Berlin. Der Deutsche Spendenrat muss einen historischen Tiefstand an Spendern vermelden. Doch ein entscheidender Trend wird gar nicht erfasst.

Immer weniger Deutsche spenden. Diese Entwicklung beklagt der Deutsche Spendenrat seit Jahren und sie scheint sich in diesem Jahr fortzusetzen: Von Januar bis September haben rund 15,7 Millionen Menschen gemeinnützige Organisationen oder Kirchen finanziell unterstützt, teilte der Deutsche Spendenrat in Berlin mit. Seit 2005 erhebt der gemeinnützige Verein die Spenderzahl. Die 15,7 Millionen Spender bedeuten einen neuen Tiefstand. 2005 lag die Zahl fast doppelt so hoch.

In diesem Jahr spendeten bisher 800.000 Menschen weniger als im Vorjahr. Zwar spenden die Deutschen viel – im Schnitt 35 Euro pro Spende – und sorgen so dafür, dass mit einem Spendenvolumen von rund 3,3 Milliarden Euro im Zeitraum zwischen Januar und September das drittbeste Ergebnis seit 2005 erzielt werden konnte. Doch ein Trend verstärkt sich: Deutschlands Spender werden weniger und älter. 41 Prozent sind über 70 Jahre alt.

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Aber unterstützen wirklich immer weniger Deutsche soziales Engagement? Björn Lampe sieht das anders. Der 45-Jährige gehört dem dreiköpfigen Vorstandsteam von Betterplace an, Deutschlands größter Online-Spendenplattform.

Björn Lampe, Vorstandsmitglied von Betterplace.org, berichtet von hohen Wachstumszahlen von Spendern im Internet.
Björn Lampe, Vorstandsmitglied von Betterplace.org, berichtet von hohen Wachstumszahlen von Spendern im Internet. © betterplace.org | Julia Zimmermann

Während der Deutsche Spendenrat jährlich verkünden muss, dass immer weniger Deutsche spenden, vermeldet Betterplace den umgekehrten Effekt: „In diesem Jahr rechne ich damit, dass insgesamt 17 Millionen Euro über Betterplace.org gespendet werden. Im Vergleich zum Vorjahr wäre das ein Plus von rund 15 Prozent“, sagte Lampe unserer Redaktion.

Das Wachstum sei in den letzten Jahren sehr konstant gewesen und das liegt nicht nur an immer mehr Senioren, die das Netz als Spendenmöglichkeit dem Überweisungsträger vorziehen. Im Gegenteil: „Rund die Hälfte der Spender auf unserer Plattform ist zwischen 20 und 40 Jahre alt“, berichtet Lampe.

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Auch Martin Mälzer, Geschäftsführer des Deutschen Spendenrats, glaubt, dass sich „Jüngere durch neue Spendenformen angesprochen fühlen.“ Florian Ripka, Geschäftsführer des internationalen katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“ glaubt sogar: „Wir haben zwei Generationen übersprungen.“ Neben den Über 70-Jährigen nehme Ripka ein verstärktes soziales Engagement von jungen Menschen wahr – sowohl in der humanitären als auch in der kirchlichen Hilfe.

Junge Leute seien bereit, soziales Engagement zu unterstützen, sagt Lampe. Man müsse ihnen nur einen passenden Zugang gewähren.

Betterplace, das zur gemeinnützigen Aktiengesellschaft gut.org gehört, habe auf neue Konzepte und Kooperationen gesetzt – beispielsweise mit der Gaming-Szene. „In den letzten zwei Jahren haben wir intensiv daran gearbeitet, Spendenwerkzeuge zur Verfügung zu stellen, die man in Livestreams integrieren kann“, berichtet Lampe.

Mittlerweile beteiligt sich Betterplace an zwei Wohltätigkeitsveranstaltungen aus der Szene, dem „Friendly Fire“ und Loot für die Welt (Loot bedeutet in der Gaming-Szene „Beute“). Dabei spielen prominente YouTuber und professionelle Computerspieler gegen- und miteinander und übertragen die Spiele live ins Internet, wo vor allem jüngere Zuschauer die Spiele verfolgen.

„Sie machen das, was man früher als Spendengala im ZDF gesehen hat, nur in einer ganz neuen, frischen und sehr jungen Variante“, vergleicht Lampe das Konzept. Im vergangenen Jahr kamen so beispielsweise über 800.000 Euro allein beim Format „Friendly Fire“ zusammen, das dieses Jahr am 7. Dezember in seine fünfte Auflage geht. „Loot für die Welt“ sammelte Anfang November rund 250.000 Euro an Spenden ein.

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Forschung über Spendenverhalten im Internet

Doch auch für ältere Zielgruppen hat sich Betterplace neue Konzepte ausgedacht. So kooperiert das Unternehmen beispielsweise mit den Sparkassen, die in gemeinsamen Aktionen Spendenbeiträge verdoppeln.

Gegründet wurde Betterplace vor zwölf Jahren, seitdem sammelte das Unternehmen knapp 84 Millionen Euro an Spendengelder. Pro Spende fließen 2,5 Prozent des Spendenbetrags an Betterplace. Da das Aktienunternehmen gemäß seiner Satzung gemeinnützig ist, fördert es mit Bilanzüberschüssen – 2018 stand ein Plus von rund 275.000 Euro zu Buche – selbst gemeinnützige Organisationen oder investiert das Geld in die eigene Forschungseinrichtung, die Betterplace Academy.

Dort untersuchen 15 Mitarbeiter, wie sich die Digitalisierung auf soziales Engagement auswirkt – beteiligte Forschungspartner sind häufig Hochschulen, aber beispielsweise auch Ministerien. Alle Ergebnisse veröffentlicht Betterplace freizugänglich.

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Jede dritte Organisation wird nicht angenommen

Um auf Betterplace.org für Spenden werben zu können, müssen die Organisationen klare Kriterien erfüllen. So werden nur zweckgebundene Aufrufe ausgespielt, allgemeine Spenden ohne klaren Verwendungszweck können nicht über die Onlineplattform getätigt werden.

Auch werden die Organisationen kontrolliert. So werde geprüft, ob die Organisation über einen gültigen Freistellungsbescheid verfüge, für welchen Bereich die Gemeinnützigkeit bestehe, ob sie transparent sei und ob das gesammelte Geld wirklich für das beworbene Projekt eingesetzt werde. Fast jedes dritte Projekt werde erst gar nicht freigeschaltet, weil es die Kriterien nicht erfülle, berichtet Lampe.

Es wird mehr geschenkt

Dass immer mehr Menschen online spenden würden, sei nur ein Effekt, sagt Lampe. Ein weiteres Phänomen sei, dass die Spenden an nicht gemeinnützige Organisationen stärker werden. „Das ist etwas, was kaum erforscht ist – auch weil es im rechtlichen Sinne gar keine Spende ist, sondern eine Schenkung“, erklärt der Diplom-Politologe.

Seit April betreibt Betterplace ein zweites Onlineportal, Betterplace.me. Dort können Privatpersonen oder Initiativen ohne anerkannte Gemeinnützigkeit inserieren. Lampe rechnet damit, dass in diesem Jahr zwei Millionen Euro an Schenkungen über Betterplace.me laufen werden.

„Für den Einzelnen macht es häufig keinen Unterschied, ob es eine gemeinnützige Spende oder eine Schenkung war. Er hat hier den Eindruck, er tut etwas Gutes und bewegt etwas. Dass er es dann steuerlich nicht absetzen kann, spielt oft keine Rolle“, sagt Lampe. Nachbarschaftshilfe über lokale Netzwerke liegt derzeit im Trend.

Umwelt- und Naturschutzprojekte werden stärker unterstützt

In diesem Jahr seien sowohl bei den Spenden als auch bei den Schenkungen ein Trend zu erkennen gewesen: Umwelt- und Naturschutzprojekte würden verstärkt gefördert. „Es gab viel Unterstützung für die Organisationen, die sich im Klimaschutz engagieren“, sagt Lampe.

Auf betterplace.me hätten zudem viele lokale „Fridays for Future“-Gruppen Spenden gesammelt, um „ihre Demos zu organisieren oder Flyer zu drucken“, berichtet Lampe. Auch das unterscheidet sich von den herkömmlichen Spenden: Dort hatte der Umwelt und Naturschutz in diesem Jahr einen Spendenverlust von sieben Millionen Euro.