Brüssel. Mageres Ergebnis des EU-Gipfels: Die Osteuropäer blocken beim Klimaschutz. Und Frankreichs Präsident will einen personellen Neuanfang.

Wenigstens einer konnte dem ergebnislosen Personalpoker beim EU-Gipfel etwas Positives abgewinnen: „Ich sehe mit Vergnügen, dass es nicht leicht ist, mich zu ersetzen“, meinte der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker spät in der Nacht, als der Gipfel in Brüssel nach zwölf Stunden endete.

Wer Juncker im Herbst als „Mr. Europa“ nachfolgen soll, ist weiter offen – nach heftigen Kontroversen vertagten sich die Regierungschefs auf einen Sondergipfel am Sonntagabend, 30. Juni.

Manfred Weber hat nur noch geringe Chancen

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schloss eine Wahl von CSU-Politiker Manfred Weber aus. Weder Weber noch ein anderer Europawahl-Spitzenkandidat habe noch eine Chance auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten. Die Gespräche hätten gezeigt, dass neue Namen vorgeschlagen werden müssten. Macron, erklärter Gegner Webers, will bei der Personalsuche einen Neuanfang.

Bislang hat weder der von den Christdemokraten ins Rennen geschickte Weber noch die beiden anderen Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten, Frans Timmermans, und der Liberalen, Margrethe Vestager, eine Mehrheit, wie Ratspräsident Donald Tusk dem Gipfel berichtete.

Zu Weber haben, so Tusk, eine nicht unerhebliche Zahl von Regierungschefs Skepsis erkennen lassen. Und im Parlament drohen sich die Parteilager gegenseitig zu blockieren – und damit die Regie den Regierungschefs zu überlassen. Die stritten hinter verschlossenen Türen heftig über die Konsequenzen.

  • Hintergrund:Wie Präsident Macron den Kandidaten Weber verhindern will.

Anders als Macron, der sagte, alle Kandidaten seien aus dem Rennen, versicherten andere Regierungschefs, alle Namen seien noch auf dem Tisch. Man müsse die Entwicklung der nächsten Tage abwarten.

Merkel, die Weber unterstützt, äußerte sich in der Nacht nur vage: Der Befund, dass sich derzeit für Weber weder im Parlament noch unter den Regierungschefs eine Mehrheit abzeichne, „stellt uns natürlich vor Herausforderungen, das ist vollkommen klar.“

Im Vorfeld des Gipfels hatte sich Sigmar Gabriel (SPD) für Bundeskanzlerin Angela Merkel als EU-Ratspräsidentin ausgesprochen.

Die Stimmung ist angespannt. Die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) steht vorerst geschlossen zu ihrem Kandidaten und Fraktionschef im EU-Parlament; sie ist bereit, einen Konflikt in Kauf zu nehmen. EVP-Präsident Joseph Daul sagte, wie mit Weber umgegangen werde, sei ein „Skandal“. Er deutete an, die Christdemokraten seien bereit, notfalls die gesamte Personalsuche zu verzögern – die amtierende EU-Kommission könne duchaus bis zum nächsten Frühjahr im Amt bleiben. Merkel signalisierte den anderen Regierungschefs, wenn Weber scheitere, dann scheiterten auch Timmermans und Vestager.

Die Hoffnung führender Christdemokraten ist, dass Sozialdemokraten und Liberale doch noch einlenken und Weber unterstützen, um zu verhindern, dass das Parlament in der zentralen Personalfrage die Entscheidung praktisch den Regierungschefs überlässt.

Fällt die Personalentscheidung in Japan?

Doch ist unklar, ob alle christdemokratischen Regierungschefs dem folgen werden oder Weber nicht doch fallen lassen, wenn es ihm nicht gelingt, in den nächsten Tagen Sozialdemokraten und Liberale mit inhaltlichen und personellen Zusagen auf seine Seite zu ziehen. die Grünen haben bereits Kompromissbereitschaft signalisiert.

Zu den Politikern, die am Rande des Gipfels aber schon als Alternativ-Kandidaten für das Präsidentenamt in einem „Plan B“ genannt wurden, zählen der Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier aus Frankreich, die frühere EU-Haushaltskommissarin Kristalina Georgieva aus Bulgarien, der kroatische Premier Andrej Plenkovic, die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite und die Präsidentin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde.

Möglicherweise fallen die Würfel gar nicht in Brüssel, sondern vorher am Freitag und Samstag nächster Woche im japanischen Osaka: Zum G20-Gipfel werden dort Merkel, Macron, der spanische Premier Pedro Sanches, Tusk, Juncker und weitere EU-Spitzenpolitiker erwartet – die wichtigsten Strippenzieher sind versammelt und werden, wie Juncker voraussagt, die Gelegenheit zu weiteren Personalgesprächen nutzen.

Misserfolg beim Klimaschutz

In Brüssel hatten die Regierungschefs vor der ergebnislosen Personalsuche bereits stundenlang über den Klimaschutz gestritten: Eine halbwegs verbindliche Festlegung, die EU bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu machen, fand keine Mehrheit und wurde in der Abschlusserklärung nicht mehr erwähnt.

Lediglich in einer Fußnote wird festgehalten, dass eine große Mehrheit der EU-Staaten das Ziel der Klimaneutralität verfolgt. Dies bedeutet, dass in der EU nur noch so viel Kohlendioxid freigesetzt werden dürfte, wie anderswo eingespart oder etwa durch Aufforstung kompensiert würde.

Merkel - Einigung über EU-Spitzenpersonal könnte etwas dauern

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    Grund für den Misserfolg: Polen, Ungarn, Tschechien und Estland, bei denen die Kohleverstromung eine große Rolle spielt, blockierten gemeinsam einen Gipfelbeschluss. Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki sagte, westeuropäische Länder verbrauchten doppelt so viel Energie wie Polen, hätten dabei aber einen Großteil ihrer Industrieproduktion in andere Teile der Welt ausgelagert. Sein Land könne das nicht, es habe nach 50 Jahren Kommunismus wirtschaftlichen Nachholbedarf.

    Der Block der vier osteuropäischen pocht auf Kompensation bei ehrgeizigen Klimamaßnahmen. Die Länder könnten erst zustimmen, wenn klar sei, mit welchen Kosten das Ziel der Klimaneutralität verbunden sei, hieß es. Das habe bei den Gipfelberatungen aber niemand sagen können.

    Auch Deutschland hatte lange gezögert

    Kanzlerin Merkel betonte, eine große Mehrheit der EU-Staaten stünde hinter dem der Klimaneutralität 2050. Dies sei eine gute Ausgangsposition, damit Europa Vorreiter bei kommenden internationalen Verhandlungen sei. Dennoch ist nun unklar, welche Rolle die EU beim UN-Klimagipfel im September spielen kann. Der frühere europäische Anspruch, Staaten wie China zu größeren Kimaschutzanstrengungen zu bewegen, dürfte nun schwerer zu erfüllen sein.

    Allerdings war schon im Vorfeld nicht damit gerechnet worden, dass die Regierungschefs sich bei diesem Gipfel auf neue Klimaschutzziele verständigen. In früheren Entwürfen der Gipfelerklärung war davon nicht die Rede. Als sich im Frühjahr acht EU-Staaten unter Führung Frankreichs für das Ziel der Klimaneutralität stark machten, stand auch Deutschland noch auf der Bremse; erst vergangene Woche war die Bundesregierung umgeschwenkt und hatte sich nun ebenfalls zum Ziel für 2050 bekannt, ohne zu erklären, wie dies zu erreichen sei.