Berlin. Nach zehn Monaten Planung und Bau geht das erste schwimmende LNG-Terminal Deutschlands in Betrieb. Was heißt das für die Gasversorgung?

Es wird ein großer Auflauf an einem sonst nicht übermäßig vollem Abschnitt der niedersächsischen Küste: Der Bundeskanzler, der Vizekanzler und Wirtschaftsminister, der Finanzminister, die Landespolitik, alle wollen sie dabei sein, wenn am Sonnabend das erste schwimmende LNG-Terminal Deutschlands vor Wilhelmshaven eingeweiht wird.

Denn die „Höegh Esperanza“, die dort am neu gebauten Anlieger festgemacht hat, ist Symbol der Hoffnung auf eine Stabilisierung der Gasversorgung, und nebenbei der Beweis, dass Deutschland Infrastrukturprojekte zügig umsetzen kann, wenn es muss: Gerade einmal zehn Monate hat es gedauert, das Ensemble aus Anleger, Anbindung und gecharterter Anlage zu planen und auf die Beine zu stellen. Die letzte Genehmigung durch das Land Niedersachsen wurde noch am Freitag erteilt.

Was ab kommender Woche in Wilhelmshaven passieren soll und was das für die deutsche Gasversorgung bedeutet – ein Überblick.

Flüssiggas-Terminal in Wilhelmshaven: Das Schiff

Es ist ein 300-Meter-Koloss, der seit dieser Woche am Voslapper Groden vorerst eine neue Heimat gefunden hat. Die „Höegh Esperanza“ ist eine schwimmende Umwandlungsanlage (Floating Storage and Regasification Unit, FSRU) für Gas: Verflüssigtes Gas (Liquid Natural Gas, LNG), das per Tanker ankommt, wird in dem Spezialschiff wieder in seinen gasförmigen Zustand gebracht, damit es in das deutsche Gasleitungsnetz eingespeist und zu den Verbrauchern transportiert werden kann.

Das Gas, das mit einer Temperatur von minus 162 Grad Celsius ankommt, muss dafür erwärmt werden, mithilfe des vergleichsweisen warmen Meerwassers drum herum. Damit sich in den Rohren keine Muscheln, Algen oder anderes festsetzt, werden diese zur Reinigung mit Chlor gespült – und Reste dieses Chlors landen dann gemeinsam mit dem Wasser wieder im Meer. In Australien, wo die „Höegh Esperanza“ ursprünglich zum Einsatz kommen sollte, hatten die Behörden das wegen der Belastung der Umwelt mit Bioziden untersagt.

In Wilhelmshaven soll die „Höegh Esperanza“ trotzdem ihre Arbeit aufnehmen. Umweltschützer kritisieren das scharf, auch, weil das Schiff in unmittelbarer Nähe zum Nationalpark Wattenmeer angedockt ist. Sie verweisen darauf, dass man die Rohre auch mechanisch sauber halten könne. Beim LNG-Terminal in Brunsbüttel etwa soll es ohne Biozide gehen.

Betrieben wird das schwimmende Terminal zunächst von Uniper im Auftrag der Bundesregierung. Mittelfristig soll eine Betreibergesellschaft des Staates gegründet werden.

LNG-Terminal: Die Ladung

Die „Höegh Esperanza“ hat die erste Ladung Gas gleich mitgebracht, in Spanien wurde das Schiff mit rund 165.000 Kubikmetern LNG beladen. Nach Angaben des Betreibers Uniper reicht diese Menge, um 50.000 bis 80.000 Haushalte in Deutschland ein Jahr lang zu versorgen. Ab dem 22. Dezember soll dieses Gas ins deutsche Netz eingespeist werden. Im Januar wird der erste Tanker mit einer LNG-Lieferung erwartet.

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Insgesamt soll das Terminal künftig fünf Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr in das deutsche Gasnetz einspeisen. Das entspricht rund sechs Prozent des deutschen Gasbedarfs und würde so rund 11 Prozent von Deutschlands Gasimporten aus Russland ersetzen. Technisch möglich wären laut Daten der Reederei mit der „Höegh Esperanza“ bis zu 7,5 Milliarden Kubikmeter. Diese Kapazität kann laut Uniper wegen der geringen Wassertemperatur der Nordsee aber nicht erreicht werden.

Gaskrise: Wie hoch ist der LNG-Bedarf?

90 Milliarden Kubikmeter Gas wurden in Deutschland im vergangenen Jahr verbraucht, rund die Hälfte davon kam aus Russland. Um das zu ersetzen, reicht ein einzelnes schwimmendes Terminal bei weitem nicht.

In Planung und Bau sind deshalb schon längst weitere Anlagen. Schon im Januar soll in Brunsbüttel ein weiteres Schiff in Betrieb gehen, weitere sollen im nächsten Winter folgen.

Offiziell spricht das Bundeswirtschaftsministerium von fünf schwimmenden staatlichen Terminals, die man gesichert habe, mit einer Kapazität von je ca. fünf Milliarden Kubikmetern pro Jahr und Schiff, wobei diese Kapazität aufgrund der Gestaltung der Anbindungsleitungen nicht bei allen sofort voll ausgeschöpft werden könne. Mit den Betreibern ist vereinbart, dass die Schiffe bis März 2024 voll ausgelastet sein sollen, also so viel LNG umgeschlagen wird wie möglich. 10 Milliarden Euro sollen diese Pläne kosten. Über Gebühren für die Nutzung könnte ein Teil des Geldes wieder eingenommen werden.

Dazu kommt ein weiteres schwimmendes Terminal, das privatwirtschaftlich geplant wird. Außerdem sind längst auch fest installierte Terminals in Planung – in Wilhelmshaven, in Brunsbüttel, in Stade. Diese werden voraussichtlich Mitte der 2020er Jahre in Betrieb gehen können.

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Inoffiziell rechnet das Haus von Robert Habeck (Grüne) offenbar damit, dass der Ausbau sogar noch weitergeht als bisher kommuniziert. Das Portal Table.Media berichtete am Donnerstag über in internes Dokument des Ministeriums, bei dem von zehn schwimmenden Terminals die Rede sei, die entstehen könnten. Die Kapazitäten allein dieser Anlagen würde demnach das Volumen der russischen Lieferungen nicht nur ersetzen, sondern sogar übersteigen. Die festen Terminals kämen dann noch zusätzlich obendrauf.

LNG-Terminal: Kritik kommt von Umweltschützern

Es sind nicht nur Sorgen über die unmittelbaren Auswirkungen auf die Natur in der Nordsee durch Biozide, die Umweltschutzverbänden Kopfschmerzen machen bei den Plänen der Bundesregierung. Es sind auch die Auswirkungen auf das Klima. Mit dem Aufbau einer so umfangreichen Infrastruktur, fürchten Klimaschützerinnen und -schützer, zementiere die Bundesregierung wortwörtlich die weitere Verwendung von klimaschädlichem fossilem Gas. Denn mittel- und langfristig soll Deutschland die russischen Importe nicht ersetzen, sondern ganz wegkommen vom Gas.

„So richtig es ist, russisches Gas schnell und kurzfristig durch Alternativen wie LNG zu ersetzen, so gefährlich ist es, von einer fossilen Abhängigkeit in die nächste zu wechseln“, sagt Manfred Santen, Sprecher von Greenpeace. Der Bedarf an LNG werde ab 2026 deutlich sinken. „Um ihre selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen, sollte die Bundesregierung die Zahl der Terminals deutlich reduzieren und die Gelder konsequent in den Ausbau der Erneuerbaren und Maßnahmen zum Energiesparen investiert werden.“

Das Wirtschaftsministerium verweist darauf, dass man die Kapazitäten verschiedener Terminals nicht einfach aufaddieren könne. So sei der Plan, dass feste Terminal schwimmende Anlagen ablösen, sobald sie fertig sind. Wahrscheinlich ist aber, dass die Anlagen zumindest zeitweise gleichzeitig in Betrieb sind – die Charterverträge für die Schiffe sollen zehn bis 15 Jahre lang laufen.

Weiter argumentiert das Ministerium, dass ein Puffer bei der Kapazität ratsam sei, falls es Ausfälle gebe. Außerdem gehe es auch um europäische Solidarität – Deutschland nutze bis jetzt die Terminals anderer Staaten, wolle aber in Zukunft selbst einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten.