Berlin. Gazprom reduziert die Gaslieferungen nach Deutschland weiter. Bundesnetzagenturchef Müller für niedrigere Temperaturen in Wohnungen.

Jetzt trifft es Deutschland: Nachdem Russland schon Nachbarländern wie den Niederlanden und Polen den Gashahn zugedreht hat, fließt nun auch durch die wichtige Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 immer weniger Erdgas. Geht uns jetzt das Gas aus? Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Warum reduziert Russland die Gaslieferungen?

Nachdem der russische Staatskonzern Gazprom bereits am Dienstag reduzierte Liefermengen durch die Pipeline Nord Stream I angekündigt hatte, stellte Gazprom am Mittwoch eine erneute Reduktion in Aussicht.

Offiziell begründet der Energiekonzern das mit Verzögerungen bei Wartungsarbeiten. Dafür spricht, dass es tatsächlich Probleme mit einer Gasturbine gibt. Diese wurde zur Überholung nach Kanada gebracht. Aufgrund der Russland-Sanktionen kann diese nicht aus dem Werk in Montreal zurückgebracht werden, teilte der Energietechnikkonzern Siemens Energy mit.

Es besteht jedoch der Verdacht, dass Russland als Reaktion auf Sanktionen des Westens wegen des Ukraine-Krieges Gaslieferungen vorsätzlich zurückhält. Gas wird nicht nur zum Heizen der Wohnungen benötigt – auch für die deutsche Industrie ist der Rohstoff von großer Bedeutung. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vermutet daher eine politische Entscheidung als wahren Grund.

Wie viel Gas fließt noch nach Deutschland?

Seit Mittwochabend fließt deutlich weniger Gas durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland. Am Donnerstagmorgen lag die stündliche Liefermenge noch bei 2,6 Millionen Kubikmetern, etwa 29 Millionen Kilowattstunden. Zwischen 8 und 9 Uhr waren es 2,7 Millionen Kubikmeter. Hochgerechnet auf einen Tag entspricht dies rund 40 Prozent der Kapazität der Pipeline.

Weitere Gasröhren führen über die Ukraine auch nach Deutschland. Hier hatte Gazprom die Mengen bereits Mitte Mai gedrosselt, ebenfalls auf 40 Prozent der vereinbarten Liefermenge.

Wie groß sind die Reserven in Deutschland?

Aktuell sind die unterirdischen Gasspeicher in Deutschland nach Angaben der Bundesnetzagentur zu 55 Prozent gefüllt.

Bis zum Winter müssen sie zu 90 Prozent gefüllt sein. Das sieht ein neues Gesetz vor. Sind die Speicher vollständig gefüllt, reicht das für 25 Prozent des deutschen Jahresbedarfs. Vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine bezog Deutschland rund 55 Prozent des Erdgases aus Russland. Zuletzt waren es noch 40 Prozent. Um die Abhängigkeit weiter zu verringern, baut Deutschland an der Küste zunächst vier Terminals für Flüssiggas-Importe. Die erste Anlage im niedersächsischen Wilhelmshaven soll schon im Winter einsatzbereit sein.

Müssen wir jetzt Energie sparen?

Dazu ruft sowohl Minister Habeck als auch der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, auf. Um über den nächsten Winter zu kommen, sei es wichtig, so viel Gas zu sparen wie möglich. „Jede Kilowattstunde hilft in dieser Situation“, appellierte Habeck in einem Video, das das Wirtschaftsministerium auf dem Kurznachrichtendienst Twitter veröffentlichte.

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Netzagenturchef Müller schlug vor, Unternehmen mit Prämien zum Gassparen zu bewegen. Und in Mietwohnungen könne die vorgeschriebene Mindesttemperatur in der Heizperiode von derzeit 20 bis 22 Grad abgesenkt werden.

Bleibt die Wohnung im kommenden Winter also kalt?

Müllers Vorschlag stößt auf ein geteiltes Echo. „Auch bei 18 Grad Innentemperatur kann man mit etwas warmer Kleidung problemlos leben“, sagte Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, unserer Redaktion. Er warnte vor „verheerenden Konsequenzen“ für den Arbeitsmarkt, wenn im Notfall zuerst die Industrie kein Gas mehr erhalte.

Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW, der Großvermieter wie Vonovia, aber auch städtische Wohnungsunternehmen und Genossenschaften unter seinem Dach vereint, geht noch weiter. „Sollten die Gaslieferungen nach Deutschland künftig weiter deutlich eingeschränkt werden und es zu einer Mangelsituation kommen, sollte der Rechtsrahmen so angepasst werden, dass weitere Absenkungen der Mindesttemperatur auf eine maximale Untergrenze von 18 Grad tagsüber und 16 Grad nachts möglich werden“, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko unserer Redaktion.

Für „undifferenziert“ hält dagegen Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes, den Vorstoß. „Ältere Menschen etwa frieren häufig schneller als jüngere. Ihnen jetzt pauschal zu sagen, sie sollen sich eine Wolldecke mehr nehmen, kann nicht die Lösung sein“, sagte Siebenkotten unserer Redaktion. Er setzt auf Freiwilligkeit – und nimmt Immobilienbesitzer in die Pflicht. Das Bewusstsein für einen sparsamen Umgang mit Energie müsse bei allen Menschen geschärft werden – „auch bei denen, die im Eigentum wohnen“, sagte Siebenkotten.

Wird das Gas jetzt noch teurer?

Davon ist auszugehen. Schon vor dem Ukraine-Krieg hatten sich die Gaspreise für viele Haushalte vervielfacht. Netzagenturchef Müller erwartet weiter steigende Preise und kräftige Nachzahlungen. Hinzu kommen Probleme bei Flüssiggaslieferungen, nachdem sich in der vergangenen Woche in einer Großanlage in Texas eine Explosion ereignete. Bis September droht die Anlage nach Angaben der Betreiberfirma Freeport LNG auszufallen.

Dreht Russland den Gashahn bald komplett zu?

Einigen Nachbarländern liefert Russland bereits kein Erdgas mehr, weil diese sich nicht auf neue Zahlungsmodalitäten einlassen wollten. Netzagenturchef Müller sagte der „Rheinischen Post: „Es lag bislang in der russischen Logik, Deutschland weiter Gas verkaufen zu wollen. Aber wir können nichts ausschließen.“

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