Berlin. In einem Massengrab aus der Jungsteinzeit haben Wissenschaftler 38 Tote entdeckt. 37 davon fehlte der Kopf. Ist der Fund ein Tatort?

Die Jungsteinzeit gilt als die Epoche, in der sich der Mensch aus seinem Dasein als Jäger und Sammler erhob, um erstmals Nutzpflanzen zu kultivierten und Vieh zu domestizieren. An der Schwelle zur Zivilisationsbildung suchen Archäologen in der Regel nach Keramiken, geschliffenen Steinwerkzeugen oder in Tongefäßen konservierten Ur-Samen moderner Pflanzen. Bei einer solchen Ausgrabung haben Wissenschaftler in der Slowakei nun einen grausigen Fund gemacht.

Massengrab ohne Schädel: Was passierte vor 7000 Jahren in Vráble?

Altertumsforscher der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) entdeckten 38 Leichen in einem Siedlungsgraben im slowakischen Vráble-Ve`lke Lehemby. Was in dem Massengrab fehlte: 37 Schädel. Den schaurigen Fund machte das Team um Projektleiter Professor Martin Furholt unterhalb einer bereits bekannten Grabstätte. "Wir haben mit weiteren menschlichen Skeletten gerechnet, doch dies übertraf alle unsere Vorstellungen", berichtete Furholt im "Spiegel". Auch interessant: Neunjährige findet Zahn von ausgestorbenem Riesenhai

In der Jungsteinzeit bildete sich im slowakischen Vráble eine der größten Siedlungen der Epoche. Forscher der Uni Kiel graben neben internationalen Archäologen nach Keramiken, Werkzeugen und Skeletten.
In der Jungsteinzeit bildete sich im slowakischen Vráble eine der größten Siedlungen der Epoche. Forscher der Uni Kiel graben neben internationalen Archäologen nach Keramiken, Werkzeugen und Skeletten. © Christian-Albrechts-Universität zu Kiel | Sebastian Schultrich, Uni Kiel

Entdeckt wurde das Massengrab in einer der ergiebigsten archäologischen Stätten. Vráble, rund 90 Kilometer östlich der Hauptstadt Bratislava gelegen, gilt als eine der größten vorzivilisatorischen Siedlungen Europas. Gleich drei Dörfer aus dem Zeitraum 5250 bis 4950 vor Christi Geburt wurden im Umkreis weniger Kilometer entdeckt und passen in die Epoche der Linearbandkultur, die nach der Dekoration von Keramikgefäßen benannt ist. Eines der Dörfer wurde einst umgeben von hölzernen Palisaden und einem 1,3 Kilometer langen Siedlungsgraben.

Verwirrung um Köpfung, Verwesung und Beerdigung

In dem Erdaushub wurden im vergangenen Sommer die 38 verscharrten Leichen gefunden. Dicht aneinandergedrängt, liegend, kauernd oder gehockt und ohne ersichtliche Anordnung positioniert, stellt der Fund die Experten vor Rätsel. Dass alle Körper in ein und demselben Ritual begraben wurden, ist unwahrscheinlich. "Mehrere Einzelknochen ohne Skelettverbund lassen vermuten, dass der zeitliche Ablauf komplexer gewesen sein könnte", erklärte Ausgrabungsteilnehmerin Katharina Fuchs im "Spiegel". Lesen Sie mehr: Forscher lösen Rätsel um mysteriöse Höhlenmalereien

In den sterblichen Überresten entdeckten die Forscher Hinweise darauf, dass bei einigen der Skelette bereits der Verwesungsprozess begonnen hatte, als sie ins Grab gerollt oder geworfen worden waren. "Möglicherweise wurden skelettierte Leichen in die Mitte des Grabens geschoben, um Platz für neue zu schaffen", lautete Fuchs' Erklärungsansatz. Weil eine plausible Erklärung für den Ablageort noch nicht in Sicht ist, bereitet der Fund weiter Verwirrung. Außerhalb der Siedlung wurden Gräber mit einzeln bestatteten Skeletten und Grabbeigaben entdeckt, wie sie für die damals dominante Linearbandkultur charakteristisch waren.

Massaker, Totenkult, Kopfjäger – Viele Rätsel, mehr Grund zu Graben

Handelt es sich also doch um den Schauplatz eines Verbrechens? "Es mag naheliegen, ein Massaker mit Menschenopfern, vielleicht sogar in Verbindung mit magischen oder religiösen Vorstellungen, zu vermuten", äußerte sich Co-Projektleiterin Maria Wunderlich in "Der Standard". Das Massengrab als Ergebnis von kriegerischen Auseinandersetzungen oder dem Überfall durch Kopfjäger sei ebenso nicht auszuschließen. Mehr zum Thema: Henkersmahlzeit Säugetier – Sensationsfund in Dino-Magen

38 Leichen, 37 ohne Schädel. Was passierte vor rund 7000 Jahren im slowakischen Vráble?
38 Leichen, 37 ohne Schädel. Was passierte vor rund 7000 Jahren im slowakischen Vráble? © CAU Kiel | Till Kühl, Uni Kiel

Erste Untersuchungen legen aber zumindest den Schluss nahe, dass die Menschen nicht durch die Enthauptung zu Tode kamen. Weil teilweise intakte erste Halswirbel identifiziert wurden, geht Furholt eher von einer "sorgfältigen Abtrennung des Kopfes" aus als von einer "Köpfung im gewalttätigen, rücksichtslosen Sinne". Das Forscherteam ließ der Interpretationsmöglichkeit Raum, dass die Schädel rituell im Rahmen eines altertümlichen Totenkultes abgetrennt wurden.

"Schädelkult und Leichenzerstückelung sind in der Jungsteinzeit weit verbreitet und mit magischen oder religiösen Vorstellungen verknüpft, deren Bedeutung sich uns natürlich entzieht", wird Professor Johannes Müller in einer Publikation der Universität zitiert. Viel Optimismus, die verschwundenen Schädel zu finden, hat Furholt nicht: "Dennoch hat Vráble uns so oft überrascht, wer weiß, was die Fundstelle noch für uns parat hält."