Berlin. In der vierten Corona-Welle ist die Inzidenz unter älteren Kindern besonders hoch. Doch wie groß ist die Gefahr, schwer zu erkranken?

Das Coronavirus hat die Kleinsten erreicht. Die Infektionszahlen bei Kindern werden immer höher. Allein in der letzten Augustwoche steckten sich fast 2000 Kinder unter vier Jahren an, bei den älteren Kindern meldete das RKI Rekord-Fallzahlen: Die Sieben-Tage-Inzidenz lag bei den 10- bis 14-Jährigen mit knapp 150 fast dreimal so hoch wie die durchschnittliche Inzidenz der Gesamtbevölkerung. Allein in NRW liegt die Inzidenz inzwischen bei 6-10-Jährigen bei 377, bei den 11-16-Jährigen nur knapp darunter.

Experten sehen die hohen Zahlen in Kitas und Schulen mit Sorge. Droht eine Durchseuchung? Wie gefährlich ist das Virus für Jüngere? Und was kann getan werden?

Covid-19: Wie viele Kinder erkranken schwer?

Anruf bei Florian Hoffmann. Der Münchener Arzt kennt sich mit schwerkranken Kindern aus. Der Pädiater ist an der Kinderklinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und gleichzeitig Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). „Covid-Infektionen bei Kindern verlaufen auch mit der Delta-Variante größtenteils harmlos“, sagt Hoffmann.

Die Kinder, die sich jetzt ansteckten, blieben häufig asymptomatisch oder hätten einen milden Verlauf. „Nur sehr, sehr wenige junge Patienten erkranken wirklich schwer.“ Auch jetzt, in der vierten Welle, seien Klinikeinweisungen bei Kindern selten. Das RKI zählte in der letzten Augustwoche bundesweit rund 50 Fälle bei Kindern unter zehn Jahren.

Die meisten Kinder auf Intensivstationen dürften mit Vorerkrankungen oder mit dem PIMS-Syndrom sein. PIMS steht für „Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome" – ein Entzündungssyndrom, das in seltenen Fällen nach einer Virusinfektion auftreten kann.

Das ist PIMS

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    Heißt: Auch wenn die Fallzahlen unter Kindern aktuell in die Höhe schießen und damit rein statistisch auch mehr Kinder erkranken, besteht laut Hoffmann kein Grund zur Panik „Kinder mit Vorerkrankungen, etwa mit Immundefekten oder Trisomie 21, haben ein etwas höheres Risiko – aber selbst das ist noch gering im Vergleich zu den Älteren“, so der Kinderarzt. „Nur in absoluten Einzelfällen kommt es zu Todesfällen.“ Das bestätigt auch das RKI.

    Welche Folgen haben die hohen Fallzahlen in Kitas und Schulen?

    Es ist eine einfache Rechnung. Das Virus ist hochansteckend, viele Ältere sind noch ungeimpft und der entscheidende Schutz fehlt: „Es gibt neun Millionen Kinder unter zwölf Jahren, für die es noch keinen Impfstoff gibt. Diese Kinder werden die Infektion bekommen“, sagt Hoffmann. „Aber nur ganz wenige von ihnen werden schwer krank werden.“ Lesen Sie auch: Corona-Impfstoff für Säuglinge - Mediziner erwarten Zulassung

    Hoffmann, der selbst zwei Kinder hat, warnt entschieden davor, aus Angst vor steigenden Infektionszahlen die Schulen wieder zu schließen: Es wäre falsch, eine ganze Generation zu Hause ihrem Schicksal zu überlassen, um zu verhindern, dass einige wenige Kinder auf der Intensivstation landen, findet der Mediziner.

    Kinder: Corona kaum gefährlicher als Influenza?

    Was man bei allem nicht vergessen dürfe: „Wir haben in der Vergangenheit jedes Jahr Kinder an die Influenza verloren, chronisch Kranke, aber auch ganz gesunde Kinder, die an einem Lungenversagen gestorben sind.“

    Das Hauptproblem in diesem Herbst seien definitiv nicht die Einzelfälle der schwer erkrankten Kinder, sondern die ungeimpften Erwachsenen. Angesichts der hohen Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen sei die Gefahr groß, dass viele das Virus in die Familien tragen – und dort auf ungeimpfte Familienmitglieder stoßen.

    Die Folge: „Wir sehen immer mehr jüngere Erwachsene auf den Intensivstationen.“ Nachdem die junge Generation im Sinne der Verantwortung für die Älteren auf viel verzichtet habe, müsse nun die Erwachsenengeneration diese Verantwortung wieder selbst übernehmen und sich flächendeckend impfen lassen.

    Long Covid und Spätfolgen: Wie groß ist die Gefahr für Kinder?

    Long Covid – das ist die große Angst vieler Eltern. Die Annahme dahinter: Kinder machen eine Corona-Infektion zwar zunächst symptomfrei oder ohne größere Probleme durch, entwickeln dann aber Spätfolgen wie Erschöpfung, verminderte Leistungsfähigkeit und psychische Probleme.

    Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat mehrfach vor Long Covid bei Kindern gewarnt. Hoffmann dagegen ist wie viele andere Kinderärzte eher zurückhaltend: „Ich warne zum jetzigen Zeitpunkt davor, das Phänomen Long Covid zu überschätzen: Es gibt bislang keine valide Studie, die zeigt, dass es bei Kindern ernsthafte Langzeitschäden im Sinne einer Long-Covid-Erkrankung gibt. Mein Eindruck ist, dass es sich allenfalls um Einzelfälle handelt.“

    Insgesamt ist die Datenlage der Wissenschaft zu diesem Thema derzeit noch recht dünn. Eine aktuelle Studie der „Swiss School of Public Health“ verglich Kinder, die sich mit Corona infiziert hatten, mit solchen, bei denen das nicht der Fall war. Das Ergebnis: Die mit dem Virus Infizierten klagten Wochen später genauso oft über Symptome wie Müdigkeit oder Abgeschlagenheit wie die, die sich nicht infiziert hatten.

    Auch eine Grippeerkrankung belaste viele Patienten noch wochenlang mit Müdigkeit und Abgeschlagenheit. „Es gibt keinen Grund, deswegen jetzt in Panik zu verfallen“, so Hoffmann.