Berlin. Der Brexit könnte nun durch Fristverlängerung verschoben werden. Die britische Regierung zeigt damit vor allem eines: Führungsversagen.

Wenn der Eiertanz eine olympische Disziplin wäre, würde Theresa May die Goldmedaille gewinnen. Die britische Premierministerin will nun im Parlament eine Fristverlängerung bis Ende Juni durchdrücken, um die EU in ihrem Sinne weichzuklopfen. Das heißt: Kommt es bis zum 29. März zu keiner Einigung zwischen London und Brüssel, würde man zunächst weiterreden.

May spielt auf Zeit. Es ist eine Wette auf die Zukunft, der große Showdown wird nur vertagt. Indirekt gesteht May damit ein, dass sie sich beim Brexit total verzockt hat. Sie glaubte an die disziplinierende Kraft des EU-Austrittsgespensts.

May glaubte an „wilden“ Brexit als Druckmittel

Bis Dienstag galt: Stimmt das britische Parlament bis zum 29. März der Vereinbarung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich nicht zu, gibt es einen schmutzigen Brexit. Höhere Zölle und unterschiedliche Standards würden zu höheren Preisen, einem wirtschaftlichen Einbruch und dem Wegfall von Arbeitsplätzen führen.

Dieses Katastrophen-Szenario würde ihr genug Stimmen für ihren Deal bringen, spekulierte May. Doch die Parlamentarier ließen sich bislang von der Premierministerin nicht in die Enge treiben. Die Fronten gehen quer durch ihre eigene Partei: Die einen wollen einen Knallhart-Brexit, andere wollen einen sanften EU-Ausstieg, wieder andere wollen in der Gemeinschaft bleiben.

Regierung wie Opposition fehlt überzeugendes Konzept

Daran wird auch Mays Vorschlag einer Atempause nichts ändern. Aber auch die Opposition liefert ein Bild des Jammers. Labour-Chef Jeremy Corbyn hat hin- und her taktiert und wollte May zu Neuwahlen zwingen. Dann machte er sich plötzlich für eine Zollunion zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU stark – immerhin eine wirtschaftliche Minimalverbindung. Und nun kommt Knall auf Fall sein Vorstoß für ein zweites Referendum.

Für May wie Corbyn gilt: Sie haben auf der ernsten Angelegenheit eines Brexits ihre politischen Süppchen gekocht. Keiner verfügt über ein überzeugendes Konzept, für das er mit ganzer Willenskraft gekämpft hätte. Die Angst vor einem desaströsen Brexit lässt beide merkwürdige Pirouetten drehen. Regierung wie Opposition haben eines gemeinsam: absolutes Führungsversagen.

Wären sie Unternehmenschefs, müssten sie wegen Bankrotts ihren Hut nehmen. Es gibt nur einen – wenn auch kleinen – Hoffnungsschimmer. Ein zweites Referendum könnte die Briten noch einmal ausgeruht über den Brexit abstimmen lassen.

Hintergrund: Wird der Brexit verschoben? Theresa May bietet Votum an

Kämpfen einige Politiker nun doch noch für Europa?

Viele mögliche negative Konsequenzen eines EU-Ausstiegs lassen sich erst heute überblicken. Und die Volksverführer von damals – Boris Johnson oder Nigel Farage – sind plötzlich untergetaucht.

Vielleicht fassen sich einige Spitzenpolitiker auf der Insel ein Herz und fangen endlich an zu kämpfen: für ein starkes Europa, das sich auf seine Kernkompetenzen besinnt und auch Großbritannien umfasst. Es muss ja nicht eine überdimensionierte Juncker-EU sein.