Berlin. In Berlin stimmt eine Mehrheit für die Enteignung großer Konzerne. Was der Volksentscheid für andere Städte in Deutschland bedeutet.

Es ist ein bundesweit einmaliger Vorgang: Große Wohnungsunternehmen könnten in Berlin enteignet, ihre Wohnungen vergesellschaftet werden. Am Sonntag sprach sich eine klare Mehrheit von 56,4 Prozent der Berlinerinnen und Berliner im Rahmen eines Volksentscheids für eine Enteignung aus. 39,0 Prozent stimmten dagegen.

Die Hauptstadt wird damit erneut zum Experimentierkasten für die Wohnungspolitik. Wie in den anderen Metropolen in Deutschland haben sich die Mieten in Berlin zuletzt massiv verteuert, binnen zehn Jahren haben sich die Preise verdoppelt. Wohnraum ist knapp, selbst Besserverdienende finden bisweilen nur schwer eine Bleibe.

Enteignung: Volksentscheid sorgt für Druck

Ein Mietendeckel, mit dem der Berliner Senat Mietsteigerungen begrenzt und hohe Mieten anschließend sogar abgesenkt hatte, wurde im April vom Bundesverfassungsgericht mangels nicht gegebener Zuständigkeit des Landes Berlin gekippt. Nun soll es also den großen Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen an den Kragen gehen.

Rechtlich bindend ist der Volksentscheid zwar nicht – aber er erhöht den Druck auf den neu gewählten Senat. Betroffen wären von einer Enteignung rund 240.000 Wohnungen und damit rund 15 Prozent des Berliner Bestands an Mietwohnungen.

Dax-Konzerne Vonovia und Deutsche Wohnen wären betroffen

Vor allem der Dax-Konzern Deutsche Wohnen wäre von dem Eingriff massiv betroffen – aber auch der Branchenprimus Vonovia, der die Deutsche Wohnen derzeit übernehmen will. „Enteignungen lösen nicht die vielfältigen Herausforderungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt“, sagte Vonovia-Chef Rolf Buch am Montag. Er kündigte an, dass die Deutsche Wohnen und Vonovia ihre Mieten in Berlin freiwillig für die kommenden fünf Jahre begrenzen würden und zudem 13.000 neue Wohnungen in Berlin zu bauen.

Einfach ignorieren kann der am Sonntag neu gewählte Senat das klare Votum aber nicht. Und so kündigte die ehemalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, die die Berliner SPD am Sonntag bei den Senatswahlen zum Wahlsieg geführt hat, an, einen Gesetzentwurf erarbeiten zu wollen.

Mieterbunds-Präsident fordert zeitnahen Gesetzesentwurf

Der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, dringt dabei auf Tempo. „Spätestens in der ersten Hälfte des kommenden Jahres sollte ein Gesetzentwurf vorgelegt werden“, sagte Siebenkotten unserer Redaktion.

Zwar sei das Berliner Vorhaben noch keine Blaupause für ganz Deutschland. Dennoch ist Siebenkotten der Auffassung, dass sich andere Städte das Vorhaben genau ansehen werden: „Sollte die Enteignung gerichtlich Bestand haben und umsetzbar sein, könnte sie ein Vorbild für Initiativen in anderen Städten werden.“

Gesetzeskonformität ist unklar

Ob eine Enteignung rechtlich zulässig ist, ist umstritten. Die Initiatoren der Volksentscheid-Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ berufen sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Dort heißt es, dass unter anderem „Grund und Boden“ in Gemeineigentum überführt werden können.

Gegner der Initiative verweisen dagegen auf den Schutz des Eigentums, den Gleichheitsgrundsatz und die aus ihrer Sicht nicht gegebene Verhältnismäßigkeit.

Entschädigungszahlungen könnten Milliarden kosten

Unabhängig von der Zulässigkeit steht fest: Eine Enteignung würde sehr teuer werden. Die Wohnungskonzerne müssten entschädigt werden – und das in einer hochpreisigen Marktphase. Der Berliner Senat rechnet mit Kosten von bis zu 36 Milliarden Euro – dabei ist der Stadtstaat bereits mit rund 62 Milliarden Euro verschuldet. Die Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ rechnet mit zehn Milliarden Euro an Kosten.

Das Mengenproblem an bezahlbaren Wohnungen lässt sich durch eine Enteignung nicht lösen, kritisieren Gegner der Initiative. „Für dieses Geld ließen sich alternativ 137.000 neue Wohnungen bauen“, rechnet Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), vor. Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW, nannte gegenüber eine Enteignung eine „Scheinlösung“, die teuer und unwirksam sei.

Mietaktivsten nehmen bereits andere Städte in den Blick

Mietervertreter werfen dagegen bereits den Blick auf andere Metropolen. „Vor allem für Hamburg könnte Berlin ein Vorbild werden“, sagte der Kölner Mietaktivist Kalle Gerigk unserer Redaktion.

In Flächenländern wie Nordrhein-Westfalen hält er die Erfolgsaussichten dagegen für gering. Am liebsten wäre ihm ein bundesweites Gesetz, dass es möglich machen würde, Wohnungen zu enteignen.