Berlin. Im Frühjahr werden viele starke Nerven benötigen: Neben dem öffentlichen Dienst drohen auch bei der Bahn Streiks. Das sind die Details.

Bahnkundinnen und -kunden müssen sich auf einen nervenaufreibenden Frühling einstellen. Am Dienstag legte die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ihre Tarifforderungen vor – und die haben es in sich. Für rund 50 Bahnunternehmen verlangt die EVG einen kräftigen Lohn- und Gehaltszuwachs. „Wir fordern zwölf Prozent, mindestens aber 650 Euro mehr im Monat“, sagte der Verhandlungsführer der Gewerkschaft, Kristian Loroch. Für Auszubildende solle es 325 Euro mehr im Monat geben. Das ist das Ergebnis einer Mitgliederbefragung, an der sich rund 40.000 Bahner beteiligten. Es geht laut EVG vor allem um eine Stärkung der wenig verdienenden Berufsgruppen der Bahnen, etwa das Sicherheitspersonal oder Reinigungsdienste. Deshalb stehe der Mindestbetrag im Zentrum der Forderung.

Ende Februar geht es mit den Tarifverhandlungen los. Sie sind in diesem Jahr besonders kompliziert. Denn die EVG verhandelt zunächst mit der Deutschen Bahn, dem größten Arbeitgeber der Branche mit rund 180.000 Tarifbeschäftigten. Anschließend verhandelt die Gewerkschaft im schnellen Takt nacheinander mit 50 privaten Bahnunternehmen mit insgesamt mehreren Zehntausend Beschäftigten. Die erste Runde wird daher allein schon einen Monat bis Ende März dauern.

Tarifforderung der EVG: Bahn reagiert zurückhaltend

Die Deutsche Bahn reagierte in einer ersten Stellungnahme zurückhaltend auf die Forderung. „Es geht um die Anerkennung der Leistung unserer Belegschaft“, sagte ein Bahnsprecher, „und darum, die Zukunftsfähigkeit der Bahn zu sichern“. Im Vorfeld hatten die Arbeitgeber schon angekündigt, dass sie zwar einen deutlichen Aufschlag akzeptieren, einen Teil davon aber nur als Einmalzahlung leisten wollen.

Auch bei der Laufzeit liegen beide Seiten auseinander. Die EVG will nur zwölf Monate vereinbaren, das Unternehmen 24 Monate. Da die Deutsche Bahn als Marktführer antritt, wird ihr Abschluss wohl am Ende auch wegweisend für die anderen 50 Arbeitgeber sein.

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Auch bei der Bahn herrscht Fachkräftemangel

Ein Grund für die hohe Forderung ist die Zurückhaltung der EVG in der letzten Runde vor eineinhalb Jahren. Während der Pandemie blieben die Züge leer und die Bahn fuhr Milliardenverluste ein. Auch um die Beschäftigung zu sichern, begnügte sich die EVG mit einem Aufschlag von 1,5 Prozent. Nun will die Gewerkschaft den Rückstand wettmachen. Mit ihrer Forderung bewegt sich die EVG zwischen dem öffentlichen Dienst, für den Verdi 10,5 Prozent verlangt, und der Post, wo eine Forderung von 15 Prozent im Raum steht.

Loroch sieht die Beschäftigten in einer guten Ausgangsposition für die Tarifrunde. „Für die Verkehrswende brauchen wir gut ausgebildete und gut bezahlte Beschäftigte“, sagt er. Tatsächlich sind Busfahrer oder andere Berufsgruppen rund um den Nah- und Schienenverkehr gesucht. So rechnet Loroch mit der Abwerbung von Personal aus Unternehmen, bei denen die Arbeitsbedingungen nicht so gut sind wie bei Wettbewerbern. Gerne würde die EVG nur mit einem Arbeitgeberverband verhandeln. Doch die Privatbahnen und die Deutsche Bahn konnten sich bisher nicht unter dem Dachverband zusammenfinden. So bleibt die Tariflandschaft hier zersplittert.

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EVG droht mit schnellen Warnstreiks

Leicht werden die Gespräche wohl nicht. „Es wird schnell zu Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern kommen“, glaubt Loroch. Die EVG erwarte schon beim Auftakt der Verhandlungen ein Angebot der Arbeitgeber. Sollte dies ausbleiben, droht sie mit schnellen Warnstreiks. Gestreikt würde dann bei allen Bahnunternehmen, sofern sie nicht auf die Hauptforderungen der Gewerkschaft eingegangen sind.

Für die Bahnkunden bedeutet dies eine erhöhte Streikgefahr ab dem Ende der ersten Gesprächsrunde Ende März. Es könnte in der Zeit vor Ostern dann noch dicker für die Bürger kommen. Denn bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst steht Ende März die entscheidende dritte Runde statt.

Sollte sich der Konflikt zwischen Verdi, Bund und Kommunen zuspitzen, sind auch dort verstärkt Arbeitsniederlegungen wahrscheinlich. In diesem Fall könnten Verdi und die EVG gemeinsame Sache machen und die öffentliche Daseinsvorsorge in Deutschland praktisch lahmzulegen, in dem von der Kita bis zur Bahn viele wichtige Betriebe in den Arbeitskampf einbezogen werden. Wenn keine Angebote auf dem Tisch liegen, kann es ganz schnell gehen“, warnt Loroch.

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EVG kann binnen Stunden den Zugverkehr bundesweit lahmlegen

Die EVG hat als die größere der beiden Bahngewerkschaften eine enorme Streikmacht. Schon mit einem vergleichsweise geringem Aufwand kann sie binnen Stunden den Zugverkehr im ganzen Land lahm legen. Dazu reicht ein Streik in den großen Stellwerken, ohne deren Arbeit auf der Schiene nichts mehr läuft. Wie stark der Verkehr durch einen Arbeitskampf bei der Bahn beeinträchtigt wird, hat die kleinere Lokführergewerkschaft GDL bereits mehrfach vorgeführt.

Wenn die Verhandlungen zwischen Bahnen und EVG voraussichtlich im Frühsommer abgeschlossen sind, steht der nächste Konflikt schon ins Haus. Im Oktober läuft der Tarifvertrag der GDL mit der Bahn aus. Eine wenigstens ebenso hohe Forderung der Lokführer dürfte für weitere harte Gespräche sorgen und den Bahnkunden womöglich in der Weihnachtszeit einen weiteren Streik bescheren.