Brüssel. Jetzt wird es eng für Ungarns Premier Orban: Die EU-Kommission droht mit Fördermittel-Kürzung und beklagt Vetternwirtschaft im Staat.

Das gab es noch in der Geschichte der Europäischen Union: Ungarn droht wegen des Vorwurfs verbreiteter Korruption der Entzug von Milliarden-Geldern aus der EU-Kasse. Die EU-Kommission beschloss am Sonntag, 7,5 Milliarden Euro aus drei Förderprogrammen zunächst nicht auszuzahlen. Haushaltskommissar Johannes Hahn sagte zur Begründung, das Geld aus dem EU-Haushalt sei in Ungarn nicht ausreichend vor Missbrauch geschützt. Aus demselben Grund hat Brüssel bereits sechs Milliarden Euro an Corona-Hilfen blockiert.

Seit Jahren gibt es Vorwürfe, Ministerpräsident Viktor Orbán habe ein System aufgebaut, in dem Parteifreunde und Familienangehörige bei öffentlichen Aufträgen bevorzugt werden und so von den jährlich fünf bis sechs Milliarden Euro EU-Geldern für Ungarn profitieren. Die EU-Kommission spricht von einem „Umfeld, in dem die Gefahr von Klientelismus, Günstlingswirtschaft und Vetternwirtschaft in der hochrangigen öffentlichen Verwaltung nicht angegangen wird“.

Namen nennt die Kommission nicht, aber im Raum stehen Vorwürfe etwa gegen Orbáns Schwiegersohn István Tiborcz, der es inzwischen zum jüngsten Milliardär des Landes gebracht hat. Die EU-Antibetrugsbehörde Olaf hält es für erwiesen, dass Tiborcz bei einem Projekt für öffentliche Beleuchtung in Städten und Gemeinden mit einem „organisierten Betrugsmechanismus“ illegal Millionen Euro EU-Fördergelder kassiert hat.

EU-Kommission: In Ungarn reichen Kontrollen nicht aus, um Korruption aufzudecken

Orbáns Vater machte mit Betonelementen für den öffentlichen Straßenbau und Eisenbahntrassen immense Gewinne, einer seiner Brüder profitiert ebenfalls von EU-Geldern. Im Zwielicht steht auch Orbáns Jugendfreund Lörinc Mészáros, der durch Staatsaufträge vom einfachen Gas-Installateur zu einem der reichsten Ungarn aufgestiegen ist. Die EU-Kommission rügt, „die unabhängigen Kontrollmechanismen reichen nicht aus, um Korruption aufzudecken“. Es gebe „schwerwiegende systembedingte Unregelmäßigkeiten, Mängel und Schwachstellen in den öffentlichen Vergabeverfahren.“

Das EU-Parlament fordert seit langem, Ungarn wegen der Eingriffe in Justiz, Medien und Wissenschaft EU-Gelder zu entziehen. Der neue Rechtsstaatsmechanismus macht das erstmals möglich – aber nur, wenn ein Missbrauch von EU-Geldern droht, etwa weil die Justiz Korruption nicht verfolgt. Die Milliardenstrafe wird auch nur wirksam, wenn die EU-Staaten mit Mehrheit zustimmen, innerhalb eines Monats müssen sie entscheiden.

So will die Regierung in Ungarn die Milliardenstrafe noch abwenden

Die EU-Kommission will die Frist auf drei Monate verlängern: Denn die ungarische Regierung hatte am Samstag unter Druck mehrere Gesetzesänderungen angekündigt, die in den nächsten Tagen vom Parlament beschlossen werden sollen; bis November will Budapest so den Forderungen der Kommission nachkommen.

So soll eine unabhängige Anti-Korruptionsbehörde gegen Unregelmäßigkeiten vorgehen, der Umgang mit EU-Geldern strenger überwacht werden. Wenn Ungarn diese Maßnahmen tatsächlich schnell umsetzt, könne die Kommission auf die Geldstrafe verzichten, machte Kommissar Hahn deutlich. „Ungarn hat sich tatsächlich bewegt“, sagte er. Abgeordnete im EU-Parlament warnten aber, die Kommission dürfe sich jetzt nicht mit Scheinreformen abspeisen lassen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.