Wolfsburg. Dezernentin Monika Müller fürchtet durch die Corona-Pandemie finanzielle Einbrüche im Klinikum und plädiert für eine Rückkehr zur Regelversorgung.

Anlässlich der Corona-Pandemie sollten die Krankenhäuser bundesweit planbare Operationen auf Eis legen, um Betten für Corona-Patienten frei zu halten. Nun fordert die Krankenhausgesellschaft, die „Regelversorgung“ wieder zuzulassen. Über die Situation des Wolfsburger Klinikums sprach Kerstin Loehr mit der Gesundheitsdezernentin Monika Müller.

Frau Müller, was sagen Sie zu der Forderung, planbare Operationen wieder zuzulassen?

Es ist sehr erfreulich, dass die Maßnahmen zur Eindämmung bislang offensichtlich erfolgreich waren und die Zahl der Patienten, die wegen einer Coronainfektion oder des Verdachts im Klinikum behandelt werden müssen, sehr gering geblieben ist. Da aber weit über 100 Betten frei gehalten werden und nicht belegt sind, sollte aus meiner Sicht – parallel zu den bundesweiten Lockerungen und der Annahme, dass die Ausbreitung der Pandemie nicht mehr wie einst gedacht stark ansteigen wird – schon aus wirtschaftlichen Gründen die schrittweise Rückkehr zur Regelversorgung wieder ermöglicht werden. Ansonsten werden die Verluste in den Krankenhäusern weiter ansteigen – mit teils schwerwiegenden Folgen.

Wie viele der Wolfsburger Intensiv- bzw. Beatmungsplätze sind denn derzeit durch Corona-Patienten belegt?

Täglich werden bei uns maximal fünf, meist aber weniger Patienten wegen ihrer Corona-Erkrankung intensivmedizinisch behandelt. Der Einsatz von Beatmungsgeräten ist noch seltener erforderlich, so dass weder unsere Intensivbetten noch die Beatmungsgeräte jemals auch nur annähend ausgelastet waren. Bislang blieb die Zahl der Patienten, die an einem Tag wegen einer Coronainfektion im Krankenhaus behandelt wurden, stets unter 10, oft sogar deutlich. Dem gegenüber stehen mehr als 100 dafür frei gehaltene Betten. Wir haben derzeit rund 260 Patienten im Klinikum, könnten also noch weitaus mehr Patienten aufnehmen, denn die Bettenkapazität liegt bei rund 500.

Falls planbare OP’s wieder stattfinden könnten: Haben Sie das Gefühl, dass Patienten mit anderen, auch sehr schweren Erkrankungen, Angst haben, sich derzeit in ein Klinikum zu begeben?

Bundesweit stellen Krankenhäuser fest, dass auch die Patienten fernbleiben, die eigentlich akut versorgt werden sollten, also auch Menschen, die sonst in die Notaufnahme gekommen wären. Es ist davon auszugehen, dass viele den Weg in Krankenhäuser aus Angst vor einer Ansteckung mit Corona scheuen und zudem bei einigen fälschlicherweise der Eindruck entstanden ist, dass Krankenhäuser zu reinen „Coronaversorgern“ umfunktioniert wurden. Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung ist hier ein wenig über das Ziel hinaus geschossen. Der Bund müsste aus meiner Sicht deutlich machen, dass Krankenhäuser ihren Versorgungsauftrag weiterhin wahrnehmen und alle Patienten ein Krankenhaus aufsuchen sollten, wenn sie stationär versorgt werden müssen. Erforderlich ist die schrittweise Rückkehr zum normalen Betrieb, um Vertrauen zurück zu gewinnen.

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Gibt es vielleicht schon Ideen für einen „Wolfsburger Weg“?

Um Vertrauen vor Ort in Wolfsburg zu sichern, haben wir uns bereits neue Regelungen gegeben, zum Schutz der Patienten: Wir testen seit einiger Zeit jeden neu zu uns kommenden Patienten auf Corona, um zu verhindern, dass jemand als unerkannte Infektionsquelle bei uns aufgenommen wird. Diese Maßnahme haben wir selbst ergriffen und finanziert, um ein Ansteckungsrisiko quasi auszuschließen. Das sollte in allen Krankenhäusern so gelebt und dann auch von den Kassen finanziert werden, die Testung müsste gesichert sein. Wir können in Wolfsburg damit und mit unseren weiteren hohen Hygienestandards eine Ansteckung bei Patienten fast gänzlich ausschließen.

Fürchten Sie als Folge finanzielle Einbrüche für das Klinikum?

Nach aktuellem Stand werden dem Klinikum Wolfsburg trotz des Schutzschirmes etwa 350.000 Euro pro Woche fehlen. Zwar können wir Sachkosten einsparen, da wir weniger Patienten aufnehmen als sonst, aber der wesentliche Kostenfaktor in einem Krankenhaus sind die Personalkosten (mindestens 70 Prozent der Kosten) – und die laufen weiter wie bisher.

Die drohenden Verluste dauerhaft auszugleichen dürfte angesichts der aufgrund der Pandemie stark einbrechenden Gewerbe-Steuereinnahmen der Kommunen auf Dauer kaum leistbar sein, daher halte ich die derzeitigen Entwicklungen – sofern nicht zeitnah und massiv gegengesteuert wird – für existenzbedrohend.

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Könnten Sie das anhand eines Patienten-Fallbeispiels erläutern?

Wir bekommen bei einem Patienten mit dem Schweregrad 1 – dem durchschnittlichen Schweregrad der Patienten zu „normalen“ Zeiten – und der durchschnittlichen Verweildauer von 5 Tagen in der Regel knapp 3.700 Euro, bei der Pauschale für Corona aber nur 2.800 Euro. Das heißt, es fehlen pro Patient 900 Euro. Bei den zahlenmäßig eher wenigen Corona-Patienten, die wir aufnehmen und bei denen eine Behandlung auf der Intensivstation nicht erforderlich ist, liegt meist ein Schweregrad von nur 0,5, vor. Das bedeutet, es gibt nur die Hälfte an Erlös, rund 1.850 Euro pro Patient. Also erzielen wir pro Corona-Patient 1.850 Euro weniger Erlöse als für einen anderen durchschnittlichen Patienten.

Auch wenn es an unserem Versorgungsauftrag vorbei geht und wir das natürlich nicht machen: Rein erlöstechnisch gesehen, wäre es wirtschaftlicher, ein Bett frei zu lassen und bei 5 Tagen ca. 2.800 Euro zu erlösen, als einen Patienten mit Corona auf der Normalstation zu versorgen und mit 1.850 Euro dann 950 Euro weniger zu erlösen. Dieser Widerspruch sollte vom Bundesgesetzgeber nochmals aufgegriffen und nachgebessert werden.

Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Rolle, die das „Ausweich-Krankenhaus“ Global Inn spielen könnte?

Das Konzept für die Nutzung des Ergänzungskrankenhauses wurde vom Klinikum in meinem Auftrag erstellt, baulich ist das „Global Inn“ betriebsbereit, ein Antrag auf Genehmigung durch das Land ist bereits vor einiger Zeit eingereicht worden. Die derzeit geltenden Empfehlungen des Landes zur Einrichtung von Behelfskrankenhäusern sieht die Einrichtung in Hotels allerdings als stark nachrangig an – zuvor sollen Rehakliniken genutzt werden.

Da im Klinikum allerdings noch weit über hundert für Corona-infizierte Patienten vorgesehene Betten frei sind, ist in keiner Weise absehbar oder erkennbar, wann oder ob wir diese Kapazitäten überhaupt benötigen. Das Land hat bislang auf unseren Antrag nicht reagiert, auch andere Städte wie beispielsweise Braunschweig warten hierzu auf eine verbindliche Aussage.

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