Neues über Sars-CoV-2 lernen, wenn man gesunde 18-29J absichtlich mit dem Virus infiziert?", fragte er auf Twitter, um sich die Frage anhand einer kleinen Übersicht unmittelbar selbst zu beantworten: "Nicht sehr viel mehr, als wir eh schon wussten." Mehr zum Thema: Novavax: Ab wann und wo der Corona-Impfstoff verfügbar ist

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In Kreisen von Medizinethikerinnen und -ethikern sind solche Studien umstritten. Menschen würden unnötig in Gefahr gebracht, obwohl Alternativen vorhanden seien, argumentieren viele. Es gebe schließlich auch bei jungen Menschen mitunter schwere Verläufe, heißt es in einer Stellungnahme des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller.

Absichtlich mit Coronavirus infiziert: Forscher verteidigt Studie

Peter Openshaw war als einer der Forscher an der Studie in London beteiligt und verteidigt das Vorgehen. Ihm seien die ethischen Bedenken bekannt, sagte er am Mittwoch in einer Schalte mit Journalisten. "Aber ist es denn ethisch, diese Studien nicht durchzuführen, wenn sie Vorteile bringen?" Human-Challenge-Studien könnten in manchen Fällen etwa Tierversuche ablösen. Lesen Sie hier: Corona-Spätfolgen: Darum leiden Patienten an Haarausfall

Jonathan Van-Tam, ein medizinischer Berater der britischen Regierung, sprach sich ebenfalls für die Methode aus: "Aus wissenschaftlicher Sicht bieten diese Studien einen echten Vorteil, da der Zeitpunkt der Ansteckung genau bekannt ist und daher Dinge wie das Intervall zwischen dem Kontakt und der Art der Viruslast genau beschrieben werden können", erklärte er.

Corona-Studie: Forschende sehen Potenzial ihrer Methode für Impfstoffentwicklung

Ursprünglich hatten die Wissenschaftler gehofft, mit ihrer Forschung die Entwicklung von Impfstoffen beschleunigen zu können. Doch diese kamen auch mit klassischen klinischen Tests in Rekordgeschwindigkeit zum Einsatz. Trotzdem sehen die Forscher noch für diese Pandemie großes Potenzial für ihren Ansatz, gerade bei der Testung speziell an Varianten angepasster Impfstoffe: In der aktuellen Lage, mit einer hohen Immunisierung in der Bevölkerung und vielen zufälligen Infektionen, sei es für Impfstoff-Entwickler gar nicht mehr einfach, passende Probanden-Gruppen zu finden, um die Wirksamkeit ihres Mittels nachzuweisen. "Da können Human-Challenge-Studien helfen", sagt Studienautor Chris Chiu im Briefing. Auch interessant: Impfung für Kleinkinder: Biontech bereitet US-Zulassung vor

Derzeit bereitet das Team eine weitere Runde vor, bei denen Freiwillige mit der Delta-Variante infiziert werden sollen. Ziel ist es, dabei auch Durchbruchsinfektionen herbeizuführen bei Menschen, die bereits Antikörper in sich tragen. Jacob Hopkins könnte sich vorstellen, sich wieder infizieren zu lassen. Zwar sei er nach der dreiwöchigen Quarantäne erschöpft gewesen und habe erst einmal einen ganzen Tag geschlafen. Aber: "Es war eine großartige Erfahrung. Ich würde es jederzeit wieder machen."

(dpa/raer)