Xiamen. US-Militärexperten haben untersucht, ob sich Taiwan gegen eine Invasion aus China wehren könnte. Das Ergebnis ist sehr überraschend.

Der erste Schrecken scheint vorläufig abgewendet: Die chinesische Volksbefreiungsarmee hat ihre Militärübungen rund um Taiwan beendet. Doch eine nachhaltige Entwarnung bedeutet dies keinesfalls.

Das Gegenteil ist der Fall: China werde „die Lage“ weiterhin im Auge behalten und „regelmäßige Patrouillen zur Kampfbereitschaft“ durchführen, heißt es in einer Stellungnahme. Die Möglichkeit einer chinesischen Invasion schwebt also wie ein Damoklesschwert stets über den Köpfen der 23 Millionen Inselbewohner.

Wie der Ernstfall ausgehen könnte, haben jetzt eine handvoll amerikanischer Militärexperten vom renommierten „Center for Strategic and International Studies“ (CSIS) durchgespielt. Nur einen Steinwurf vom Weißen Haus entfernt simulierten sie einen hypothetischen Angriffskrieg der Chinesen im Jahr 2026.

Chinas Angriff auf Taiwan: So hoch wären die Verluste einer Abwehrschlacht

Die hochkomplexen Computerberechnungen spuckten ein aus Sicht der USA sowohl hoffnungsvoll als auch erschütternd stimmendes Resultat aus: In den meisten der wahrscheinlichen Szenarien könnten könnten die Taiwaner gemeinsam mit der Hilfe Washingtons ihre Insel verteidigen, wenn auch ein Sieg auf allen Seiten mit desaströsen Verlusten verbunden wäre – und zwar auch fürs US-Militär, welches in einem vierwöchigen Konflikt geschätzt die Hälfte seiner gesamten Marine und der Luftwaffe verlieren würde.

Natürlich hat es einen zynischen Beigeschmack, wenn in Washingtoner Denkfabriken Kriegsspiele wie am Schachbrett konzeptioniert werden. Schließlich möchte man sich die immensen Folgen eines militärischen Konflikts zwischen den zwei führenden Weltmächten nicht einmal vorstellen. Doch angesichts der größten Spannungen rund um Taiwan seit mehreren Jahrzehnten hat es Sinn, alle Eventualitäten im Blick zu haben.

Das Wrack eines Panzers liegt am Strand der taiwanischen Insel Kinmen. Von hier sind es gerade mal drei Kilometer bis zum chinesischen Festland.
Das Wrack eines Panzers liegt am Strand der taiwanischen Insel Kinmen. Von hier sind es gerade mal drei Kilometer bis zum chinesischen Festland. © Sam Yeh / AFP

China macht klar: „Wiedervereinigung“ mit Taiwan wird kommen

In der letzten Woche haben chinesische Truppen schließlich nur wenige Kilometer vor der Küste Taiwans eine Blockade der Insel geübt und mehrere Raketen über dessen Gewässer abgeschossen. Und begleitet wurden die Truppenmanöver von zunehmend offensiv formulierten Machtansprüchen der chinesischen Staatsführung.

Chinesische Militärübung in Taiwan vertieft Graben zum Westen

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    Peking hat gerade ein neues Weißbuch zur „Taiwan-Frage“ publiziert, welches auf über 9000 Wörtern eine unmissverständliche Botschaft propagiert: „Wir werden uns mit größter Aufrichtigkeit und allen Kräften für eine friedliche Wiedervereinigung einsetzen. Aber wir verzichten nicht auf Gewaltanwendung und behalten uns die Möglichkeit vor, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“.

    Einige Seiten später heißt es gar: „Noch nie waren wir unserem Ziel der nationalen Vereinigung so nah“ – und noch nie „so zuversichtlich“, dieses auch erreichen zu können. Chinas Machthaber Xi Jingping lässt da keine Zweifel aufkommen.

    China übte die Blockade Taiwans

    Ob es sich dabei um Propaganda oder eine realistische Einschätzung handelt, lässt sich nur schwer eruieren. Doch die Aussagekraft von Kriegssimulationen, wie sie das CSIS letzte Woche durchführte, ist in jedem Fall beschränkt. Denn viele Variablen sind weiterhin offen – allen voran, ob die USA im Ernstfall Taiwan militärisch zur Seite stehen würde. Auch lässt sich aufgrund der Intransparenz der chinesischen Armee nur schwer prognostizieren, welche Waffen in den nächsten Jahren noch entwickelt werden.

    Nicht zuletzt ist eine Invasion Taiwans längst nicht das wahrscheinlichste Szenario. Denn einerseits möchte China seine Waffen nicht direkt auf jene Menschen richten, welche es in der Propaganda als chinesische Landsleute bezeichnet. Zudem besteht die Gefahr, dass bei einem Angriffskrieg auch kritische Infrastruktur Taiwans zerstört wird – allen voran die Halbleiter-Fabriken des Marktführers TSMC, der nahezu 60 Prozent aller weltweiten Mikrochips herstellt. Allein die Hälfte davon gehen an Unternehmen mit Sitz in China.

    Als wahrscheinlicher gilt daher eine Inselblockade, wie es die Volksbefreiungsarmee in den letzten Tagen erprobt hat. Dabei soll Taiwan wirtschaftlich isoliert werden, indem chinesische Schiffe den Zugang zu den wichtigsten Häfen der Insel sperren. Derzeit passieren jeden Tag rund 240 Schiffe die Straße von Taiwan.

    Der Halbleiterhersteller TSMC produziert rund 60 Prozent des weltweiten Chip-Bedarfs.
    Der Halbleiterhersteller TSMC produziert rund 60 Prozent des weltweiten Chip-Bedarfs. © AFP

    China ist schnell in der Lage, ein Embargo zu verhängen

    Chinas Militär hat zwar unlängst bewiesen, wie rasch es ein solches Embargo verhängen könnte. Doch gleichzeitig legten die Militärmanöver auch „Chinas eigene wirtschaftliche Verwundbarkeit“ offen, wie David Uren vom „Australian Strategic Policy Institute“ argumentiert. Denn Chinas größte Häfen in Shanghai, Tianjin und Dalian sind ebenfalls massiv von der Durchfahrt der Meeresenge abhängig.

    Wie Bloomberg jüngst analysierte, passieren dort zudem jeden Tag Tanker mit rund einer Million Barrel Öl durch die nur 130 Kilometer breite Taiwan-Straße. Diese nördlich der Philippinen zu umschiffen ist nur bedingt eine Alternative, da die sogenannte Luzon-Route höchst anfällig für Zyklone ist.

    Doch abseits der wirtschaftlichen Folgen hat Michael E. O’Hanlon von der Washingtoner „Brookings Institutions“ kürzlich untersucht, ob eine solche militärisch umgesetzte Blockade Taiwan tatsächlich in die Knie zwingen würde.

    Seine Studie kommt zu einem unbefriedigenden, weil offenen Ergebnis: Es gäbe demnach ähnlich viele glaubwürdige Szenarien, die sowohl einen chinesischen als auch taiwanischen Sieg prognostizieren würden. Schließlich zieht der Sicherheitsexperte den einzigen sinnvollen Rückschluss: „Es ist mehr als klar, dass beide Seiten diese Art von Krieg sowohl jetzt als auch in Zukunft vermeiden sollten“.