Brasília. Lula da Silva hat die Stichwahl um das Präsidentenamt in Brasilien gewonnen. Was das für das Land und den Klimaschutz jetzt bedeutet.

Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in Brasilien hat letztlich doch die Hoffnung über die Angst gesiegt, der Ausgleich über die Aggression und die Inhalte über die Diffamierung. Das ist eine unendlich beruhigende Nachricht an der nationalen, der regionalen und vor allem der internationalen Front, auch wenn das Ergebnis denkbar knapp war und tatsächlich 58 Millionen Menschen für die rechtsradikalen und demokratiefeindlichen Ideale von Jair Bolsonaro gestimmt haben.

Lula da Silva, der das größte und wirtschaftlich wichtigste Land Lateinamerikas von Januar an zum dritten Mal regieren wird, ist es gelungen, ein breites politisches Bündnis gegen Bolsonaro zu schmieden, in das auch gemäßigt konservative Politiker eingebunden sind. Auch ehemalige Verbündete Lulas, die mit ihm gebrochen hatten, wie die Umweltikone Marina Silva, sind an seine Seite zurückgekehrt.

Brasilien: Lula nennt hohe Ziele

Zudem reichten viele Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft, die noch nie für die linke Arbeiterpartei gestimmt hatten, dem früheren Präsidenten die Hand. Es ging in den Augen vieler schließlich um ein höheres Gut: das Verhindern des größeren Übels, die Wiederwahl Bolsonaros. Und wohl kaum ein anderer Politiker in Lateinamerika ist so sehr geübt darin, Menschen zusammenzubringen, die eigentlich wenig miteinander verbindet.

Dieser Wahlsieg gebühre nicht ihm oder seiner Partei, sondern dem „brasilianischen Volk“, machte Lula am Sonntagabend bei seiner ersten Rede deutlich. Neben allen politisch komplexen Problemen Brasiliens wird seine Hauptaufgabe darin bestehen, den Abgrund zwischen seinen und den Wählern Bolsonaros zu überwinden. Es sei Zeit „endlich Frieden zu machen“, sagte der designierte Staatschef.

Bolsonaro wird dem neuen Staatschef das Leben weiterhin schwer machen

Noch nie seit Rückkehr zur Demokratie ist ein Amtsinhaber in Brasilien nicht wiedergewählt worden. Dass Bolsonaro dieses historische Schicksal ereilte, hat er sich zum großen Teil selbst zuzuschreiben. Er hat über die Jahre und besonders im Wahlkampf zu viele Brasilianerinnen und Brasilianer verhöhnt mit seiner Ignoranz der Corona-Pandemie und der Leugnung der Verantwortung für 680.000 Tote.

Er hat die Menschen genervt mit seinem aggressiven und frauenfeindlichen Diskurs sowie seiner permanenten Hetze gegen die Institutionen wie Gerichte, Wahlrat und Parlamente.

Die Polarisierung hat sich nach dem ersten Wahlgang am 2. Oktober noch einmal verstärkt. Und auch wenn Bolsonaro vorerst weg ist von den Hebeln der Macht, bleibt sein politisches Erbe erhalten. Die Wahl vor vier Jahren 2018, als Bolsonaro fast aus dem Nichts an die Macht kam, war kein Unfall der Geschichte, wie Lula lange Zeit versicherte. „Der Bolsonarismo“ mit seiner gefährlichen Ideologie sitzt in den Parlamenten und auf Gouverneurssesseln und wird dem neuen Staatschef das Leben schwer machen.

Der abgewählte brasilianische Präsident Jair Bolsonaro leugnete die Verantwortung für 680.000 Tote in der Corona-Pandemie.
Der abgewählte brasilianische Präsident Jair Bolsonaro leugnete die Verantwortung für 680.000 Tote in der Corona-Pandemie. © Getty Images | Wagner Meier

Regional verfestigt sich mit der Wahl Lulas eine Tendenz. Jetzt werden die fünf größten Volkswirtschaften Lateinamerikas – Brasilien, Mexiko, Argentinien, Kolumbien und Chile – von progressiven oder linken Regierungen geführt. Rund eine halbe Milliarde Menschen lebt in diesen Ländern. Insofern bietet Lateinamerika einen Kontrast vor allem zu weiten Teilen Europas, wo rechte und extrem-rechte Positionen und illiberale Ideologien auf dem Vormarsch sind.

Brasilien: Liberale Kräfte brauchen weltweit Verbündete

Gewissermaßen hat Brasilien am Sonntag auch etwas gegen die globale Demokratiekrise getan. Vor allem Europa, aber auch die liberalen Kräfte in den USA brauchen weltweit Verbündete mehr denn je, die bereit sind, universelle Probleme wie den Umwelt- und Klimaschutz, das Neudenken des Welthandels und die Reform des Kapitalismus konstruktiv anzugehen.

Brasilien kehrt also in den Schoß der modernen und freiheitlichen Demokratien zurück und wird auf internationaler Ebene die globalen Herausforderungen mit anpacken. Hier ist in allererster Linie die Verantwortung für den Stopp der Erderwärmung zu nennen.

Brasilien soll wieder führende Rolle im Kampf gegen Klimawandel einnehmen

Der Amazonas-Regenwald, der anderthalbmal die Fläche der Europäischen Union umfasst, erstreckt sich über neun Staaten. Allein 60 Prozent des Regenwaldes liegt in Brasilien. Der Amazonas ist für ein stabiles Weltklima entscheidend wichtig. Lula machte es in seiner Rede am Sonntagabend deutlich: „Brasilien meldet sich zurück“.

Das Land ist bereit, seine führende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel wieder aufzunehmen. „Brasilien und der Planet brauchen einen lebendigen Amazonas,“ weiß Da Silva. Mehr noch: Ohne das Land gibt es keinen effektiven Klimaschutz.

Klimaexperten halten es für möglich, dass der Kipppunkt im Amazonas mit einer radikalen Wende noch zu verhindern sei. Ginge die Zerstörung des Amazonas im aktuellen Tempo weiter, sei der „Tipping-Point“ bald erreicht. Ab diesem Punkt nimmt der Urwald durch weitere Abholzung unwiederbringlichen Schaden.

Lula wird jetzt als großer Aussöhner und Demokrat gefeiert. Tatsächlich wirkt er neben einer Figur wie Bolsonaro fast wie ein Heiliger. Aber er ist es sicher nicht. Er hat in seinen ersten Amtszeiten zumindest nichts gegen Korruption in seinem Umfeld getan und Wahlversprechen gebrochen. Aber er ist lernfähig, trotz seiner 77 Jahre. Von 2003 bis 2011 hat er sich kaum um Themen wie Nachhaltigkeit in der Umweltpolitik gekümmert. Das will er jetzt anders machen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.