Jerusalem/Berlin. Nach dem Abbas-Skandal bemüht sich Olaf Scholz, die Wogen zu glätten. Der Bundeskanzler ruft in Israel an. Doch Verstimmungen bleiben.

Auf Staatsbesuchen betonen die Regierungschefs Deutschlands und Israels stets die „warmen und freundschaftlichen“ Beziehungen, die man im Laufe der Jahre trotz aller historischen Lasten aufgebaut habe. In diesen Tagen wird wieder deutlich, wie wenig es braucht, um das zarte Band zwischen Berlin und Jerusalem zu überdehnen. „Wir sind sehr, sehr irritiert über das Verhalten der Deutschen“, sagt ein Beamter des israelischen Außenministeriums im Hintergrund. Aktueller Anlass ist die Affäre Abbas.

Oder eher: die Causa Scholz. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte nach seinem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der gemeinsamen Pressekonferenz mit einer offenen Verharmlosung des Holocaust für Entsetzen gesorgt. Er behauptete, die Israelis hätten „50 Massaker, 50 Holocausts“ am palästinensischen Volk begangen. Scholz sagte nichts darauf, Regierungssprecher Steffen Hebestreit erklärte die Pressekonferenz vorschnell für beendet.

Dass Scholz den Palästinenserpräsidenten nicht sofort zurechtwies, sei eine „totale Fehleinschätzung“ des Ernsts der Lage gewesen, meint ein Diplomat in Israel. Vor laufenden Kameras blieb die Verharmlosung des Holocaust unwidersprochen, und das noch dazu vom Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland. Dass Scholz im Nachgang seine Empörung ausdrückte, ändere daran nichts. Auch die Reaktion des deutschen Botschafters in Tel Aviv, Steffen Seibert, kam demnach „too little, too late“, sie sei dürftig und zu spät gewesen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Mahmoud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Mahmoud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde. © dpa | Wolfgang Kumm

Gedenken an Olympia-Attentat belastet die deutsch-israelischen Beziehungen

Auch in Deutschland hielt die Kritik an dem Kanzler an. Die Vize-Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, Gitta Connemann (CDU), forderte eine Entschuldigung von Scholz. Es sei ein „Skandal“, dass der Kanzler nach den Äußerungen von Abbas geschwiegen habe „und Abbas dann auch noch die Hand gereicht“ habe“, sagte Connemann unserer Redaktion. Das Schweigen des Kanzlers dröhne und schade Deutschland außenpolitisch. „Und er muss sich entschuldigen. Vorneweg gegenüber Israel“.

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Gut möglich, dass man Abbas’ Berliner Fehltritt in Jerusalem nicht dermaßen sensibel aufgenommen hätte, wäre die Stimmung nicht ohnedies aufgeraut. Seit Wochen entzweit die Frage des 50. Jahrestags der Münchner Olympischen Spiele die Geister. Am 5. September 1972 waren palästinensische Terroristen ins Olympiaviertel eingedrungen, hatten elf Athleten des israelischen Nationalteams als Geiseln genommen.

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Israel hatte Deutschland Hilfe durch den Auslandsgeheimdienst Mossad angeboten, dies wurde laut israelischer Darstellung jedoch weitgehend verweigert. Alle elf Geiseln und ein deutscher Polizist kamen ums Leben. Anlässlich des 50. Jahrestages wurden die Angehörigen der Opfer zur Gedenkfeier nach München eingeladen, Deutschland will sie finanziell entschädigen. Doch die Höhe der Summe, die den Familien aus Berlin zugesagt wurde, sei ein Hohn, sagt eine der Angehörigen.

Scholz ruft Lapid an, um Wogen zu glätten

Die Hinterbliebenen wollen die Gedenkfeier boykottieren, sie forderten Israels Bundespräsident Itzhak Herzog auf, der Zeremonie ebenfalls fernzubleiben. In den vergangenen Wochen gab es mehrere Telefonate Herzogs mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, bisher gelang keine Annäherung.

Steinmeier wird nach israelischen Medienberichten demnächst in Jerusalem erwartet, um ein persönliches Gespräch mit Herzog, aber auch mit den Opferfamilien zu suchen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. © dpa | Silas Stein

Scholz sucht Aussprache mit Lapid

In Berlin wurde die Reise am Donnerstag nicht bestätigt. „Dem Bundespräsidenten ist ein vertrauensvoller und enger Austausch mit den Hinterbliebenen des Olympia-Attentats von 1972 ein besonderes Anliegen“, hieß es auf Anfrage unserer Redaktion aus dem Bundespräsidialamt. „Bundespräsident Steinmeier ist grundsätzlich zu einem persönlichen Austausch mit den Hinterbliebenen bereit.“ Die Verhandlungen über Anerkennungsleistungen an die Hinterbliebenen seien jedoch Aufgabe der Bundesregierung.

Scholz griff am Donnerstag zum Telefon, um mit Israels Premierminister Jair Lapid zu reden. In dem Gespräch betonte Scholz erneut, dass er Abbas’ Aussage für „unerträglich“ halte. Die Erinnerung an die Schoah wachzuhalten sei eine immerwährende Verantwortung jeder deutschen Bundesregierung. Lapid stellte einen Berlin-Besuch im September in Aussicht, fixiert wurde allerdings nichts.

Jair Lapid ist Ministerpräsident von Israel.
Jair Lapid ist Ministerpräsident von Israel. © dpa | Maya Alleruzzo

Abbas-Affäre zieht in Israel auch innenpolitisch Kreise

Die Abbas-Affäre zog indes auch in Israels Innenpolitik Kreise. Abbas sei kein Partner, man habe das schon immer gewusst, höhnen Vertreter rechter Parteien in Richtung Verteidigungsminister Benny Gantz, dessen Vertreter sich mit der dem Sicherheitsapparat der Palästinenserbehörde regelmäßig austauschen, um Sicherheitsfragen zu koordinieren. Israel steckt in einem hitzigen Parlamentswahlkampf.

Es mag ein Zufall sein, dass der solcherart ins Eck gedrängte Verteidigungsminister Gantz ausgerechnet jetzt zu einem höchst umstrittenen Schlag ausholte, der rechtskonservative Israelis befriedigen dürfte: In den Morgenstunden des Donnerstags rückten israelische Soldaten in den Büroräumen von sechs palästinensischen zivilgesellschaftlichen Vereinen in Ramallah ein, beschlagnahmten Computer und Unterlagen und versiegelten die Türen. Im Vorjahr hatte Gantz die Vereine zu “Terrororganisationen” erklären lassen, ohne für diese Behauptung konkrete Beweise vorzulegen.

Der Minister wird dafür auch von Deutschland, das einige der Vereine auch weiterhin finanziell fördert, heftig kritisiert. Mehrere der NGOs sind damit beschäftigt, Rechtsverstöße der israelischen Armee zu dokumentieren – jener Armee, deren Oberbefehlshaber Gantz ist. Wenn Lapid im September nach Berlin reist, dann wird wohl auch dieser Streitpunkt zur Sprache kommen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.