Berlin . Bund und Länder wollen die Krisenfähigkeit Deutschlands stärken: Den Bevölkerungsschutz. So schlecht sind die Behörden vorbereitet.

Der Ukraine-Krieg legt eine Schwachstelle bloß: Die Krisenfestigkeit Deutschlands. Das erkannten jetzt auch Bund und Länder. Am Donnerstag vereinbarten sie auf der Ministerpräsidenten-Konferenz "eine strategische Stärkung und Fortentwicklung des Bevölkerungsschutzes". Ein Arbeitsauftrag an ihre Innenministerinnen und Innenminister.

Für den "Spannungsfall" ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zuständig. Im Klartext: Wenn ein Krieg droht. Wie gut wären die Bürgerinnen und Bürger geschützt, wenn Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine-Invasion ausweiten und West-Europa angreifen würde?

Kriegsfall – denkbar schlecht vorbereitet

Wie fern der Gedanke einer Kriegsbedrohung ist, sieht man am BBK-Ratgeber für "Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen". Dort kann man nachlesen, wie viel Wasser, welche Lebensmittel und Medikamente jeder Bürger für zehn Tage vorrätig haben sollte, zum Beispiel 14 Liter Flüssigkeit pro Person pro Woche. Das BBK geht auf vier Szenarien ein: Unwetter, Feuer, Hochwasser und Gefahrenstoffe.

Und Krieg? Fehlanzeige.

Wer auf bbk.bund.de klickt, landet vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges bei einer Übersicht unter "Anfragen zum Krieg". Das Suchinteresse ist groß – ein Spiegelbild der allgemeinen Verunsicherung.

Frage: "Wie sollte ich mich in einem Verteidigungsfall verhalten". Antwort: "Über Radio, Fernsehen, Internet und WarnApps informiert bleiben und amtliche Warnungen befolgen". Spätestens hier ahnt man, wie schlecht Deutschland auf den Kriegsfall vorbereitet ist.

Keine Luftschutzbunker

Luftschutzbunker gibt es nicht mehr. 2007 beschlossen Bund und Länder, sie nicht länger zu erhalten. Das Szenario eines konventionellen Krieges schien ihnen "nicht mehr zeitgemäß", wie das BBK referiert. Wohl zum Selbstschutz der Bonner Behörde.

"Im Fall eines Angriffs gehen Sie am besten in einen innenliegenden Raum mit möglichst wenigen Außenwänden", empfiehlt das BBK. Noch besser: In U-Bahn-Stationen. Wie in Kiew.

Marode Warnsysteme

Den bundesweiten Warntag 2021 sagte Innenminister Horst Seehofer (CSU) damals ab. Beim vorangegangenen Probealarm hatten viele Sirenen nicht funktioniert. Eine Wiederholung wollte sich Seehofer nicht antun.

In Ostdeutschland gab es aus DDR-Zeiten ein funktionierendes Alarmsystem, das prompt abgebaut wurde. Ein "schwerer Fehler", schimpfte die Linke bereits 2020. Mithin hänge es vom Aufenthalts- oder Wohnort ab, ob Bürger rechtzeitig, spät oder gar nicht alarmiert würden.

Keiner kennt die Zahl der Sirenen

Wenn man nur genau wüsste: Wo? "Leider existiert keine Übersicht über die Anzahl der Sirenen in Deutschland", teilt das BBK auf Anfrage unserer Redaktion mit. Bund und Länder arbeiteten derzeit an einem Warnmittelkataster. Am Geld sollte es nicht scheitern. Der Bund legte eigens ein Förderprogramm zum Ausbau kommunaler Sirenennetze auf.

Die Benachrichtigungen von Warn-Apps wie NINA kamen beim Warntag teilweise mit einer halben Stunde Verspätung auf Smartphones an. Warn-Apps sind zwar praktisch, sie erreichen aber nur einen Teil der Bevölkerung. Denn nicht jeder besitzt ein Smartphone.

Wie klingt wohl ein Atomangriff?

Fast jeder hat ein Handy. Da setzt die Warnung per Cell Broadcasting an. Im Notfall bekäme jeder eine Warnung per Kurznachricht auf sein Mobiltelefon; sogar der Lautlos-Modus wird übergangen. Eine Konsequenz aus der Flutkatastrophe 2021 ist, dass dieses System möglichst noch in diesem Jahr eingeführt werden soll. Allerdings hat die Bundesnetzagentur erst am 23. Februar den Weg für die Einführung freigemacht.

Fraglich ist, wie viele Menschen einen Sirenenton interpretieren können, die Warnung vor einem Atomangriff etwa: Durchdringender Heulton, eine Minute lang, an- und abschwellend – zweimal kurz unterbrochen. Wer weiß genau zu "lesen", genauer: herauszuhören?

Geübt werde das Szenario schon lange nicht mehr, kritisierte der Ex-Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) im "Cicero". "Im Ranking der Risiken, mit denen wir persönlich rechnen, ist der Atomkrieg weit nach unten gerutscht."

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Befragungen zeigten, dass das Vorsorgeniveau und das Notfallwissen "nicht sehr ausgeprägt" seien, heißt es in einer BBK-Analyse. Den Experten stehe eine Bevölkerung gegenüber, "die mit der Praxis der Katastrophenbewältigung und Notfällen kaum Erfahrungen hat".

Keine echte Reformbereitschaft

Das starke Sicherheitsempfinden, das sich durch ein leistungsfähiges Hilfeleistungssystem mit Polizei, Feuerwehr und Hilfsorganisationen entwickelt habe, "hat den Nachteil, dass sich nur allzu gerne darauf verlassen wird."

Das wäre allerdings ein Fehler.

Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle sieht einen Webfehler. "Allzu oft verteidigen staatliche Ebenen bloß bestehende Strukturen und sind nicht bereit für echte Veränderungen", sagte er unserer Redaktion. Der Angriffskrieg Russlands habe verdeutlicht, wie wichtig der Zivil- und Katastrophenschutz ist. Das BBK müsse nach dem Vorbild anderer Behörden mit einer Zentralstellenfunktion ausgestattet werden.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.