Berlin. Viel Platz im Zug, weniger Verspätungen: Bahnfahren in Corona-Zeiten hatte auch angenehme Seiten. Doch in der Bilanz der Deutschen Bahn klafft nun ein großes Loch - das der Steuerzahler stopft.

Allmählich wird es wieder voller im Zug. Die Hälfte der Fahrgäste sei zurück, verkündet die Deutsche Bahn rund ein halbes Jahr nach Beginn der Corona-Krise in Deutschland. So eng wie früher wird es aber noch lange nicht. Und die Bilanz des Konzerns sieht schon jetzt verheerend aus.

Doch der Kurs soll nicht geändert werden: Mehr Personal, mehr Züge, mehr Kunden. Die Rechnung dafür hat es in sich. "Corona hat gezeigt, wie wichtig die Schiene für Deutschland ist", sagte Vorstandschef Richard Lutz am Donnerstag. Obwohl die Fahrgastzahl im Frühjahr auf bis zu zehn Prozent eingebrochen war, ließ die Bahn einen Großteil der Züge weiterfahren. "Wir haben Sicherheit in der Unsicherheit gegeben."

Für diejenigen, die trotz Krise auf die Bahn angewiesen waren, hatte das auch angenehme Effekte: In den meisten Fernzügen war mehr Platz als üblich und sie kamen so pünktlich ans Ziel wie lange nicht. 83,5 Prozent betrug die Pünktlichkeitsquote in den ersten sechs Monaten - der beste "Halbjahreswert seit zwölf Jahren", hieß es.

Zugleich aber fuhr die Bahn in die größte Finanzkrise seit dem Ende der Bundesbahn 1994. Der Umsatz ist eingebrochen, zum Jahresende droht ein Rekordverlust. Da hätte es auch wenig geholfen, die Züge in den Depots zu lassen, wie die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) betont. Es gebe hohe Fixkosten, unabhängig davon, ob ein Zug fahre oder nicht.

Im laufenden Geschäft droht nun zum Jahresende ein Verlust von bis zu 3,5 Milliarden Euro vor Zinsen und Steuern (Ebit). Was das unterm Strich bedeuten kann, zeigt das erste Halbjahr: Ein operatives Minus von 1,8 Milliarden (Ebit) wuchs sich durch Abschreibungen zu einem Halbjahresverlust von 3,7 Milliarden Euro aus.

Prognosen sind schwierig. "Es gibt erste Hoffnungszeichen, aber wir sind noch lange nicht über dem Berg", warnte Lutz. Mit einer Rückkehr der Fahrgastzahlen auf Vorkrisen-Niveau rechnet er erst für 2022 - wenn es dann eine Corona-Medikation gibt.

Auch die DB-Auslandstochter Arriva traf die Krise "mit voller Wucht", wie es hieß. Sie betreibt Busse und Bahnen in 14 Ländern, darunter Italien und Spanien, wo Corona besonders ins Kontor schlug. In Großbritannien war Arriva aber schon zuvor unter Druck geraten.

Mehr und mehr zeigt sich, dass sich die Manager auf dem Weg zum Weltkonzern wohl verrechnet haben, als sie Arriva vor zehn Jahren kauften. Ein Käufer fand sich vergangenes Jahr nicht. Plan B, ein Börsengang, ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Eine Sonderabschreibung von 1,4 Milliarden Euro im ersten Halbjahr macht die noch immer geplante Trennung von Arriva womöglich noch schwieriger. Deshalb soll die Tochter personell neu aufgestellt werden. Wie genau, blieb am Donnerstag zunächst offen.

Insgesamt schätzt die Bahn die Kosten der Corona-Krise auf 8 bis 10 Milliarden Euro. Die Konzernschulden sind bereits auf 27,5 Milliarden Euro gestiegen, 27 Milliarden peilt Finanzchef Levin Holle zum Jahresende an. Um diese Lücke zu schließen, hatte der Bund eine Eigenkapitalerhöhung von fünf Milliarden Euro beschlossen sowie die Anhebung der Schuldengrenze bei der Bahn auf 30 Milliarden Euro.

Vier Milliarden Euro will die Bahn bis 2024 selbst einsparen, rund die Hälfte davon beim Personal. Derzeit verhandelt der Konzern darüber mit der EVG.

Bahnreisende sollen von diesen Maßnahmen und Einsparungen allerdings wenig spüren. Das Ziel von Bund und Bahn ist weiter, die Fahrgastzahl bis 2030 zu verdoppeln. An den Investitionen und Neueinstellungen für die Zeit nach der Krise will die Bahn festhalten. Mehr als 19.000 Jobzusagen habe der Konzern im ersten Halbjahr ausgesprochen, betonte Lutz erneut. Zuletzt wurde der Kauf 30 neuen ICE-3-Züge verkündet, die ab Ende 2022 auf die Schiene kommen. Kosten: Rund eine Milliarde Euro.

Doch die massiven staatlichen Hilfen werden auch kritisiert. Corona offenbare strukturelle Probleme, die nun mit Milliardenhilfen verdeckt würden, kritisierten FDP und Grüne. Dass der Staatskonzern das Bahnnetz betreibt und gleichzeitig der dominierende Anbieter darauf ist, bremst aus Sicht der Liberalen den Wettbewerb. Sie fordern, Netz und Betrieb zu trennen.

Die Grünen verlangen, dass sich der Mobilitäts- und Logistikkonzern mit weltweit 320.000 Mitarbeitern vom Auslandsgeschäft trennt und sich in Deutschland voll auf die Eisenbahn konzentriert. Sonst könne der Konzern auf Dauer ein Klotz am Bein des Bundeshaushalts bleiben.

Offen bleibt, was eine mögliche zweite Welle des Corona-Virus für die Bahn bedeuten würde. Die Infektionszahlen steigen auch in Deutschland wieder - auch wenn sie weit vom Höhepunkt der Pandemie im Frühjahr entfernt sind. "Ich will nicht spekulieren über eine zweite Welle", sagte Lutz. Doch mit Blick auf die Strategie im Frühjahr betonte er: "Wir würden es wieder genauso machen."

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