Berlin. Vor drei Jahren schüttete ein Ex-Freund Säure auf Vanessa Münstermann und entstellte ihr Gesicht. Nun schildert sie ihr neues Leben.

Der Mann, der Vanessa Münstermann beim Gassigehen im Park auflauerte und ihr ätzende Säure ins Gesicht goss, hat ihr hinterher Briefe geschickt. Er habe sie vom Gefängnis aus in einem Fernsehbeitrag gesehen, schrieb er und befahl ihr, sich nicht mehr öffentlich zu äußern.

„Mein Gesicht sei die Strafe Gottes“, schildert Münstermann die Drohbriefe. Wie reagiert ein Gewaltopfer auf so ein beängstigendes Schreiben? Sie habe viel über ihren Ex-Freund nachgedacht und sich ausgemalt, wie qualvoll es wäre, noch mit ihm zusammen zu sein.

„Wenn die Verätzung der einzige Ausweg war, damit er mich in Zukunft in Ruhe lässt und ich endlich glücklich sein kann, dann war es das wert.“ So denkt eine Frau, die gelernt hat, ihr Schicksal zu akzeptieren.

Münstermann schrieb ein Buch über das Leben nach der Tat

Fast auf den Tag genau drei Jahre nach der Attacke ist Münstermann noch immer entstellt. Ärzte haben das linke Auge entfernt und durch eine Glaskugel ersetzt, das Ohr ist weggeätzt, die Hälfte ihres Gesichts starr und rot entzündet. Die Hannoveranerin, die am Dienstag ihren 30. Geburtstag feiert, hätte jedes Recht, sich für immer zurückzuziehen.

Stattdessen wählt sie einen anderen Umgang mit der Tat: In einem neuen Buch mit dem Titel „Ich will mich nicht verstecken“ (Rowohlt) schildert sie, wie sie nach der Tat beim ersten Blick in den Spiegel erschauerte, wie sie Liebe und Sex neu lernte und warum sie sich heute für „superglücklich“ hält.

Ihre Geschichte ging im Februar 2016 durch die Medien. Daniel F., ihr vielfach vorbestrafter Ex-Partner und mittlerweile 37, bespritzte sie aus Rache für die Trennung mit Schwefelsäure, dafür wurde er zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt. Die beiden hatten sich im Internet kennengelernt, berichtet Münstermann – zunächst dachte sie, ihren Traummann gefunden zu haben.

Die Fassade des fürsorglichen Partners bekam schnell Risse

„Fuhr ich zur Arbeit, steckte er mir immer etwas für die Mittagspause in die Tasche, einen kleinen Snack. Kam ich von der Arbeit zurück, stand er am Herd und kochte etwas für mich.“ Doch nach wenigen Monaten bemerkte sie, dass sich Daniel veränderte. Aus dem zugewandten Traummann wurde ein aggressiver Stalker.

„Er versuchte, mich für sich zu gewinnen, indem er die Gestalt des lieben, fürsorglichen Partners annahm, der sogar meine Wäsche wusch und sich um beide Hunde kümmerte.“ Nach kaum drei Monaten habe er es nicht mehr ertragen, „rund um die Uhr die Liebenswürdigkeit selbst zu sein. Seine mühsam aufgebaute Fassade bekam schnell erste Risse“.

Säureanschläge sind besonders perfide Verbrechen. Belastbare Fallzahlen gibt es nicht, doch immer wieder sorgen Attentate für Schlagzeilen. Im März 2018 etwa überfielen Unbekannte den Innogy-Manager Bernhard Günther (52) in Haan auf dem Heimweg vom Brötchenholen.

Günther überlebte, aber die Täter sind bis heute nicht gefasst. Häufig leiden Opfer für immer unter ihren Narben und Schmerzen. Wie kann es ihnen gelingen, eine solche Attacke zu verarbeiten?

„Immer an die falschen Typen geraten“

Vanessa Münstermann versucht, sich auf das Positive in ihrem Leben zu konzentrieren. Sie hadert nicht mit ihrer – wie sie selbst es formuliert – Hässlichkeit. „Viele in meinem Freundes- und Bekanntenkreis hatten mich für hübsch und attraktiv gehalten“, so Münstermann.

„Doch hatte mein Aussehen mich je weitergebracht? Hatte es mir genützt? Nein. Ich war mit meinem passablen Aussehen immer an die falschen Typen geraten.“ Als sie in der Reha einen Mann kennenlernte und mit ihm schlief, schöpfte die gelernte Kosmetikerin neue Hoffnung.

In den Wochen zuvor hatte sie sich auf ein Leben in Einsamkeit gefasst gemacht: „Meine Haut war von Narben übersät, die zum Teil blutunterlaufen waren, mein Gesicht war geschwollen, und mein zerstörtes Auge siffte nur so vor sich hin. In dieser Zeit wurde auch mein verkrüppeltes Ohr schwarz und roch ziemlich unangenehm, die Haut nässte, und an allen möglichen Stellen quoll immerzu wieder Eiter hervor.“

Bald will sie ihre Jugendliebe heiraten

Mittlerweile hat Münstermann, die als Kind einer Prostituierten und eines Freiers bei Pflegeeltern aufwuchs, ein neues Leben begonnen. 2017 gründete sie einen Verein, um Menschen in ähnlicher Lage zu helfen.

Sie ist wieder mit ihrer Jugendliebe zusammen – der Mechatroniker hatte sich nach dem Anschlag bei ihr gemeldet, beide verliebten sich neu ineinander. Im Herbst wollen sie heiraten. Die gemeinsame Tochter ist acht Monate alt. Geholfen haben ihr die Ärzte und die Pfleger. Wer ihr Buch liest, spürt die Dankbarkeit.

Da war „der weizenblond gelockte Sanitäter im Rettungswagen“ mit seiner beruhigenden Stimme. Oder der elegante Medizinprofessor im Krankenhaus: „Eine unglaubliche Präsenz ging von ihm aus, ich hatte sofort Respekt vor ihm.“

Vor allem aber hatte die Arbeit am Buch eine therapeutische Wirkung. Es beruht auf privaten Notizen. „Da stehen Sachen drin, worüber ich noch gar nicht reden kann“, sagt Münstermann – nur Aufschreiben funktionierte. „Ich wollte es nicht larifari machen. Ich wollte echt sein.“