Berlin. Verstößt die Bundesregierung mit ihrem Klimapaket gegen die Verfassung? Davon sind Aktivisten überzeugt – und wollen nach Karlsruhe ziehen.

Erst der Siemens-Chef, jetzt die Bundesregierung: Luisa Neubauer bietet in diesen Tagen den Mächtigen die Stirn. Fünf Tage nach ihrem Streitgespräch mit dem Siemens-Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser kündigte die Mitbegründerin und Sprecherin des deutschen „Fridays For Future“-Ablegers am Mittwoch in Berlin zusammen mit Umweltverbänden und weiteren Aktivisten an, die Bundesregierung für ihr Klimapaket verklagen zu wollen.

„Die Klage ist ein logischer Zusatz zu dem, was im letzten Jahr auf den Straßen passiert ist“, sagte die 23-Jährige und wurde drastisch: „Es geht nicht mehr nur um zukünftige Generationen. Es geht um unsere Generation. Das Nicht-Handeln der Regierung terrorisiert unseren Freiheitsraum.“ Unsere Redaktion beantwortet die wichtigsten Fragen zur „Klimaklage“.

Warum wollen Klimaaktivisten und Umweltverbände die Regierung verklagen?

Die Klimaaktivisten, die von den Umweltorganisationen Deutschen Umwelthilfe, Germanwatch und Greenpeace unterstützt werden, halten das von der Bundesregierung und dem Bundesrat verabschiedete Klimapaket für nicht ausreichend. Sie sind überzeugt, dass die verabschiedeten Gesetze nicht ausreichen, um das im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarte Ziel zu erreichen und den Klimawandel auf maximal 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

Die Folgen, die der Klimawandel mit sich bringt, seien aber einschneidende Eingriffe in die Grundrechte, argumentieren die Klimaaktivisten. Klimaschutz ist keine politische Opportunität, er ist ist Grundrechtsschutz“, sagte Rechtsanwalt Remo Klinger, der die Beschwerdeführer juristisch vertritt.

Eine erste Klimaklage, die drei Bauernfamilien zusammen mit Greenpeace geführt hatten, war im vergangenen Oktober vom Berliner Verwaltungsgericht abgewiesen worden. Die Anwälte der Bundesregierung hatten vorgebracht, dass ein Verwaltungsgericht nicht die Exekutive zu einem bestimmten Handeln zwingen dürfe. Nun wollen die Klimaaktivisten vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe ziehen.

Wie argumentieren die Klimaaktivisten?

Die Klimaaktivisten sehen drei verfassungsrechtlich geschützte Grundrechte verletzt. Erstens werde durch den Klimawandel das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Grundgesetz) beschnitten. Die australischen Waldbrände und Überschwemmungen in Südasien seien erste Vorboten. „Ich erlebe einen Alltag, der von sehr vielen Zukunftsängsten geprägt ist“, sagte die 15-Jährige Beschwerdeführerin Miriam Siebeck, die seit knapp einem Jahr die „Fridays For Future“-Proteste in Stuttgart mitorganisiert. „Wir sind sehr privilegiert, diese Folgen erst in ein paar Jahren erleben zu müssen“, führte Siebeck fort. Allerdings reiche der Einfluss, den der Einzelne nehmen könne, nicht aus, um die Entwicklung zu stoppen.

Als zweites argumentieren die Aktivisten mit dem Recht auf eine freie Berufswahl (Artikel 12 Grundgesetz). Das würde eingeschränkt werden, wenn manche Berufe, beispielsweise in der Landwirtschaft, aufgrund steigender Temperaturen nicht mehr möglich seien.

Damit eng verbunden ist als dritter Punkt das Eigentumsrecht (Artikel 14 Grundgesetz). So argumentiert etwa Sophie Backsen, die auf einem Bio-Bauernhof auf der Nordseeinsel Pellworm aufgewachsen ist. „Wenn es lange stark anhaltend regnet, läuft unsere Insel voll wie eine Badewanne“, sagte die Studentin der Agrarwissenschaften. Sie würde gerne später nach Pellworm zurückziehen. „Aber ist das überhaupt noch möglich, wenn der Meeresspiegel weiter ansteigt?“, fragte sie.

Wer klagt überhaupt?

Insgesamt werden drei verfassungsrechtliche Klagen gegen die Bundesregierung eingereicht. Zum einen haben sich 15 vom Klimawandel betroffene Einwohner aus Bangladesch und Nepal zusammengeschlossen, um die Bundesregierung zu mehr Klimaschutz zu verpflichten. Eine von ihnen ist Yi Yi Prue, Rechtsanwältin aus Bangladesch. „Wir brauchen Klimagerechtigkeit“, forderte sie.

Wir klagen gegen die deutsche Klimapolitik

weitere Videos

    Große Industrienationen seien in der Pflicht, zu handeln, denn in südasiatischen Ländern wie Bangladesch seien die Folgen des menschengemachte Klimawandels schon heute verheerend.

    Als zweites klagen zehn Jugendliche im Alter zwischen elf und 22 Jahren aus Deutschland. Eine der Beschwerdeführerinnen ist die Stuttgarterin Miriam Siebeck. „Noch haben wir das Steuer in das Hand. Der Einfluss, den ich durch mein eigenes Handeln nehmen kann, reicht aber nicht aus“, sagte die 15-Jährige.

    Die dritte Verfassungsbeschwerde wird von neun Jugendlichen und jungen Erwachsenen geführt, darunter Luisa Neubauer, die Anfang der Woche einen von Siemens angebotenen Aufsichtsratsposten ablehnte.

    Wie sind die Erfolgsaussichten?

    Das ist noch schwer zu sagen. Zunächst einmal muss die Klage vom Bundesverfassungsgericht überhaupt zugelassen werden. Seit November 2018 liegt bereits eine Verfassungsklage des BUND beim Verfassungsgericht vor. Die drei Klagen der Klimaaktivisten sollen diesem Verfahren beigelegt werden. Derzeit sind der Bundestag und die Ministerien aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen. Laut Felix Ekardt, Vorsitzender des BUND Sachsen, hätten die Ministerien bereits mehrfach um Fristverlängerung gebeten.

    Sollte das Bundesverfassungsgericht die Klage zulassen, würde zunächst ein schriftliches Verfahren eingeleitet, an dem auch Dritte, etwa der Deutsche Industrie- und Handelskammertag oder Gewerkschaften beteiligt werden könnten. Erst anschließend fände eine Verhandlung statt.

    Die Klimaaktivisten selbst zeigen sich sehr zuversichtlich, dass die Klage zugelassen werden könnte – und nehmen dabei Bezug auf die abgewiesene Klage des Bundesverwaltungsgerichts. „Wir empfinden das Urteil als wegweisend. Klimaschutz muss sich am Stand der Wissenschaft orientieren und ist ein Grundrechtsschutz“, sagte Anike Peters von Greenpeace.

    Mut mache laut Peters auch ein Urteil aus einem deutschen Nachbarland: In den Niederlanden gaben Richter einer ähnlichen Klagen in drei Instanzen Recht, die niederländische Regierung ist damit aufgefordert, sich für den Klimaschutz stärker einzusetzen.

    Welche Rolle spielt Luisa Neubauer?

    Luisa Neubauer zählt neben den Geschäftsführern der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch und Sascha Müller-Kraenner sowie deren Stellvertreterin Barbara Metz, die schon die Dieselfahrverbote erstritten, zu den bekanntesten Personen der Klage.

    Jürgen Resch (von links), Barbara Metz und Sascha Müller-Kraenner vertreten die Deutsche Umwelthilfe, Rechtsanwalt Remo Klinger ist der juristische Beschwerdeführer.
    Jürgen Resch (von links), Barbara Metz und Sascha Müller-Kraenner vertreten die Deutsche Umwelthilfe, Rechtsanwalt Remo Klinger ist der juristische Beschwerdeführer. © dpa | Kay Nietfeld

    Bei der Vorstellung der drei Klagen war Luisa Neubauer, die als eine von drei Frauen Gretas Job in Deutschland macht, eine von über zehn Rednerinnen und hielt sich etwas im Hintergrund. Sie habe sich der Klage angeschlossen, da aktuell ein entscheidender Zeitpunkt in der Geschichte sei. „In der Vergangenheit wurde der Klimaschutz sträflich vernachlässigt, in der Zukunft wird es zu spät sein, noch etwas zu tun. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem noch gehandelt werden kann. Jetzt müssen Pfadabhängigkeiten geschaffen werden, sodass wir alle auf diesem Planeten alt werden können“, sagte Neubauer.

    Auf Nachfrage ging die 23-Jährige dann noch einmal auf die Rolle der Industrie ein. „Was die Klimakrise betrifft, mangelt es Unternehmen an Selbstbewusstsein, Verantwortung wahrzunehmen“, sagte Neubauer. Doch nicht nur die Industrie versage. „Es gibt im heutigen Bundestag keine Partei, die das Pariser Klimaabkommen, die das Ziel entsprechend ambitioniert umsetzt“, sagte Neubauer.

    Was sagen die Regierungsparteien?

    Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak, hält die Klagen für „einen guten PR-Gag“. Zwar treffe der in Artikel 2 des Grundgesetzes gewährleistete Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit im weiten Sinne auch auf Klimafolgen zu. „Allerdings ist es eine politische Frage, hier Maßnahmen abzuwägen und zu treffen. Das Bundesverfassungsgericht wird nicht an die Stelle des Gesetzgebers treten“, sagte Luczak unserer Redaktion.

    Bei den Klagen der Betroffenen aus Bangladesch und Nepal müsse zudem geklärt werden, ob sie überhaupt beschwerdebefugt seien. „Es ist schon ein außerordentlich weiter Zugang, das politische Handeln Deutschlands in einen mittelbaren Zusammenhang mit Klimaphänomenen auf der Welt zu stellen - zumal Deutschland nur rund zwei Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes zu verantworten hat“, sagte Luczak.

    Der umweltpolitische Sprecher der SPD, Carsten Träger, sieht bereits in dem derzeitigen Klimapaket einen „guten, kraftvollen Schritt in die richtige Richtung.“ Unserer Redaktion sagte Träger: „Das Klimaschutzgesetz wird schon im nächsten Jahr seine Wirkung entfalten.“

    Wie ist der Stand beim Klimapaket?

    Im September des vergangenen Jahres hatte die Bundesregierung das Klimapaket beschlossen. Anschließend gab es viel Kritik, auch weil ein Klimareport des Weltklimarats IPCC schlechte Nachrichten für Deutschland bereit hielt.

    Der Bundesrat stoppte schließlich das vom Bundestag schon beschlossene Paket, ehe Mitte Dezember doch noch eine Einigung erzielt werden konnte.

    Mehr zum Klimapaket der Bundesregierung: