Kairo. Luftangriffe auf Wohngebiete, Hunger und leere Versprechungen: Warum Putins Ukraine-Krieg viele Parallelen zur Schlacht in Syrien hat.

Wer im syrischen Bürgerkrieg genauer hingesehen hat, dem kommt das Drehbuch des russischen Militärs in der Ukraine verstörend bekannt vor. Auch dort wurden Städte eingekesselt und mit überwältigender Feuerkraft beschossen, bis der Widerstand, im Falle Syriens teilweise nach Monaten gebrochen war. Auch dort wurden humanitäre Korridore und lokale Waffenstillstandszonen zäh ausgehandelt und deren Schutz immer wieder verletzt. Die Zermürbung der Einwohner der Kriegszone war Strategie.

Der russische Militäreinsatz an der Seite des syrischen Diktators Baschar al-Assad, der im September 2015 begann, wirkt fast wie eine Probe für den Ukraine-Krieg. Wenngleich es einen entscheidenden Unterschied gibt. In Syrien ging es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin darum, den Wechsel eines Regimes zu verhindern, in der Ukraine geht es um das Gegenteil: die amtierende Regierung von Wolodymyr Selenskyj soll militärisch zu Fall gebracht werden.

Syrien: Bombardements mit Hilfe der russischen Luftwaffe

Doch der Weg, diese unterschiedlichen Ziele zu erreichen, geht in beiden Fällen über die Kontrolle von Gebieten, die es militärisch zu erlangen gilt. In Syrien verlief dieser Weg über Duma und andere Vorstädte von Damaskus, die aus den Händen der Rebellen zurückerobert wurden und endete in der verheerenden Belagerung und Zerstörung von Aleppo Ende 2016. In der Ukraine verläuft er heute über Charkiw, Mariupol bis wahrscheinlich in die Hauptstadt Kiew. In Syrien ging es darum, den bedrängten Diktator Assad, der in der Hauptstadt Damaskus saß, aus seiner bedrängten Lage zu befreien. In der Ukraine geht es Russland darum, die Hauptstadt zu erreichen, um eine Putin-genehme Regierung zu installieren.

Syrien stand Modell für die humanitären Korridore, über die auch völlig erschöpfte ukrainische Zivilisten in Sicherheit gebracht werden sollen. Das verheißt für die Menschen in der Ukraine nichts Gutes. Die von den Rebellen kontrollierten Orte in Syrien, wurden mit Hilfe der russischen Luftwaffe systematisch bombardiert und über lange Zeiträume belagert, zerstört und ausgehungert.

Wer was mit der Opposition zu tun hatte, wurde abgeführt

Wer dann die Städte verlassen wollte, dem wurden humanitäre Korridore angeboten. Damals endeten die zunächst oft in den Gebieten, die vom Regime in Damaskus regiert wurden. Wer dort ankam und von dem das Regime annahm, er hätte etwas mit der Opposition zu tun, der wurde abgegriffen und auf Nimmerwiedersehen weggeführt. Das war ein Grund, warum auch damals viele zögerten, diesen Weg zu nehmen – ähnlich wie heute viele ukrainische Zivilisten, die nicht nach Russland oder Belarus transportiert werden möchten.

Und so wie deren sicherster Weg heute in Richtung Westen verläuft, lag der einzige „sichere“ Ausweg für die Menschen von Aleppo in die nordwest-syrischen Provinz Idlib. Jene, die damals über diese Korridore ankamen, bilden heute das Gros der drei Millionen Flüchtlinge, die dort in überfüllten Lagern noch immer regelmäßig bombardiert werden.

Die Wahl für die Menschen in Aleppo war damals ebenso brutal, wie heute für die Menschen in Mariupol oder Charkiw: sein Heim und Gut zu verlassen oder zu riskieren mit der Familie unten den Trümmern seines Hauses zu enden. Oder wie es der damalige und noch heutige russische Außenminister Sergei Lawrow bei der Belagerung von Aleppo unumwunden formulierte: „Jene, die sich weigern freiwillig zu gehen, werden ausgelöscht“. Es ist heute wie damals das einzige Angebot auf dem russischen Tisch. Nicht nur der Außenminister auch die russische „Belagerung und humanitäre Korridor“-Taktik ist gleichgeblieben.

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Viele Syrer wurden zum Freiwild von Artillerie und Luftwaffe

Die syrischen und russischen Militärs erreichten mit diesen humanitären Korridoren ihr Ziel. Nachdem die Evakuierung, viele Syrer nannten es auch Vertreibung, abgeschlossen war, wurde die belagerten Orte endgültig zum Freiwild der Artillerie und Luftwaffe. Denn wer jetzt noch dort war, war nach russisch-syrischer PR selbst schuld. Es dauerte dann meist nicht mehr lange, bis der letzte Widerstand weggebombt war.

Die humanitären Korridore sind ein Paradox. Denn hier wird die Vertreibung von Menschen als die einzige Möglichkeit präsentiert, zivile Menschenleben zu retten. Ein Kriegsverbrechen wird begangen, um ein anderes zu vermeiden. Das war damals in Syrien so, das gilt heute für die Ukraine. Zumindest nach Aleppo ist bis heute kaum jemand der Menschen, die damals ihr nacktes Leben retteten, wieder in die Stadt zurückgekehrt.

Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen