Frankfurt/Main. Deutschland hat wieder weniger Aktionäre. Dennoch bewerten Experten die Entwicklung positiv. Die Politik könnte aber noch mehr für die Aktienkultur in Deutschland tun, sagen sie.

Auf den Boom folgt die Ernüchterung. Es gibt wieder weniger Aktionärinnen und Aktionäre in Deutschland. Ein Grund zur Sorge? Nein, meint das Deutsche Aktieninstitut. Schließlich sei die Zahl nicht gleich wieder unter die 12-Millionen-Marke gefallen.

Die Treue vieler Anleger zur Börse werten die Frankfurter Experten als positives Signal. Die Hoffnung ist groß, dass die neue Ampel-Koalition das Aktiensparen populärer macht.

Knapp 12,07 Millionen Menschen hierzulande hatten im Durchschnitt des vergangenen Jahres Aktien, Aktienfonds oder börsengehandelte Indexfonds (ETFs) im Depot, wie das Deutsche Aktieninstitut (DAI) ermittelt hat. Das sei der dritthöchste Stand seit Ende der 1990er Jahre. "Dass unter dem Strich letztlich ein kleines Minus von gut 280.000 Anlegern steht, muss vor dem Hintergrund insgesamt guter Zahlen nicht beunruhigen", bilanziert das Institut. Unter anderem habe "das starke Börsenjahr vermutlich zu Gewinnmitnahmen geführt".

Rekord in der Krise

In der Corona-Krise 2020 war die Zahl der Aktionärinnen und Aktionäre in Deutschland binnen Jahresfrist um mehr als 25 Prozent auf 12,35 Millionen geschnellt und hatte damit den höchsten Stand seit dem Rekord 2001 mit damals fast 12,9 Millionen erreicht. Seit 2020 werden auch ausländische Aktionäre mit Wohnsitz in Deutschland gezählt.

"Nach dem starken Anstieg im Jahr 2020 haben sich die Aktionärszahlen auf hohem Niveau stabilisiert", stellte die Chefin des Aktieninstituts, Christine Bortenlänger, am Mittwoch fest. Der aktuellen Erhebung zufolge seien in Deutschland 17,1 Prozent der Bevölkerung am Aktienmarkt engagiert, das sei etwa jeder Sechste ab 14 Jahren. "2021 war also erneut ein gutes Jahr für die Aktienkultur in Deutschland", bilanzierte Bortenlänger.

Den größten Teil ihres Geldvermögens horten private Haushalte hierzulande allerdings nach wie vor in Form von Bargeld oder parken es auf Giro- und Tagesgeldkonten - trotz mickriger Verzinsung oder gar drohender Strafzinsen. Nach Bundesbank-Zahlen machten Bargeld und Bankeinlagen Ende September 2021 knapp 2921 Milliarden Euro der auf fast 7,4 Billionen Euro gestiegenen privaten Geldvermögen aus.

Doch je länger die Zinsen niedrig bleiben und die Inflation hoch ist und somit das Geld auf dem Konto unter dem Strich an Wert verliert, umso eher trauen sich Deutschlands als risikoscheu geltende Sparer an den Aktienmarkt.

Anlageverhalten passt sich an

"Mit zunehmender Dauer der Extrem-Niedrigzins-Phase und fehlender Aussicht auf einen baldigen spürbaren Zinsanstieg reagierten (...) immer mehr Bürger mit einem angepassten Anlageverhalten", fasste eine Anfang Januar veröffentlichte Analyse der DZ Bank zusammen. "Viele stiegen neu ins Wertpapiergeschäft ein - vor allem auch junge Anleger." Für die heimische Fondsbranche war 2021 dem Branchenverband BVI zufolge voraussichtlich das beste Absatzjahr ihrer Geschichte: Bei den auf breitere Anlegerschichten zielenden Publikumsfonds sei schon Ende September mit 85,9 Milliarden Euro Neugeschäft die Rekordmarke des Jahres 2000 übertroffen worden.

"2020 hat die Jugend die Börse für sich entdeckt", schreibt auch das Aktieninstitut. 2021 habe sich der Zustrom der Unter-30-Jährigen zwar verlangsamt, unter dem Strich seien aber immerhin weitere 49.000 Anlegerinnen und Anleger dieser Altersklasse dazugekommen. Mit gut 1,48 Millionen sind die 14- bis 29-Jährigen allerdings nach wie vor die kleinste Altersgruppe unter Deutschland Aktiensparern.

Nutzen wird erkannt

Umfragen zeigen immer wieder, dass viele Menschen den Nutzen einer langfristigen Anlage an der Börse für die Altersvorsorge erkannt haben - zumindest in der Theorie. So gaben zum Beispiel in einer jüngst veröffentlichten Forsa-Erhebung für den Fondsanbieter Union Investment fast die Hälfte (47 Prozent) der 1003 befragten Erwachsenen an, dass sie sich einen Fondssparplan gut als Basis-Anlage fürs Alter vorstellen könnten. Im Vergleich zum dritten Quartal 2019 stieg der Wert der Befürworter demnach um 18 Prozentpunkte.

In einer von der Postbank in Auftrag gegebenen Umfrage von Anfang 2022 sagte allerdings nur eine Minderheit von 14 Prozent, dass sie im laufenden Jahr verstärkt Wertpapiere kaufen beziehungsweise neu ins Wertpapiergeschäft einsteigen wolle. 59 Prozent der 2102 Befragten planen nach eigenen Angaben nicht, Geld an der Börse anzulegen.

Der "größte Hebel, um die Deutschen zu einem Volk von Aktionären zu machen", ist aus Sicht des Aktieninstituts "die schnelle Einführung eines Ansparverfahrens mit Aktien in der Altersvorsorge". Die neue Bundesregierung bekenne sich in ihrem Koalitionsvertrag "erfreulicherweise zu mehr Kapitalbildung in der Rente", konstatiert das Institut. "Jetzt müssen Taten folgen."

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