Bonn. LampSeq heißt ein neues Verfahren für Corona-Massentests, entwickelt an der Uniklinik Bonn. Was kann die Alternative zu PCR-Tests?

  • Die Uniklinik Bonn hat eine Alternative für Corona-Massentests entwickelt
  • Die neue Testvariante heißt LampSeq
  • Wie das neue Verfahren für Massentests funktioniert

Für Schülerinnen und Schüler ist es in diesem Winter in vielen Bundesländern ein Dauerärgernis: Mal wieder ist der PCR-Pooltest der Klasse positiv. Bis feststeht, wer wirklich infiziert ist, dauert es Tage. Die Labore kommen seit dem massiven Anstieg der Infektionszahlen durch die Omikron-Variante des Coronavirus mit den Einzelauswertungen kaum hinterher.

Mehr als 500.000 Tests am Tag schaffen sie nicht. Also: Quarantäne für alle. Dauerstress für Schüler, Eltern, Lehrkräfte. Ein neues Verfahren für Corona-Massentests könnte das schon bald ändern.

Ortstermin am hügeligen Stadtrand von Bonn. Auf über ein Kilometer Länge erstreckt sich auf dem Venusberg der Campus des Universitätsklinikums. Über 8300 Menschen arbeiten auf dem von Wald umgebenen Gelände, auf dem sich zig Kliniken, Labore, Forschungseinrichtungen aneinanderreihen.

In einem sechsstöckigen Neubau mit rosa Fassade und dunkel eingefassten Fenstern gewähren Jonathan Schmid-Burgk, Professor für Immungenetik, und Humangenetikerin Kerstin Ludwig unserer Redaktion einen exklusiven Einblick in ihre Arbeit. Bis zum Ausbruch der Pandemie war Schmid-Burgk am Broad Institute der US-Eliteuniversitäten MIT und Harvard tätig. Seit Frühjahr 2020 arbeiten beide in Bonn in einem Labor hinter Sicherheitstüren an einem Verfahren, das die Corona-Tests revolutionieren könnte.

Zusätzliches Angebot zwischen Antigen- und PCR-Tests

LampSeq heißt die Methode, die bis zu 100.000 Tests auf einen Streich ermöglichen soll, mit Ergebnissen nahezu so sicher wie beim PCR-Test, aber zu einem Bruchteil der Kosten. Es könnte bei kommenden Corona-Wellen in der Nationalen Teststrategie eine zusätzliche Säule zwischen unzuverlässigen Antigen-Schnelltests und aufwendigen PCR-Tests bilden, hoffen sie.

Ludwig und Schmid-Burgk hatten zu Beginn der Pandemie einen ähnlichen Gedanken, erzählen sie. Lassen sich Maschinen zur Gensequenzierung auch für einen Corona-Test nutzen? Normalerweise kommen die bis zu eine Million Euro teuren Spezialgeräte zum Einsatz, um Mutationen im Erbgut als Ursache von seltenen Krankheiten aufzudecken oder Krebsformen zu bestimmen.

In den vergangenen 20 Jahren habe die Technik große Fortschritte gemacht, sagt Schmid-Burgk. „Wir haben uns gefragt, ob man mit dieser Power nicht auch eine ganz simple Frage beantworten kann: Hat jemand Sars-CoV-2 oder nicht?“ Weiterlesen:Corona in Schulen und Kitas: Wie sicher sind Lolli-Tests?

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, braucht es wie bei anderen Tests auch erst einmal einen Rachenabstrich. Im nächsten Schritt wird klar, dass es bei LampSeq um viel größere Mengen an Corona-Tests geht als bei Antigen- oder PCR-Tests.

Ludwig zeigt eine Plastikplatte mit 94 Röhrchen, in denen ebenso viele Abstriche mit einer Lösung vermischt werden. Anschließend entnimmt ein Roboter wenige Mikroliter aus jedem Röhrchen, gibt diese zur Vermehrung auf eine weitere Platte. Wie bei einem PCR-Test werden nun so viele Kopien des Viruserbguts, der RNA, erzeugt, dass es sich nachweisen lässt.

Jede Probe erhält einen einzigartigen Barcode

Im nächsten Schritt erhält jede Probe einen einzigartigen molekularen Barcode. „Durch diese Kombinatorik lässt sich später genau bestimmen, von wem eine positive Probe stammt“, sagt Schmid-Burgk. So kann der Roboter dann winzige Mengen von 10.000 oder auch bis zu 100.000 Proben zusammenfügen.

Die Flüssigkeit läuft in rund sechs Stunden durch die Sequenziermaschine. „Selbst in dieser kleinen Menge sind die Barcodes und mögliche Virus-RNA noch milliardenfach vorhanden. Damit ist sichergestellt, dass jede einzelne Probe ausgewertet wird.“ Mehr zum Thema:Omikron: Neuer Subtyp könnte zu schweren Verläufen führen

Das Gerät sucht per Mikroskop einen Abschnitt der Virus-RNA. Wird es fündig, liest es den Barcode aus. So lasse sich verwechselungsfrei ermitteln, wer mit dem Virus infiziert ist. „Unser Test ist wesentlich sensitiver als die Schnelltests und erreicht nahezu das PCR-Niveau“, sagt Frank Schnieders, Geschäftsführer des inzwischen ausgegründeten Unternehmens LampSeq Diagnostics.

Ein Roboter entnimmt wenige Mikroliter aus jeder Probe – später werden sie vermischt.
Ein Roboter entnimmt wenige Mikroliter aus jeder Probe – später werden sie vermischt. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Ludwig und Schmid-Burgk haben die Testmethode zusammen mit 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Umfeld der Uniklinik Bonn entwickelt. In Pilotreihen mit insgesamt 20.000 Untersuchungen haben sie etwa Mitarbeitende der Uniklinik und Schüler aus Bonn getestet – und die Studienergebnisse im renommierten Journal „Nature Biotechnology“ veröffentlicht.

Unternehmen sucht Partner aus der Pharmaindustrie

Verläuft alles nach Plan, erwarten sie, dass im Mai alle regulatorischen Voraussetzungen für den flächendeckenden Einsatz erfüllt sind. Dann muss die Politik entscheiden, ob das Verfahren zum Einsatz kommen soll. Produktion und Logistik könnten über den Sommer aufgebaut werden, sagt Schnieders. „Wie Biontech sich mit Pfizer einen Partner aus der Pharmaindustrie gesucht hat, werden auch wir uns dafür ein erfahrenes Unternehmen an die Seite holen.“

Als Einsatzfelder für LampSeq sehen die Forschenden etwa Massentests in Schulen, Kindergärten, Pflegeheimen und Krankenhäusern. Mit einem Preis von unter 20 Euro je Test könne es sich für Industriebetriebe rechnen, regelmäßig die Belegschaft durchzutesten, um Produktionsausfälle zu vermeiden. Auch interessant:Corona-Warn-App: Kein PCR-Test mehr nach roter Warnung

Denkbar seien auch Massentests vor Großveranstaltungen wie Clubnächten, Konzerten und Festivals. „Je größer die Gruppe der zu testenden Personen ist, um so besser kann das Verfahren seine Stärken ausspielen“, sagt Schnieders.

Infrastruktur in vielen Labors vorhanden

Die nötige Technologie sei in jedem molekulardiagnostischen Labor vorhanden, sagt Ludwig. Davon gibt es Dutzende in Deutschland. „Die Infrastruktur muss also nicht erst aufgebaut werden. Und wir beanspruchen damit nicht die knappen Ressourcen, die für PCR-Tests benötigt werden“, sagt Ludwig.

„Selbst das kleinste Sequenziergerät schafft bis zu 10.000 Proben in einem Durchlauf“, ergänzt Schmid-Burgk. Größere Maschinen könnten theoretisch bis zu 100.000 Proben in einem Lauf auswerten.

Welche Chancen hat das Verfahren? Virologe Hendrik Streeck sieht in Lamp-Seq eine mögliche Alternative zu Antigen- und PCR-Tests, wenn es um große Gruppen geht. „Es funktioniert“, sagte er bei „Markus Lanz“ im ZDF.

Dieser Artikel ist zuerst auf www.morgenpost.de erschienen