Berlin. Lanz berief einen spontanen Talk zum tödlichen Zugangriff ein. Am Ende gab es ein Chaos um kriminelle Ausländer und Abschiebepolitik.

Eigentlich wollte Markus Lanz am Mittwoch mit seinen Gästen die Lage im Iran und die Panzer-Lieferungen in die Ukraine diskutieren. Doch als der Moderator am Abend die Runde eröffnet, startet er die Debatte mit einem anderen Thema: dem Messerangriff in einer Regionalbahn zwischen Kiel und Hamburg, bei dem zwei Menschen starben.

"Markus Lanz" – Das waren die Gäste:

  • Omid Nouripour, Grünen-Co-Vorsitzender
  • Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Studios Washington
  • Ghazal Abdollahi, iranische Geflüchtete
  • Martin Knobbe, "Spiegel"-Redakteur

Dabei sollen zunächst die Hinterbliebenen und die Betroffenen im Fokus stehen – zumindest wenn es nach Grünen-Chef Omid Nouripour und Islamismusexperte Ahmad Mansour geht. Letzterer hatte sich für den Abend spontan dazugeschaltet. Tatsächlich klingt die Idee zumindest pietätvoll: Der Angreifer im Zug tötete immerhin zwei Menschen und verletzte sieben weitere Personen, davon mindestens drei schwer. Doch schnell rückt ein anderer Aspekt ins Zentrum des Talks.

Denn der mutmaßliche Täter soll ein 33 Jahre alter staatenloser Palästinenser sein, der in Deutschland unter subsidärem Schutz steht und bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten sein soll. Es soll sich dabei auch um Gewalt- und Sexualdelikte gehandelt haben, verurteilt soll der Mann dafür aber nicht gewesen sein. Dennoch: Am Ende diskutiert die Runde vor allem darüber, wie gut Deutschland abschiebt.

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Islamismusexperte: Deutschland muss strenger werden

Dabei ist es ausgerechnet Mansour, der zunächst warnt: Mit Diskussionen über den mutmaßlichen Täter solle man warten, bis mehr Fakten da seien. Allerdings gibt er auch zu: "In den sozialen Medien sind die Debatten schon da." In einem "postfaktischen" Zeitalter gehe es nicht mehr um Tatsachen, sondern rein um Emotionalität.

Ironischerweise nutzt er anschließend sein eigenes Gefühl, um die Debatte in Richtung Ausländerkriminalität zu verschieben: Mansour erzählt, er habe das Gefühl, dass es in Deutschland immer öfter Taten wie jene im Regionalexpress gebe: "An manchen Tagen ist die Sicherheit nicht vorhanden", so der deutsch-israelische Psychologe arabisch-palästinensischer Herkunft.

Den Ursprung des Problems will Mansour bereits kennen: Zum einen sei Deutschland nicht gut darin, geltendes Recht anzuwenden. Zum anderen gebe es Menschen – laut Mansour oft Ausländer oder Personen mit Migrationsgeschichte –, die "unseren Rechtsstaat konsequent verachten." Seine These: Vor allem Menschen aus "autoritären Strukturen" sähen die Chancen des Rechtsstaats als Schwäche des Systems und würden diese ausnutzen, indem sie beispielsweise die Polizei nicht respektieren.

Grünen-Chef bei Lanz: Darum sind Abschiebungen kompliziert

Schnell beschwichtigt Markus Lanz: "Ohne Migranten würde dieses Land nicht existieren." Motto: Nicht alle Ausländer sind schlecht. Da stimmt auch Mansour zu, fordert aber: Wer sich nicht an Regeln halte, müsste Konsequenzen erfahren – notfalls sogar eine Abschiebung. Mansour: "Es gibt keine Willkommenskultur ohne Abschiebemöglichkeiten."

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Überraschenderweise ist es ausgerechnet Grünen-Chef Nouripour, der Mansour in Teilen zustimmt: "Natürlich müssen wir über Abschiebungen sprechen", so der Bundesparteivorsitzende. Allein, wie das konkret aussehen soll, erklärt er nicht. Im Gegenteil.

Kaum gesagt, verwässert Nouripour seine Aussage: Der Rechtsstaat dürfe nicht bestrafen oder abschieben, wenn die Person nicht einmal verurteilt sei, erklärt er. Gleichzeitig weigerten sich deutsche Gemeinden immer wieder, strafrechtlich auffällige Geflüchtete bei sich aufzunehmen. Und: In manche Länder, etwa Afghanistan, könne Deutschland gar nicht so einfach abschieben. "Es ist immer auch eine Verhandlungssache", so der Grüne.

Nouripour scheint bemüht, die Diskussion zumindest in Teilen zurück zum eigentlichen Thema zu lenken: "Wir müssen alles ausschöpfen, was der Rechtsstaat mit sich bringt, um solche Taten wie heute zu verhüten", sagt er. Doch so einfach lässt Lanz ihn nicht davonkommen: "Müssen wir uns aus einer demokratischen Toleranz heraus alles gefallen lassen?", fragt er.

Lanz: Was wurde aus der Rückführungsoffensive?

Dann folgt eine Kritik für die gesamte Partei: Schließlich seien es die Grünen gewesen, die im Koalitionsvertrag mit einer sogenannten "Rückführungsoffensive" mehr Abschiebungen versprochen hatten, sagt Lanz. Von 300.000 Ausreisepflichtigen seien im ersten Halbjahr nicht einmal zwei Prozent "zurückgeführt" worden, so der Moderator.

Nouripour korrigiert: Unter den 300.000 seien nicht nur Kriminelle, sondern auch Familien, die seit Jahren in Deutschland leben; Menschen, die inzwischen eine "Integrationsleistung" vorweisen können oder Personen, deren Herkunftsländer sie schlichtweg nicht wiederhaben wollen. "Da sind wir am Ende noch bei 100.000", so der Grünen-Chef. Doch auch diese Zahl habe sich über die Jahre angesammelt und sei nicht von einem Tag auf den anderen entstanden.

Jetzt schaltet sich auch der Journalist Martin Knobbe ein: Die Grünen hätten bei der Organisation ihres Koalitionsversprechens gelahmt und erst spät eine Rückführungsbeauftragte installiert. Knobbe: "Das ist nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass man das schnell machen wollte." Andererseits zeigt der spontan einberufene Lanz-Talk heute: Besonders schnell ist auch nicht immer besonders gut.

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Markus Lanz: Auf einmal will Nouripour mehr Polizei

Vielleicht liegt es an der Aktualität des Themas und der undeutlichen Faktenlage: Konkrete Lösungen gibt es am Ende der etwas zusammenhanglosen Diskussionsrunde nicht. Mansour möchte Schutzsuchenden künftig besser verdeutlichen, dass sich Kriminalität nicht lohne. Nouripour fordert weniger Schlagworte in der Debattenkultur, konkretere Maßnahmen – und mehr Polizisten und Polizistinnen. Und Knobbe plädiert dafür, die kriminelle und psychische Entwicklung von auffälligen Personen besser im Blick zu behalten.

"Wir führen Debatten, aber oft unterkomplex", merkt der Journalist an. Und es fühlt sich ein bisschen so an, als hätte er damit auch den heutigen Talkabend bei Lanz beschrieben.

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