Die Hiobsbotschaften nehmen zu, Corona- und Strukturkrise zwingen die Autoindustrie zu verstärktem Jobabbau. Auch die Reifenproduktion von Continental in Aachen soll geschlossen werden. Gewerkschafter aber fragen: Warum ausgerechnet trifft es die noch gut laufende Sparte?

Aachen/Hannover (dpa) – Bei Continental steht eines der beiden großen deutschen Reifenwerke vor dem Aus.

Der Dax-Konzern plant, angesichts der Absatzkrise in der Autoindustrie die Produktion in Aachen - neben dem hessischen Korbach zentraler zweiter Reifenstandort im Inland - mit derzeit rund 1800 Jobs dichtzumachen. Der Aufsichtsrat müsse aber noch zustimmen. Man gehe von einem Zieldatum Ende 2021 aus, hieß es.

Die Pläne sind Teil des Anfang September angekündigten verschärften Sparkurses beim zweitgrößten Autozulieferer der Welt. Bisher waren viele Einzelheiten der Kürzungen bei Continental jedoch unklar. Nach und nach wird nun deutlich, dass mehr Standorte geschlossen werden dürften. Die Gewerkschaft IG BCE griff das Management an: Es sei komplett unverständlich, warum es das stabile Reifengeschäft treffe.

Insgesamt kämpft der Konzern aus Hannover mit hohen Verlusten. In einigen zukunftsträchtigen Sparten wie Elektronik und Software werden neue Jobs geschaffen, bei klassischer Technik für Verbrennungsmotoren oder Hydraulik gibt es allerdings auch erhebliche Einschnitte. Nach jüngstem Stand ging Conti davon aus, dass der Wandel zu E-Mobilität und Digitalisierung Folgen für 30.000 der über 232.000 Arbeitsplätze haben dürfte. Diese könnten "verändert, verlagert oder aufgegeben" werden. 13 000 der fraglichen Jobs sind in Deutschland angesiedelt.

Doch die Reifensparte ist bisher vergleichsweise profitabel. "Der Kahlschlag ist weder mit der Transformation der Autoindustrie zu begründen, noch mit der Corona-Krise", sagte Francesco Grioli, IG-BCE-Vorstand und Conti-Aufseher. "Das ist schlicht Streichen um des Streichens Willen." Die Vizechefin der IG Metall, Christiane Benner, kündigte Widerstand an: "Wir werden nicht zulassen, dass ein Traditionskonzern kaputtgespart wird." Betriebsräte hatten schon beim grundsätzlichen Sparkurs vor einem "folgenschweren Konflikt" gewarnt.

In Aachen fertigt Continental unter anderem Reifen für die bis zur Corona-Krise besonders stark nachgefragten SUVs. "Dieses Vorhaben trifft uns ohne jegliche Vorwarnung", so der örtliche Betriebsrat Udo Bohnhof zu Plänen einer Verlagerung an "Niedrigkosten-Standorte". Nach Konzernangaben arbeiten in Aachen auch rund 200 Beschäftigte der Maschinenbau-Sparte Contitech. Ihre Jobs sollen nicht betroffen sein.

Conti hängt mit Zulieferteilen nicht nur direkt von der Produktion der Autohersteller ab, sondern mit seinem Reifengeschäft auch von der Erstausstattung neuer Fahrzeuge. In Korbach arbeiten mehr als 3000 Beschäftigte. Am Stammsitz Hannover-Stöcken wird seit längerem nur noch geforscht und eine Wiederaufbereitung von Lkw-Reifen betrieben.

Im zweiten Quartal kam die Reifensparte verglichen mit Sensorik oder Bremssystemen glimpflicher davon. Sie verbuchte zwar einen Dämpfer mit einem Drittel weniger Umsatz, blieb aber noch in den schwarzen Zahlen. "Es war klar, dass es Gespräche über Kapazitätsanpassungen geben würde", hieß es dazu im Konzern. Das Geschäft sei langfristig instabil, die Kosten seien "enorm". Manche Betriebsräte vermuten indes, dass Continental die Pandemie und den Strukturwandel auch als Vorwand nutzen könnte, um ohnehin gefährdete Standorte zu schließen.

Für das Werk Babenhausen in Hessen etwa war bereits 2019 angekündigt worden, die dortige Produktion von Pkw-Steuerungsinstrumenten bis 2025 zu beenden. Das Werk in Karben mit 1100 Beschäftigten steht nach Angaben der Arbeitnehmervertreter auf der Streichliste - entschieden war dort zuletzt aber noch nichts. Im thüringischen Mühlhausen ist die Schließung des Werks bis Ende 2022 geplant. In Bayern trifft der Jobabbau nach IG-Metall-Angaben Regensburg, Nürnberg und Ingolstadt - in Roding soll 2024 die Produktion ganz eingestellt werden. Auch im Ausland stehen Werke zur Disposition, so etwa in Italien und den USA.

Wegen drastischer Folgen für Absatz und Lieferketten hatten andere Hersteller und Zulieferer ebenfalls schon den Rotstift angesetzt. So sollen bei Volkswagens Lkw-Tochter MAN weltweit bis zu 9500 Stellen wegfallen. Der Auto- und Industriezulieferer Schaeffler kündigte an, 4400 weitere Jobs bis Ende 2022 abzubauen - vorrangig in Deutschland. Dabei könnte der Standort Wuppertal komplett geschlossen werden. Der Conti-Konkurrent Bosch, größter Autozulieferer der Welt, kappt in Schwäbisch Gmünd bis Ende 2026 rund 1850 Stellen. Hier gibt es eine Einigung, die betriebsbedingte Kündigungen vermeiden soll.

Auch bei Daimler stehen viele Jobs auf dem Spiel, Vorstandschef Ola Källenius will die Kosten deutlich drücken. Personalchef Wilfried Porth deutete an, dass 15 000 wegfallende Stellen von weltweit rund 300 000 nicht ausreichen werden. Der vereinbarte Kündigungsschutz soll aber Bestand haben, Daimler strebt Freiwilligenprogramme an.

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