Berlin. Ab Sonntag gilt die Winterzeit. Die EU-Kommission will die Umstellung langfristig abschaffen. Das könnte aber der Gesundheit schaden.

Rund ein Viertel der Weltbevölkerung muss zweimal im Jahr die Uhr um eine Stunde verstellen. Auch bei uns ist es am morgigen Sonnabend wieder so weit. In der Nacht auf Sonntag werden die Uhren von 3 auf 2 Uhr zurückgestellt. Wer nicht das Pech hat, in der Nachtschicht zu arbeiten, der darf also eine Stunde länger schlafen. (Warum es die Zeitumstellung gibt und alle weiteren Infos dazu lesen Sie hier).

Hintergrund: Zuständiger EU-Ausschuss bezieht Position zur Zeitumstellung
Aktuell wird in Brüssel diskutiert, ob sich das bald ändert. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, ab kommendem Jahr die Zeitumstellung abzuschaffen. Doch es gibt Wissenschaftler, die Bedenken haben. „Wir sollten uns freuen, dass wir die Zeitumstellung noch haben“, meint Dieter Kunz, Leiter der Klinik für Schlaf- und Chronomedizin im Berliner St. Hedwig-Krankenhaus. Aus seiner Sicht ist diese eigentlich etwas sehr Kluges. Denn auch, wenn die Zeitumstellung wirtschaftlich betrachtet vielleicht wirklich keinen Nutzen hat, so sei sie laut Kunz dafür gesundheitlich durchaus sehr sinnvoll.

Der Körper funktioniert im Winter anders als im Sommer

Der Psychiater und Somnologe hat sich auf die Diagnostik und Therapie von psychiatrisch-neurologischen Störungen des Schlafes spezialisiert. Mit seiner Meinung zur Zeitumstellung stehe er recht alleine da, sagt Kunz. Er bestreitet zwar nicht, dass die Zeitumstellung den menschlichen Organismus durchaus belasten kann. Auf Grundlage seiner Arbeit und der Erkenntnisse aus der Forschung kommt er jedoch zu dem Schluss, dass unser Körper viel stärker zu kämpfen hätte, würde man die Zeit jetzt im Herbst – und auch im Frühjahr – nicht umstellen.

Der Grund: Wer nicht gerade auf dem Äquator wohnt, sondern davon entfernt, dessen Körper funktioniert im Winter anders als im Sommer. Das liegt an der sich verändernden Dauer von Helligkeit und Dunkelheit. Denn deren Wechsel sei der wichtigste Anker für die innere Uhr des Menschen, sagt Kunz.

Im Winter im Energiesparmodus

Wie man heute weiß, richtet sich der menschliche Organismus am sogenannten circadianen Rhythmus aus, ebendieser inneren Uhr. Sie synchronisiert beispielsweise die Funktion der Organe, den Stoffwechsel, die Körpertemperatur, den Blutdruck oder auch die Hormonproduktion. Die Experten sprechen daher auch von einem System an inneren Uhren.

„Wir sind im Winter – das merken viele von uns gar nicht – in einer Art Energiesparmodus“, so Kunz. Der Körper passe sich dafür sukzessive an die sich natürlich verändernden Lichtverhältnisse an. „Das heißt, wenn wir im Herbst und im Frühjahr die Uhrzeit um eine Stunde verschieben, dann gleichen wir damit nur aus, was in der Physiologie in den Wochen davor bereits sowieso stattgefunden hat.“

Würden wir die Uhren nicht umstellen, so Kunz, und wir hätten auch im Winter die Sommerzeit, dann würde das de facto bedeuten, dass etwa in Berlin die Sonne über vier Monate lang erst nach 8 Uhr aufginge.

„Aber insbesondere das Aufgehen der Sonne ist essenziell für unser System an inneren Uhren“, warnt Kunz. Ohne die Zeitumstellung hätten aber zum Beispiel Kinder, die um 8 Uhr zur Schule müssen, ein Drittel des Jahres diesen morgendlichen Anker nicht. „Ich würde vorhersagen, dass das einen negativen Einfluss hat – nicht nur auf das Wohlbefinden, sondern auch auf die Leistungsfähigkeit sowie nicht zuletzt auf Krankheitsbilder.“

Im Sommer zu früh wach

Im Sommer dagegen wäre es bei einer dauerhaften Winterzeit, bei der es sich um die eigentliche Normalzeit handelt, dagegen schon lange vor dem Arbeits- und Schulbeginn hell. „Auch das ist nicht gut“, sagt Somnologe Kunz. „So wird der Körper viel zu früh wach.“ Schließlich falle bei den meisten Menschen immer etwas Tageslicht ins Schlafzimmer.

Alfred Wiater von der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin, Facharzt für Pädiatrie und ebenfalls Somnologe, sieht das anders. Er meint, dieser Effekt könne durch entsprechende Verdunklungsvorhänge oder Rollos abgefangen werden. Er befürwortet die Abschaffung der Zeitumstellung, denn immerhin mache der zweimalige Wechsel der Uhrzeit etwa 25 Prozent der Bevölkerung Probleme. Insbesondere bei der Zeitumstellung im Frühjahr komme es zu einem Mini-Jetlag, der die Betroffenen mehrere Tage belasten könne, so Wiater.

Durch den Schlafmangel komme es vorübergehend zu Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen. Die Folgen sind ein erhöhtes Risiko für Fehlleistungen und Unfälle.

Einige Studien berichten auch über ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle bei besonders gefährdeten Menschen. Hinzu kämen laut Wiater psychische Symptome wie depressive Verstimmungen und Ängste. „Wenn auch nur ein Teil der Bevölkerung durch die zweimalige Zeitumstellung gesundheitlich belastet ist, so erscheint es doch sinnvoll, die Zeitumstellungen abzuschaffen, um unnötige gesundheitliche Probleme zu vermeiden“, so Wiater.

Schlaf-Wach-Rhythmus anpassen

Solange es diese noch gebe, rät er, den individuellen Schlaf-Wach-Rhythmus in der Woche vor der Zeitumstellung sukzessive bereits an die mit der Zeitumstellung geänderten Gegebenheiten anzupassen. Ein Rat, den er auch selber befolgt.

Ob die von der EU-Kommission vorgeschlagene Abschaffung der Zeitumstellung kommt, ist noch offen. Die EU-Staaten und das Europa-Parlament müssen den Plänen dafür noch mehrheitlich zustimmen. Vonseiten der Schlafmediziner jedenfalls scheint aktuell ein Großteil die Abschaffung zu befürworten. Jedoch votieren die Experten im Fall der Fälle fast einvernehmlich für eine dauerhafte Normalzeit, also die Winterzeit.

Die Winterzeit zu lassen, sei von den zwei Übeln, die zur Diskussion stehen, noch das geringere Übel, meint auch Kunz. „Eine dauerhafte Sommerzeit wäre sicher eine Katastrophe.“ Doch auch, wenn negative Auswirkungen bei einer dauerhaften Normalzeit aus seiner Sicht zwar geringer ausfallen würden als bei dauerhafter Sommerzeit, so glaubt er, anders als seine Kollegen, dass Krankheiten danach zunehmen würden.

„Einmaliges medizinisches Experiment“

Denn egal, ob Zeitumstellung oder nicht, Kunz meint, dass der menschliche Organismus durch die Anpassung des Körpers auf die neuen Lichtverhältnisse immer zu kämpfen habe – im Frühjahr deutlich stärker als im Herbst. „Wir werden uns in dieser Zeit immer gerädert fühlen“, prognostiziert der Somnologe. Ohne die Zeitumstellung habe man jedoch nicht mehr die Chance, Arbeitsalltag und Sozialleben an die verschobene Physiologie des Körpers anzupassen. „Das ist ein medizinisches Experiment, was in dieser Größenordnung in Europa noch nie stattgefunden hat“, so Kunz.