Berlin. Skurril, skurriler, Großbritannien: Der Streit um den Brexit geht weiter. Was kommt da noch auf uns zu, fragte Maybrit Illner im Talk.

Ein Drama besteht üblicherweise aus drei oder fünf Akten – ist also überschaubar strukturiert. So hielt es auch der große Dramatiker William Shakespeare in seinen Bühnenstücken. Im wahren Leben aber laufen Dramen meist eher chaotisch und unüberschaubar ab. Siehe das sonderbare Stück, das vor bald drei Jahren in Shakespeares Heimat Großbritannien seinen Anfang nahm.

Am Donnerstag hieß es nun abermals: Vorhang auf für den nächsten Akt im Brexit-Drama. „Brexit-Poker – Schrecken ohne Ende?“, lautete der passende Titel der neusten Maybrit-Illner-Sendung am Donnerstagabend.

Den Talk-Gästen, darunter der ehemalige EU-Parlamentsvize Alexander Graf Lambsdorff (FDP), die britische „Economist“-Redakteurin Anne McElvoy und der deutsche Unternehmer Dietrich von Gruben, hatte das britische Parlament nur wenige Stunden vor der Sendung frisches Gesprächsfutter geliefert.

Unterhaus lehnt ungeordneten EU-Austritt ab

Das viel befürchtete Szenario eines ungeordneten Austritts aus der EU lehnten die Parlamentarier ebenso ab wie ein zweites Referendum. Stattdessen soll nun das Ausstiegsdatum verschoben werden. Doch abermals ist unklar, wann der Brexit endgültig passiert – und wie er dann aussehen wird. Laut Europäischem Gerichtshof könnte Großbritannien die Brexit-Entscheidung sogar einseitig und ohne Zustimmung der restlichen EU-Staaten zurücknehmen.

Die Situation birgt also weiterhin jede Menge Zündstoff, der sich in der Runde von Illners Gästen wunderbar widerspiegelte.

Britische Journalistin kreidet arroganten Ton der EU an

Journalistin Anne McElvoy findet, dass die EU nicht gut mit den Briten umgehe.
Journalistin Anne McElvoy findet, dass die EU nicht gut mit den Briten umgehe. © ZDF/Svea Pietschmann | ZDF/Svea Pietschmann

Besonders harte Kante in Richtung derBritis Londoner Eskapaden zeigte – wenig überraschend – Ex-EU-Parlamentarier Alexander Graf Lambsdorff. Die britische Premierministerin Theresa May spiele „ein riskantes Spiel“, und das völlig gegen die Interessen der Wirtschaft, mahnte er. „Dass Großbritanniens Regierung für ein Brexit-Abkommen noch mehr Zugeständnisse von der EU erwarte, „das gehe einfach nicht“, empörte sich der FDP-Politiker.

Gegen diesen Standpunkt kämpfte Anne McElvoy, die sich übrigens schon zum zweiten Mal in einem Illner-Talk zum Thema Brexit die Ehre gab, entschieden an. Die EU habe wenig gelernt seit der Brexit-Abstimmung, befand sie. Und sorgte damit für Irritation bei Lambsdorff.

Auf dessen Frage „was können wir denn lernen?“ erwiderte die Britin sichtlich emotional: „Die EU geht mit Ländern, die nicht zu Kerneuropa gehören wollen, nicht gut um.“ Wenn die EU Interesse an guten Beziehung zu Großbritannien habe, müsse sie das auch an ihrem Umgangston beweisen, so McElvoy.

Darum geht es beim Brexit-Streit zwischen Großbritannien und der EU

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    Warum riskieren die Briten große wirtschaftliche Schäden?

    An diesem Punk offenbarte sich, dass Illner ihre Gäste klug gewählt hatte, um die verhärteten Fronten aufzuzeigen. Auf der einen Seite war da die Britin McElvoy mit dem Vorwurf, die EU verhalte sich gegenüber den Briten arrogant. Auf der anderen Seite feuerte der Ex-EU-Vertreter Lambsdorff zurück,

    Und auch die Finanzjournalistin und Analystin Susanne Schmidt bescheinigte der „Economist“-Journalistin: „Das ist eine sehr eigenartige, sehr englische Haltung.“

    Schmidt brachte auch etwas mehr Licht in einen vielen Europäern ebenfalls eigenartig erscheinenden Aspekt: Warum beharren die Briten trotz der prognostizierten Schäden für die eigene Wirtschaft auf einem EU-Austritt? Weil in Großbritannien die Schätzungen des möglichen Schadens so weit auseinander gingen, dass niemand mehr wisse wie die Realität aussehen wird, so die einleuchtende Antwort.

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    Europäische und britische Wirtschaft eng verbunden

    Dennoch ist eines unbestritten: Die wirtschaftliche Verzahnung von Europa und Großbritannien ist eng, eine Trennung wäre also schmerzhaft für beide Seiten. Das betonte auch der eingeladene deutsche Unternehmer Dietrich von Gruben, dessen Firma einen großen Teil ihrer Produkte nach Großbritannien exportiert.

    Für die Bundesrepublik steht Großbritannien bei den Exporten aktuell an der vierten Stelle unter den Handelspartnern. Für die Briten hatte Deutschland zuletzt Rang zwei bei den Exporten. Kein Wunder, dass das Plädoyer von Grubens bei Illner kaum deutlicher hätte sein können: „Bis zur letzten Minute sollten wir werben, das Großbritannien in Europa bleibt.“

    Wann diese letzte Minute endlich da sein könnte, ist allerdings völlig unklar. Ein Problem sind die Wahlen zum Europaparlament vom 23. bis zum 26. Mai. Wollen die Briten daran nicht mehr teilnehmen, müssten sie bis spätestens zum 2. Juli austreten, wenn das neue EU-Parlament seine konstituierende Sitzung abhält.

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    Das Dilemma einer möglichen langen Fristverlängerung

    Während viele in Brüssel darum nur eine begrenzte Brexit-Fristverlängerung für realistisch halten, hat EU-Ratspräsident Donald Tusk allerdings eine ganz andere Seite angeschlagen: Er schlägt inzwischen eine wesentliche Verlängerung der britischen EU-Mitgliedschaft von mindestens einem Jahr vor. Damit könnten Europa noch deutlich mehr skurrile Akte eines Dramas bevorstehen, wie es wohl selbst der geniale Shakespeare nicht hätte erdichten können.

    Hier gibt es die aktuelle Ausgabe von „Maybrit Illner“ in der ZDF-Mediathek.