Liebenburg. Stefanie von Wietersheim aus Liebenburg hat mit einem Soziologen ein Buch geschrieben – über Schönheit, Mode, Sprache und das Image der Deutschen.

„Schön deutsch“ – so heißt der Titel eines neuen Buches der Liebenburger Autorin Stefanie von Wietersheim und des Soziologen Prof. Dirk Kaesler aus Potsdam. Am Montag kommt es auf den Markt. Es ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine persönliche „Entdeckungsreise“, um deutschen Phänomenen in Sprache, Mode und Optik in sehr amüsanter Weise auf die Spur zu kommen: hier die agile Kulturjournalistin und Paris-Kennerin, dort der bereits emeritierte Universitätsprofessor, die ihre Gedanken aus weiblicher und männlicher Perspektive aufeinanderprallen lassen. Ein munterer, unterhaltsamer, auch lehrreicher Dialog. Wir haben die Autorin daheim besucht.

Erst mal vielen Dank für die Einladung in Ihr Atelier, Frau von Wietersheim. Dabei hatte ich natürlich einen Hintergedanken: Eine Journalistin und Buchautorin, die über Mode, Schönheit und Ambiente schreibt, außerdem einen Wohn-Knigge in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlicht – da muss ich doch mal schauen und hinterfragen, wie sie selber wohnt.

Wie gut, dass ich gestern noch aufgeräumt habe. Ich habe ausgemistet, und die Blumen sind frisch ...

Gebrochenes Verhältnis der Deutschen zur Schönheit

Außerdem hatte ich heute Morgen wirklich ein kleines Problem mit der Kleiderfrage: Was ziehe ich mir bloß an, damit ich mich jetzt nicht als typischer Deutscher blamiere?

Das sieht schön aus, gekleidet wie ein Italiener...

Es ist ja auch schön, wenn wir uns gerade in Corona-Zeiten, in denen uns so viel Bedrückendes im Kopf herumschwirrt, mit Themen befassen, die einfach mal amüsant sind. Warum schreiben Sie über „Schön deutsch“?

Dirk Kaesler und ich schreiben über „Schön deutsch“, weil wir diese Fragen verbinden wollten: Was ist schön – und was ist deutsch? Geht das überhaupt zusammen, oder nicht? Denn wir haben es beide so empfunden, dass wir Deutschen ein gebrochenes Verhältnis haben: a) zum Deutschsein und b) zum gesamten Konzept von Schönheit. In Frankreich oder Italien ist Schönheit für die Menschen etwas sehr Wichtiges im Leben, während dem Begriff von Schönheit in Deutschland, so finde ich, oft auch der Begriff des Oberflächlichen anhaftet – des nicht Wichtigen, nicht Tiefsinnigen. Und dieser ganzen Sache wollten Dirk Kaesler und ich einfach mal auf den Grund gehen.

Das Bild des hässlichen Deutschen im Ausland ist nur noch historisch

Im Ausland gab und gibt es vielleicht immer noch das Bild des hässlichen Deutschen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Deutsche das auch verinnerlicht haben, sich manchmal noch mit Schamgefühlen im Ausland bewegen. Nicht die, die sich in Trekking-Sandalen und Multifunktionshose über den Strand bewegen. Aber Sie haben ja in Paris gelebt. Ist Ihnen da der Begriff des hässlichen Deutschen entgegengeschlagen?

Nein, zum Glück nicht. Der hässliche Deutsche ist ja ein furchtbares Bild. Es hat sicher etwas mit unserer Geschichte zu tun, mit Nazismus und Totalitarismus, vielleicht auch schon vorher mit den Bildern der Deutschen im wilhelminischen Zeitalter, mit Pickelhaube und strammgestanden. Ja, vielleicht auch mit der lauten Stimme, dem Kommandoton. Im Gegensatz vielleicht auch zu dem weicheren Bild der Österreicher. Aber mir persönlich ist das zum Glück mit dem Bild des hässlichen Deutschen nie passiert. Ich weiß aber, dass es in der Familie eines Pariser Freundes in der Generation der Großeltern noch so war: Man kaufte nicht deutsch, keine deutschen Produkte. Oder man wurde als Deutscher ein wenig belächelt. Dirk Kaesler, Jahrgang 1944, hat mir aber erzählt, dass er – als er damals als junger Mensch in die ersten Sprachferien nach England fuhr – seinen deutschen Pass in einen schwarzen Umschlag gelegt hat, damit man ihn als Deutschen nicht sofort erkennt auf der Reise.

Königslutter 1941. Durchreise in den Tod

Kommen wir aber jetzt zu den amüsanten Fragen, kümmern wir uns mal um das Thema Schönheit: Widerspricht sich das aus Ihrer Sicht – Deutsche und Schönheit? Passt das einfach nicht?

Nein, das widerspricht sich gar nicht. Das Gegenteil von schön ist hässlich, aber dazwischen gibt es ja eine riesige Bandbreite: Jeder findet schließlich etwas anderes schön – und darüber schreiben Dirk Kaesler und ich auch in unserem Buch. Einer findet Helene Fischer schön, die ja übrigens eine sehr deutsche Karriere gemacht hat: eine Sängerin mit viel Disziplin, Fleiß, Perfektion und Riesenerfolg. Auf der anderen Seite nehmen wir mal Johann Sebastian Bach, der als Monument immer noch lebt und auf der ganzen Welt gespielt wird. Zwei wunderbare Deutsche also. Auch die Dirndl-Kultur in Deutschland ist einzigartig, wir haben wunderschöne Städte – und unsere Sprache ist überaus facettenreich und schön, wenn man sich wirklich mit ihr beschäftigt. Auch wenn sie für manche Ausländer hart klingen mag. Wir haben natürlich auch sehr skurrile und absonderliche Dinge in Deutschland. Und genau dann sind wir bei dem Thema, dass man herzlich lachen kann.

Multifunktionshose und Trekking-Sandalen: Deutsche lieben’s praktisch

Eine skurrile Beobachtung, die wir häufig machen und die Sie so schön im Buch beschreiben, ist der deutsche Mann, der seine Trekking-Sandalen anzieht, die Multifunktionshandwerkerhose, in deren Seitentaschen auch noch ein Zollstock passt, im Rucksack sind diverse Utensilien von der Brotdose bis zu einem Multifunktionstaschenmesser – selbst, wenn der Mann nur einkaufen geht. Und dann trägt er über der beigefarbenen Multifunktionshose ein kariertes Hemd, aus dem unter dem Hals ein weißes T-Shirt hervorlugt.

(Lachend) Sie haben das Buch gut gelesen...

Klar. Aber warum ist das so bei vielen Männern? Hat der Deutsche vielleicht ein besonderes Gen fürs Praktische?

Ich glaube, es geht um drei Dinge: Das Erste ist die gesellschaftliche Veränderung nach 1968. Da war diese Uniformität, die Männerkleidung bis dahin hatte – nämlich eine anständige Hose, ein schönes Sakko, Hemd und Krawatte –, das war plötzlich nicht mehr obligatorisch. Im Grunde ist es ja auch eine gute Sache, dass sich jeder so kleiden kann, wie er will, ohne dass man blöd angeschaut wird. Aber es gab nach 1968 auch eine große Verunsicherung: Was ziehe ich denn jetzt an? Was gilt als schön? Bin ich ein Öko-Typ, bin ich ein Punk, bin ich ein Rocker, bin ich ein Sportler – was bin ich eigentlich? Zum anderen glaube ich schon, dass deutsche Männer es auch lieben, praktisch angezogen zu sein – und in diesem inneren Wandersmann-Modus dann herumlaufen. Und dann kommt dieser deutsche Ingenieursgeist noch dazu: Also, diese Jacke, die mit Nanotechnologie-Spray eingesprüht wird, tausend Taschen hat…, eine wahre Wissenschaft…, ja, eine Wissenschaft. Und dann investiert man gerne auch mal 400 Euro in eine solch schöne Jacke. Und die zieht Mann dann gerne auch über dem Smoking an. Was zwar grauenvoll aussieht, aber das macht ja nichts – die Jacke hält ja schließlich warm. Und man kann so schön die Autoschlüssel hineintun.

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Aber es heißt doch, dass eigentlich die Frauen ihre Männer anziehen. Haben die Männer also die falschen Frauen? Oder sind Frauen inzwischen modisch auch auf der falschen Fährte, sodass sie ihren Männern morgens nicht mehr sagen: „Meine Güte, guck doch besser noch mal in den Spiegel, bevor du das Haus verlässt.“

Ich denke, dahinter steckt viel Mainstream inzwischen. Es gibt sicher viele Frauen, die ihre Männer beraten. Aber viele Frauen mögen das ja heute ebenfalls gerne – dieses Praktische. Wir haben uns auch diese Frage gestellt. Wenn Sie sich zum Beispiel einmal die Spanierinnen anschauen, also eine spanische Managerin oder auch eine französische, wie etwa die europäische Zentralbankchefin Christine Lagarde: Die ist sehr damenhaft gekleidet, sehr weiblich, und es funktioniert trotzdem sehr gut – und es ist zugleich eine Freude, sie anzusehen. Warum also soll eine Frau nicht auch in einer Führungsposition selbstbewusst weiblich aussehen? Dazu braucht man jedenfalls keine Multifunktionshose.

Duzen ist wie Botox für die Sprache

Ich dachte immer, die ganze kleidungstechnische Entwicklung habe eher etwas mit Amerikanisierung zu tun – Sneaker an den Füßen, leger gekleidet, wir stellen um auf Fastfood, werden fettleibiger, geben vieles auf – auch in unserem sprachlichen Umgang. Dirk Kaesler und Sie befassen sich ja im Buch ebenso mit Sprache, vor allem mit dem deutschen Duzen und Siezen. Was wir ja im Amerikanischen nicht haben und was selbst in deutschen Führungsetagen inzwischen immer cooler zu sein scheint, wenn sich alle duzen. Sie beschreiben es trefflich in Ihrem Buch: Es ist wie Botox für die Sprache. Ist also das immer mehr ausufernde Duzen auch eine vermeintliche Verjüngungskur?

Mir fällt zugleich dieses digitale Du besonders auf: Alle, die im Digitalgeschäft etwas auf sich halten wollen, duzen sich plötzlich. Ist das richtig? Eine spannende Frage. Ich duze die meisten Menschen auf Facebook und Instagram auch. Im professionellen Umgang im Beruf finde ich das aber oft problematisch. Ich kann schnell sagen „du Blödmann“, aber wir würden kaum sagen „Sie Blödmann“. Die Distanz macht’s aus.

Ja, es ist die Distanz, es hat im Beruf natürlich auch mit Machtgefüge zu tun. Wenn ich Sie als Chefin oder Sie mich als Chef feuern wollten, wäre es dann für beide Seiten nicht besser, wenn man sich siezt?

Das weiß ja auch jeder. Auf der anderen Seite ist es aber auch toll, wenn man in eingespielten Teams sagt: „Gib mir mal das“ oder „Ich gebe dir das“. In jedem Fall ist dieses Thema wichtig: darüber nachzudenken, welche Möglichkeiten uns doch das deutsche „Sie“ gibt. Und wir können ja auch diese tolle Möglichkeit des „Hamburger Sie“ nutzen, also beispielsweise: „Sie, Jörg“ und „Sie, Stefanie“. Das ist doch eine sehr elegante Lösung.

Geben wir also mit dem Duzen ohne Not, weil wir vermeintlich „in“ und jung sein wollen, ein wichtiges sprachliches und gesellschaftliches Element aus der Hand?

Ich denke, ja.

Dirk Kaesler und Stefanie von Wietersheim: „Schön deutsch“. Verlag LiteraturWissenschaft.de, Marburg, 324 Seiten, 22 Euro.